von Bernhard Romeike
Gleich nach der Nationalratswahl in Österreich am 29. September 2019 wusste die Berliner Zeitung zu betonen: „Die vorzeitige Wahl war wegen der in Österreich beispiellosen Regierungskrise vom Mai nötig geworden. Das von Spiegel und Süddeutscher Zeitung veröffentlichte Ibiza-Video von 2017, das den einstigen FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache anfällig für Korruption erscheinen lässt, löste eine politische Kettenreaktion aus“. In deren Folge platzte die von Sebastian Kurz geführte Bundesregierung, er musste Ende Mai als Bundeskanzler zurücktreten, und es gab nun Neuwahlen.
Strache sowie der geschäftsführende FPÖ-Klubobmann (das ist im österreichischen Deutsch der Vorsitzende der Fraktion im Parlament, dem Nationalrat) Johann Gudenus waren diskreditiert. Ob die deutschen Großmedien „nur“ ein Video publiziert hatten, das ihnen zugespielt wurde, oder ob sie schlussendlich die Auftraggeber dieser Produktion mit „gefakter“ russischer Oligarchen-Nichte waren, ist bis heute nicht geklärt.
Der Wiener Kurier mutmaßte bereits am 17. Mai: „Angesichts dieses Skandals wird einem gleich mehrfach mulmig: Wie kann ein Spitzenpolitiker erstens so dreist und zweitens so dumm sein? Da ist im lockeren Ibiza-Geplauder von Staatsaufträgen, Krone-Übernahme und Parteispenden die Rede, als wäre das alles ein Monopoly-Spiel. Allerdings stellt man sich auch Fragen zu den anonym gebliebenen Auftraggebern, die diese Falle schon vor zwei Jahren aufgestellt haben. Wer steckt dahinter? Warum wurde das Video nicht schon vor der jüngsten Nationalratswahl gebracht? Offenbar ging es um einen möglichst vernichtenden Schlag gegen das immer stärker werdende rechte Netzwerk in der EU. Dafür hat man das Material Jahre aufbewahrt. Die Geschichte bedeutet das Ende der politischen Karriere Straches. Es ändert wahrscheinlich das FPÖ-Wahlergebnis bei der EU-Wahl. Es wird Einfluss auf die rechte Allianz in Europa haben. Und es ist eine schwere Bürde für die Koalition in Wien.“
Der große Einbruch für die FPÖ kam nicht bei der Europawahl am 26. Mai, da verlor sie „nur“ 2,5 Prozent, sondern jetzt: sie büßte 9,8 Prozent gegenüber der Nationalratswahl von 2017 ein und erreichte nur noch 16,2 Prozent der Wählerstimmen. Da die Österreichische Volkspartei mit 37,5 Prozent ein historisches Hoch erreichte und die Sozialdemokraten mit 21,2 Prozent den tiefsten Stand seit 1945 hinnehmen mussten, hat Sebastian Kurz jetzt wieder freie Hand für eine Regierungsbildung, er hat die „Bürde“ abgeworfen.
Was das für die Rechten in der EU bedeutet, muss sich erst noch erweisen. Matteo Salvini hat sich in Italien selbst ins Aus manövriert, das war nicht die unsichtbare Hand, die mit dem Ibiza-Video in die österreichische Parteienlandschaft eingriff.
Gleichwohl kommt das unterschiedlichen deutschen Kräften zupass. Der deutsche Sänger Herbert Grönemeyer trat mitten im Wahlkampf, am 12. September 2019, in der Wiener Stadthalle auf, forderte vom Publikum, gegen Rechts vorzugehen, und rief ihm zu: „[…] auch wenn Politiker schwächeln – und das ist, glaube ich, in Österreich nicht anders als in Deutschland – (Jubel), dann liegt es an uns, zu diktieren, wie die Gesellschaft auszusehen hat“. Zunächst kritisierten nicht nur Beatrix von Storch (AfD) und die ehemalige „DDR-Bürgerrechtlerin“ Vera Lengsfeld, einst Grüne, dann CDU, jetzt wohl parteilos mit einer ziemlich „rechten“ Webseite, erwartungsgemäß den Grönemeyer-Aufruf. Auch der linke Theatermann Bernd Stegemann sagte, Grönemeyer habe „wie ein Redner vor 1945“ geklungen und der Grünen-Politiker Ralf Fücks – wie die Bildzeitung aus dem Hause Springer mitteilte – meinte, als „Aufruf für eine freie Gesellschaft“ tauge das nicht und (weiter Fücks): „Wir verteidigen die Demokratie nicht mit autoritären Phantasien.“ Der musikexpress, ebenfalls vom Springer-Medienhaus, erklärte allerdings: „Wer Grönemeyer in dieser Causa zu attackieren versucht, der attackiert nicht nur eine Person, sondern einen gesellschaftlichen Konsens.“ Die Springer-Presse bestimmt offenbar, was Konsens ist.
Außenminister Heiko Maas fühlte sich zum Eingreifen ermutigt und twitterte: „Es liegt an uns, für eine freie Gesellschaft einzutreten und die Demokratie gemeinsam zu verteidigen. Danke an Herbert #Grönemeyer und allen anderen, die das jeden Tag tun.“ Auf der Lengsfeld-Seite machte man sich lustig, dass Maas nicht in der Lage sei, mit Dativ und Akkusativ ordentlich umzugehen.
So wurde wieder einmal eine sehr deutsche Debatte geführt. Dabei hätte der Außenminister der Erste sein müssen, der versteht, dass hier ein Piefke zur Diktatur in Österreich aufgerufen hatte. Altmodisch gesprochen: Das ist Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates, und das mitten im Wahlkampf. Auch die EU-Verträge ermächtigen Deutschland nicht, seine Finger in die Wahlkämpfe anderer Länder zu stecken.
Das toppte dann ZDF-Moderator Claus Kleber am Wahlabend. Die österreichischen Grünen erreichten 13,9 Prozent der Stimmen, was einem Zuwachs von 10,1 Prozent entspricht. Kurz kann so eine Zweier-Koalition der ÖVP mit den Grünen, den Sozialdemokraten oder wieder mit der FPÖ bilden. Letztere sehen für sich derzeit keinen Regierungsauftrag, mit der SPÖ geht es wohl atmosphärisch nicht und mit den Grünen gibt es eine politische Schnittmenge von höchstens 20 Prozent. Die Regierungsbildung wird trotz des klaren Wahlsieges der ÖVP voraussichtlich nicht einfach. Deshalb hatte Sebastian Kurz am Wahlabend nicht nur seinen Wählern gedankt, sondern auch betont, er werde mit allen drei Parteien reden. Kleber, der Kurz zum Interview im heutejournal vor der Kamera hatte, wollte diesen jedoch ausschließlich darauf festlegen, eine neuerliche Koalition mit der FPÖ auszuschließen.
Nach mehreren Anläufen, denen Kurz stets charmant ausgewichen war, fragte Kleber: „Trotzdem schließen Sie heute Abend auch eine Koalition mit den Rechtsnationalen nicht aus, warum?“ Kurz antwortete, er vollziehe nur das, was er vor der Wahl versprochen hatte. Kleber noch einmal, jetzt energischer: „Wäre jetzt nicht von Ihnen eine klare Ansage genau das Richtige?“ Kurz, wieder deutlich: „Vielleicht würden Sie besser wissen, was ich tun sollte, als ich das selbst weiß.“
Ja, offensichtlich. Kleber und die anderen Piefkes, beanspruchen in der Tat, besser als Kurz selbst zu wissen, was dieser tun soll. Daher schließlich nochmals Kleber: Kurz solle gefälligst die Erwartungen anderer EU-Regierungen berücksichtigen. Er wisse doch, „dass die deutsche Regierung, die Benelux-Regierungen und die Frankreich-Regierung sehr darauf hoffen, dass die Allianz mit den zweifelhaften Rechtsnationalen in Österreich aufhört“. Nun entgegnete Kurz: „Nein, ich bin meinen Wählerinnen und Wählern verpflichtet und nicht dem Ausland und auch nicht irgendwelchen Medienvertretern oder anderen Tippgebern.“
Österreichische Politik soll auch künftig in Wien und nicht in Berlin gemacht werden. Dass das für „Partnerländer“ in der EU nicht immer leicht ist, weiß man zum Beispiel in Athen zur Genüge.
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