von Jörg Lutter, Sarayaku
Sarayaku hat es zu internationaler Bekanntheit gebracht, als das kleine Dorf 2002 den Staat Ecuador vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica verklagte. Damals hatte die Regierung einer Erdölfirma die Lizenz erteilt, auf dem Gemeindegebiet nach Öl zu bohren. Daraufhin legte Sarayaku Einspruch ein. Nach fast zehnjährigem Prozess gaben die Richter den Dorfbewohnern Recht. Gegen den Willen der Einwohner, deren Abordnung mit Federschmuck im Gerichtssaal saß, hätte die Regierung der Firma die Bohrlizenz nicht geben dürfen. 1,3 Millionen Dollar Entschädigung musste Ecuador an das Dorf zahlen.
Bei vielen indigenen Völkern zerbricht der Zusammenhalt, sobald der „weiße Mann“ erscheint. Sarayaku dagegen erstarkte durch die Auseinandersetzung um das Öl. Sein Kampf ist auch eine Geschichte, wie es einem Indio-Dorf gelingen kann, seine uralten Traditionen zu bewahren und dennoch in der modernen Welt zu bestehen.
135.000 Hektar haben die Kitchwa zu verteidigen – viel Land (größer als vergleichsweise Berlin). Das meiste ist unberührter Dschungel. Eine Straße zum Dorf gibt es nicht, nur einen Fluss, den Rio Bobonaza. Je nach Wasserstand dauert die Fahrt im motorisierten Einbaum aus der nächstgelegenen Stadt fünf bis sieben Stunden. Seit jeher basiert das Leben der Dorfbewohner auf Fischfang, Jagd und Wanderfeldbau.
Daran, dass das Dorf noch immer so unberührt ist, hat die Familie Gualinga einen großen Anteil. Eriberto Gualinga ist der Filmemacher von Sarayaku. In ihm vereint sich die archaische mit der modernen Wirklichkeit. Auf Festivals rund um die Welt waren seine Dokumentationen zu sehen und wurden ausgezeichnet. Er spricht an amerikanischen Universitäten über „Indigene Kommunikation“. Es waren seine Filme, die den Kampf Sarayakus zuerst in Ecuador bekannt machten, danach im Rest der Welt. „Ohne die Öffentlichkeit wären wir chancenlos gewesen“, sagt Eriberto. Eine seiner Dokumentationen heißt „Die Nachkommen der Jaguare“ und ist auf YouTube zu sehen. Die Geschichte handelt von einem Krieg, der noch nicht vorbei ist.
2002 waren am Ufer des Rio Bobonaza einige Arbeiter des argentinischen Ölkonzerns CGC mit Hubschraubern abgesetzt worden. Ohne Wissen der Indios hatte die Regierung der Firma eine Lizenz erteilt. Etwas später überfielen Schlägertrupps das Dorf. In den ecuadorianischen Medien wurde Sarayaku als rückständig bezeichnet. Schließlich bringe das Öl doch Entwicklung, Arbeitsplätze und Wohlstand. Die Gualingas und andere überzeugte das nicht, denn sie kannten den Fall Lago Agrio.
Texaco hatte 400 Kilometer nördlich von Sarayaku 30 Jahre lang Öl gefördert. Boden und Gewässer waren verseucht, als der Konzern 1992 abzog. Bis heute ist die Krebsrate in der Region enorm. Auch die Bewohner von Lago Agrio klagten. 2011 verurteilte ein ecuadorianisches Gericht die Texaco-Mutter Chevron zu einer Rekordstrafe von 9,5 Milliarden Dollar. Bis heute weigert sich Chevron, die Summe zu zahlen. Man schiebt die Schuld für die Verseuchung auf die ecuadorianische Firma, die das Fördergebiet übernahm. „Wir waren gewarnt“, erinnert sich Eriberto.
Der Fortschritt sollte den Uneinsichtigen nun mit Gewalt gebracht werden. Sie erhielten Morddrohungen, Brände wurden gelegt, schließlich wollte man sie mit Geld gegeneinander ausspielen. Einmal versuchten Ölarbeiter, Indiomädchen zu vergewaltigen, die sie im Wald überrascht hatten. Kitchwa-Männer gingen daraufhin mit Macheten auf Patrouille. Sie nahmen mehrfach Arbeiter fest, die Dynamitstangen vergruben, um Ölfelder durch Sprengungen zu lokalisieren.
In dieser Zeit bewaffnete sich Eriberto – mit seiner Kamera. Sein Film brachte viele Ecuadorianer auf die Seite der Kitchwa. „Ich begriff, welche Macht die Medien haben“, sagt Eriberto.
Anderswo in Ecuador ist der Kampf bereits gegen die Indios und den Amazonaswald entschieden. Ein Vorschlag der Regierung, den artenreichen Nationalpark Yasuni zu schützen, wenn die internationale Gemeinschaft einen Ausgleich für das dort im Boden befindliche Erdöl zahlt, scheiterte 2002. Quito gab, nachdem nicht genügend Mittel zusammengekommen waren, das Amazonasbecken praktisch zur Ausbeutung frei. Über Tausende Kilometer verlaufen Pipelines durch den Dschungel. Transporter, unterwegs zu den Bohrlöchern, dröhnen auf den Straßen durch den Regenwald.
Das kleine Dorf Sarayaku aber bekam im Kampf gegen die mächtigen Ölkonzerne Unterstützung aus der ganzen Welt, vor allem dank des unermüdlichen Einsatzes von Patricia Gualinga, der Sprecherin der Gemeinde. Amnesty International nennt die mutige Frau respektvoll „Frontline-Defender“.
Der Konflikt jedenfalls wurde mit der Zahlung der 1,3 Millionen Dollar vorläufig beendet. Ein neues Kapitel in der Geschichte Sarayakus begann. Mit 300.000 Dollar wurde das erste indigene Geldinstitut, die Solidarbank Sarayaku, mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung gegründet. Die Idee hatten die Frauen, die der Meinung waren, dass zu viel Geld in privaten Händen schädlich sei. Es verändere die Beziehungen unter den Menschen, sie würden misstrauischer.
Weitere 600.000 Dollar der Entschädigungszahlung verwendeten die Kitchwa für den Kauf zweier kleiner Cessna-Propellerflugzeuge. Damit gründeten sie Air Sarayaku, die erste indigene Airline. Wie bei der Bank herrscht auch hier das Solidarprinzip. 400 Dschungeldörfer werden angeflogen, meist sind die Passagiere Opfer von Schlangenbissen, die rasch ins Krankenhaus müssen. Außerdem wurde in einen sonnenenergiebetriebenen Internetzugang investiert, dessen Nutzung zwar begrenzt, aber gerecht aufgeteilt ist. Hier wird nach dem Motto gelebt „Gib, was du kannst, und nimm nur, was du brauchst.“ Es gibt die Minga, die traditionelle Gemeinschaftsarbeit, vergleichbar dem Subbotnik. Das oberste Prinzip der Kitchwa – Sumak kawsay – ist das harmonische, solidarische, das gute Leben (buen vivir) mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft, nicht aber auf deren Kosten, und im Einklang mit der Natur.
„Zusammenleben in Vielfalt und Harmonie“, heißt es auch nach der Reform in der Präambel der ecuadorianischen Verfassung. Noch immer aber scheint der ecuadorianische Staat, für den die Einnahmen aus dem Ölexport sehr wichtig sind, auf die Ölfelder von Sarayaku zu spekulieren. Möglicherweise ist das der Grund, warum die Regierung Teile des Urteils bisher nicht umgesetzt hat. Die von der CGC in Sarayaku vergrabenen 1,4 Tonnen Dynamit wurden immer noch nicht beseitigt. Hinzu kommen neuerliche Verletzungen der Gemeindegrenzen durch Ölfirmen benachbarter Konzessionsgebiete. Leider lässt die reaktionäre politische Entwicklung im brasilianischen Teil des Amazonasgebietes ebenso nichts Gutes ahnen. Die Bewohner werden also auch in Zukunft darum kämpfen müssen, dass es in Sarayaku so idyllisch bleibt.
Jörg Lutter, Jahrgang 1962, arbeitete 1992 für die OPIP (Organización de Pueblos Indígenas de Pastaza) und war danach 25 Jahre bei der Ökogutachten-Firma NATUR+TEXT in Rangsdorf tätig. Er lebt zurzeit in Sarayaku.
Schlagwörter: Amazonasgebiet, Ecuador, Indigene, Jörg Lutter, Ölförderung, Regenwald