22. Jahrgang | Nummer 15 | 22. Juli 2019

Allein auf weiter Flur ist man kein Kämpfer

von Alexander Iwanowitsch Herzen

Großartige Dinge werden durch großartige Mittel vollbracht.
Die Natur allein schafft Großes umsonst.

Die gleichen wunden Stellen bringen Menschen rasch einander näher.

Wollten die Menschen, statt die Welt zu retten, sich selber retten; statt die Menschheit befreien, sich selber befreien, – wieviel würden sie da zur Rettung der Welt und zur Befreiung der Menschheit beitragen!

Schriftsteller sind nicht Ärzte. Sie sind der Schmerz.

Ein Zustand chronischer Begeisterung ermüdet und verärgert.

Ein Leben lang arbeiten, um nicht Hungers zu sterben, und nicht Hungers zu sterben, um zu arbeiten – was für ein kluger und nützlicher Zeitvertreib!

Liebe und Freundschaft sind wie ein Echo:
Sie geben soviel zurück, wie sie erhalten.

Betrachtet der Mensch die Natur und das Leben mit einer für alles Schöne empfänglichen Seele, offenen Auges und ohne Eigennutz, dann werden sie ihm auch viel Vergnügen bereiten.

Der Egoismus haßt das Allgemeine, er reißt den Menschen von der Menschheit los, versetzt ihn in eine Ausnahmeposition, ihm ist alles fremd, außer der eigenen Persönlichkeit.

Vielleicht rächen wir uns für unsere Unfähigkeit, indem wir andere Wesen foltern.

Mir kam heute in den Sinn, daß die selbstloseste Liebe am Ende nur der größte Egoismus ist und daß die größte Demut und Sanftmut im Grunde nichts anderes ist als entsetzlicher Stolz und versteckte Heftigkeit.

Aller Weisheit Anfang ist Achtung vor der Weisheit.

Ich ziehe die Fortbewegung des ganzen Körpers der Fortbewegung des Gehirns vor und lasse mich lieber in der Welt umherwirbeln, als daß es mir im Kopf wirbelt.

Wer von uns ist nicht schon auf die Unwissenheit der weltlichen Gesellschaft gestoßen und darüber errötet (ich rede nicht von den Gelehrten, sondern von den Leuten, aus denen die Gesellschaft besteht)? Eine ernsthaft theoretische Bildung kann es dort nicht geben; sie erfordert zuviel Zeit, sie lenkt zu sehr vom Geschäft ab. Da in der bürgerlichen Gesellschaft alles, was außerhalb der Handelsumsätze … liegt, nicht wesentlich ist, muß ihre Bildung notwendig eine beschränkte sein.

Fatalismus ist an und für sich grenzenlos traurig.

Nur die Liebe schafft Bleibendes und Lebendiges, Stolz ist unfruchtbar, weil er außer sich nichts kennt…

Das Gesicht eines Schlafenden hat bisweilen
etwas besonders Rührendes, Zauberhaftes an sich…

Die Körperstrafe entehrt in gleichem Maße den Bestraften wie den Strafenden.

Wir sind entweder dümmer in unserem Glauben oder klüger in unserem Zweifel.

Das völlige Fehlen jeder regelmäßigen Arbeit ist für den Menschen unerträglich.

Die Menschen bringen für unnötige Dinge Geldopfer. Ihre phantastischen Ziele sind ihnen am teuersten.

Es ist zehnmal besser, offen auszusprechen, was los ist, zehnmal besser, die Phantasie zu erschrecken, als ihr freien Lauf zu lassen.

Von der Phantasie aber läßt man sich auch ohne Erziehung davontragen, mitreißen, ohne zu überlegen.

Das heutige Geschlecht lebt zu schnell.

Wenn man liebt, muß man alles sagen können.

Das Alter hat seine Schönheit, keine von Leidenschaften, Gefühlsausbrüchen geprägte, sondern eine erlöschende, beruhigende Schönheit.

Die Menschen ersinnen sich selbst ihre Qualen.

Der Mensch ist so verklemmt, daß er es nicht wagt,
auch nur einem seiner Gefühle freien Lauf zu lassen.

Die mündig gewordene Logik verachtet kanonisierte Wahrheiten, sie hält nichts für heilig …

Bücher finden von selbst ihren Weg.

Weh dem, der sich nicht selbst genug sein kann!

Allein auf weiter Flur ist man kein Kämpfer.