22. Jahrgang | Nummer 13 | 24. Juni 2019

Antworten

Jürgen Habermas, Sozialphilosoph – Sie gehören zweifelsfrei zu den bekanntesten Geisteswissenschaftlern, die Westdeutschland nach 1949 hervorgebracht hat. Unserer Erscheinungsweise geschuldet, gratulieren wir zu Ihrem 90., den Sie bereits am 18. Juni begingen, leider erst heute. Doch verspätete gute Wünsche – unsererseits: Gesundheit!, Gesundheit!, Gesundheit!; alles weitere findet sich erfahrungsgemäß – gehen wenigstens nicht in der laudationalen Flut unter.
Zugleich fällt ein weiteres Jubiläum in das Jahr des Ihrigen, an dessen Ursprungsgeschehen Sie auf eine Weise Anteil hatten, die uns noch heute schwer im Magen liegt. 1999, quasi auf den Tag vor 20 Jahren, zog die Bundeswehr erstmals seit ihrer Gründung in einen Krieg. Zusammen mit der NATO im bereits zerfallenen Jugoslawien. Dazu gehörte die Bombardierung Serbiens von März bis Juni jenes Jahres. Und alles ohne UN-Mandat, vulgo nach damaligen allgemein anerkannten Standards – völkerrechtswidrig. Das hat der seinerzeitige deutsche Oberbefehlshaber, der SPD-Kanzler Schröder, später auch eingeräumt. Sein verantwortlicher Hauptmittäter war der grüne Außenminister Fischer.
Völkerrechtlich Absolution erteilt haben den damaligen Tätern ausgerechnet Sie, der Sie zum bestehenden Völkerrecht natürlich eine Meinung haben durften, sich aber darüber hinaus offenbar auch zur Revision desselben berufen fühlten. In einem ZEIT-Beitrag adelten Sie das Geschehen als einen möglichen „Sprung auf dem Wege des klassischen Völkerrechts der Staaten zum kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft“. Ganz wohl scheint Ihnen dabei allerdings nicht gewesen zu sein, denn Sie schlossen mit einer Mahnung: „Die Selbstermächtigung der Nato darf nicht zum Regelfall werden.“
Den Kommentar dazu haben die nachfolgenden Entwicklungen geschrieben.

Oskar Lafontaine, Scherzbold – Nach dem Abgang von Andrea Nahles stellten Sie im Interview mit der Berliner Zeitung fest, die SPD habe „ihre Wählerinnen und Wähler regelrecht vertrieben“. Welche SPD meinen sie eigentlich? Nur die von Andrea Nahles oder auch die von Katja Kipping?

Slavoj Žižek, kein Mainstreamer – In der NZZ analysierten Sie die Lage der Linken nach der Europawahl. „Das ist die Welt, in der wir heute leben: Radikale Linke setzen auf Austerität, während Rechtspopulisten den Sozialstaat für sich entdeckt haben. Und die Leute schütteln den Kopf.“ Hier hatte er Griechenlands Syriza im Sinne, dennoch nachdenkenswert auch für Nichtgriechen.
„Was der Linken überall fehlt, ist eine neue linke Vision für Europa. Ihre Ideenlosigkeit kaschiert sie, indem sie sich an den Rechtspopulisten abarbeitet. Doch der Populismus stellt nicht die große Bedrohung für Europa dar. Denn die Populisten sind bloß eine Reaktion auf das Scheitern des politischen Establishments, dem emanzipatorischen Erbe Europas treu zu bleiben.“
Wir hoffen, Ihre Stimme wird gehört bei Linken.

Bettina Gaber und Verena Weyer, mutige Ärztinnen aus Berlin-Steglitz – Gegen Sie brachte kürzlich eine Berliner Staatsanwältin das perfide Geschütz des Paragraphen 219a des deutschen Strafgesetzbuches in Stellung, der für „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe vorsieht. Unter „Werbung“ verstehen religiös-fundamentalistische Köpfe in Deutschland bereits die Information an hilfesuchende Frauen darüber, was sie erwartet, wenn sie sich in medizinische Hände begeben.
Das Ganze erschien selbst der verhandelnden Richterin als so starker Tobak, dass sie – obzwar an den Buchstaben eines menschenfeindlichen Paragraphen gebunden – bei ihrem Urteil deutlich unter dem Antrag der Staatsanwältin blieb. Wenn Sie, Frau Gaber, dennoch ankündigen in Berufung zu gehen – „Wir machen weiter, denn es muss dringend etwas passieren.“ –, so stehen wir an Ihrer Seite. Natürlich muss dieser Schandparagraph gestrichen werden.

Manuela Schwesig, Superwoman aus Mecklenburg-Vorpommern – „Wenn ich etwas mache, gebe ich 200 Prozent“, verkündeten Sie jetzt bei einem Salongespräch des Redaktionsnetzwerkes Deutschland. 200 Prozent, wow! Wenn Sie tatsächlich etwas geben wollen, belassen Sie es bitte bei 100 Prozent. 100 Prozent haben schon die Bedeutung von „alles“. Geben Sie also 95 Prozent – und halten noch eine kleine Kraftreserve für Unvorhergesehenes zurück. Eine Politikerin müsse ja nicht mit Zahlen rechnen können, erklärte uns einmal die Bundesbildungsministerin. Aber ein gewisses Mengenverständnis sollte man in der Politik schon aufweisen können. Sonst geht man schnell als Großmaul unter.

Franziskus, auch Rundfunkchef – Wie hat die Welt das vermisst! Ihr Wochenbericht wird jetzt von Radio Vatikan auch auf Latein ausgestrahlt. „Hebdomada Papae“ – „Die Woche des Papstes“. Die römische Kirche hatte schon immer einen langen Atem. Aber immerhin füllen Sie den alten Wein in neue Schläuche: „Hebdomada Papae“ gibt es auch als Podcast. Jetzt sind wir natürlich gespannt, ob ein paar bewährte Mittelchen zum Beispiel der Glaubenskongregation, böse Menschen nennen die immer noch „Inquisition“, endlich wieder reanimiert werden. Bannflüche und Aufforderungen zum Holzstapeln kann man schließlich auch über Twitter versenden.

Blättchen-Leser, schnell Erzürnte – Kürzlich entbrannte in unserer Gemeinschaft der Lesenden und Schreibenden eine Debatte, ob man von einem Kundigen verlangen dürfe, etwas aufzuschreiben, zu dem man mangels eigener Kundigkeit nicht in der Lage ist. Die Antwort auf diese nur scheinbar banale Frage gab Bertolt Brecht bereits im Jahre 1938 mit seinem Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“. Er erzählt in dieser Parabel, wie ein Zöllner den Philosophen erst über die Grenze ließ, als dieser bereit war, sein Wissen aufzuschreiben: „Aber rühmen wir nicht nur den Weisen / dessen Name auf dem Buche prangt! / Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen. / Darum sei der Zöllner auch bedankt: / Er hat sie ihm abverlangt.“