22. Jahrgang | Nummer 6 | 18. März 2019

Pakistan am Pranger

von Edgar Benkwitz

Zwischen Indien und Pakistan hat es wieder einmal gehörig gekracht. Auslöser für die militärischen Aktionen war ein Terroranschlag auf einen indischen Militärkonvoi im kaschmirischen Pulwama am 14. Februar. Ein PKW, mit Sprengstoff beladen und von einem 19-jährigen Kaschmiri gesteuert, rammte in einen Bus, 40 Soldaten kamen ums Leben. Die Verantwortung dafür übernahm die in Pakistan ansässige und von der UNO geächtete islamistische Terrororganisation Jaish-e-Mohammad (Mohammeds Armee).
Indien war doppelt alarmiert, denn die Vorgehensweise des Attentats weist auf IS- oder Al-Quaida-Einfluss hin, ein für das Land neues Phänomen. Da die pakistanische Regierung nichts gegen die bekennenden Attentäter unternahm, antwortete Indien zwölf Tage später mit einem „nichtmilitärischen Präventivschlag“: Die indische Luftwaffe drang etwa 40 Kilometer in pakistanisches Hoheitsgebiet ein und bombardierte im Ort Balankot ein Ausbildungslager der Jaish-e-Mohammad. Dabei sollen Terroristen und militärische Ausbilder getötet worden sein. Nur einen Tag später flog Pakistans Luftwaffe in „Wahrnehmung des Rechts auf Selbstverteidigung“ einen Angriff auf indisches Gebiet, der aber abgefangen wurde.
Die internationale Reaktion auf den Vorfall zeigt, dass sich Indien als Opfer des Terroranschlags durchaus Sympathien erfreut, auch sein riskanter Luftangriff wird weitgehend toleriert. Pakistan dagegen gerät zunehmend auf die Anklagebank. Sein Dauerargument, dass man nichts mit dem Attentat zu tun habe, das vielmehr den Widerstand der Bevölkerung im indischen Kaschmir zeige, findet kaum noch Gehör. Wie bei früheren Anschlägen wird bestritten, dass von pakistanischem Boden Terroristen gegen Indien operieren. Beweise werden verlangt, die „vor Gerichten Bestand“ haben. Doch Indien hat mit derlei Stellungnahmen seine Erfahrungen. Bei den furchtbaren Attentaten auf das indische Parlament 2001, auf das Taj-Mahal-Hotel in Mumbai 2008 oder jüngst auf Militärstützpunkte in Uri und Pathankot waren nachweislich Drahtzieher und Täter aus Pakistan am Werk. Indien lieferte dafür detaillierte Beweise, ließ sogar pakistanische Experten ermitteln. Doch trotz vieler Beteuerungen erfolgten keine durchgreifenden Maßnahmen gegen die Beschuldigten. Die New York Times vom 8.März stellte in einer Betrachtung dazu fest: „Pakistan hat niemals ernsthaft die militanten Gruppierungen zerschlagen, die Indien attackieren.“
Für die indische Regierung waren diese Erfahrungen Anlass, ihr Vorgehen gegen Pakistan entscheidend zu ändern. Bereits im September 2016 antwortete sie nach einem Überfall auf ein Armeelager im kaschmirischen Uri, bei dem 19 Soldaten getötet wurden, mit einer Kommandoaktion, die mit Hubschraubern und Bodentruppen einen Schlag gegen Terroristenlager jenseits der Waffenstillstandslinie führte – also auf pakistanischem Gebiet. Der erstmalige Einsatz von Kampfflugzeugen bedeutet jetzt eine Steigerung der militärischen Maßnahmen. Indien gibt damit eindeutig zu verstehen, dass auf schwere terroristische Aktivitäten grenzüberschreitend militärisch reagiert wird. Pakistanische Gegenschläge, die unweigerlich folgen und deren Ausmaß ungewiss ist, nimmt die hindunationalistische Regierung stillschweigend in Kauf. Nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen – das Land steht im Wahlkampf – will man gegenüber Pakistan Stärke demonstrieren. Unverkennbar ist das neue Herangehen auch an Pakistans Verbündeten und „Allwetterfreund“ China gerichtet. Ein Signal soll überdies nach Afghanistan gesendet werden, denn Indien sieht eventuellen Abmachungen der USA mit der Talibanführung besorgt entgegen. Insbesondere wird befürchtet, dass dort nicht mehr geduldete Terroristen über Pakistan in das muslimische Kaschmir geschleust werden.
In seinem Bestreben, Pakistan politisch in die Defensive zu drängen, kann Indien Erfolge verzeichnen. So verurteilte der UN-Sicherheitsrat erstmalig einen Anschlag auf indischem Gebiet und forderte Pakistan auf, gegen die Drahtzieher vorzugehen. Auch haben sich die Aussichten verbessert, dass der Führer der Jaish-e-Mohammad, der in Pakistan frei umherlaufende Mazood Azhar, auf die UN-Sanktionsliste als „globaler Terrorist“ gesetzt wird. Einen Erfolg errang Indien auch auf beim Treffen zum 50. Gründungstag der Organisation Islamischer Staaten in Abu Dhabi. Der pakistanische Außenminister boykottierte das Ministertreffen, da seine Forderung nach Ausladung der indischen Außenministerin als Ehrengast nicht erfüllt wurde. Ausgerechnet Saudi Arabien und die Golfstaaten wiesen das pakistanische Ansinnen zurück. Die indische Chefdiplomatin hielt eine Rede, die sich unter anderem mit dem Terrorismus auseinandersetzte.
Der gewachsene internationale Druck auf Pakistan zeigt sich auch in der schnellen Rückführung des gefangenen indischen Piloten. Zudem begann die pakistanische Regierung Anfang März, eine Reihe islamistischer Einrichtungen im Land zu schließen, führende Mitarbeiter wurden in Vorbeugehaft genommen. Doch werden diese Maßnahmen ausreichen? Der ehemalige Chef des afghanischen Geheimdienstes R. Nabil sprach jüngst von mehr als 45 vom pakistanischen Militärgeheimdienst ausgehaltenen Terrorgruppen. Die New York Times stellte fest, dass diese Gruppen vom Geheimdienst beschützt und bewaffnet werden. Hier scheint der eigentliche Kern des Problems zu liegen, der eine Lösung so schwierig macht.
Der Aufrechterhaltung des Drucks von außen dient auch ein erneuter Antrag der USA, Frankreichs und Großbritanniens zur Ächtung des Terrorismus in Pakistan durch den Sicherheitsrat. Wie sich dazu China verhält, das Pakistan in der Vergangenheit durch sein Veto wiederholt beschützt hat, ist nicht klar. Im Moment wirkt es mäßigend auf die pakistanische Führung ein; Peking befürchtet, dass eine Zuspitzung der Lage seinem großen Engagement in Pakistan abträglich sein könnte. Eine Rolle spielen auch die laufenden Verhandlungen Pakistans mit der Weltbank über die Gewährung eines dringend benötigenden Milliardenkredits. Die USA, deren Stimme entscheidend ist, ziehen eine Ablehnung in Betracht, falls keine klare Auskunft über die konkrete Verwendung der Gelder vorliegt. Auch die Beobachtergruppe zur Finanzierung des internationalen Terrors (FATF) verlangt von Pakistan Auskünfte. Ihre 35 Mitgliedstaaten plus EU und Golf-Kooperationsrat hatten Pakistan im Juli 2018 unter Beobachtung gestellt und auf die sogenannte Graue Liste gesetzt. Eine Überprüfung soll im Mai erfolgen. Fällt sie ungünstig aus, droht Pakistan ein Platz auf der „Schwarzen Liste“, der praktisch eine Kreditvergabe durch multilaterale Organisationen ausschließt.
Der grenzüberschreitende Terror aus Pakistan, der nicht nur Indien, sondern vor allem Afghanistan und auch Iran betrifft, birgt neuerdings die enorme Gefahr in sich, dass Terroranschläge sehr schnell in regionale militärische Konflikte mit verheerenden Folgen umschlagen können. Indien und Pakistan besitzen Atomwaffen, pakistanische Militärs und Politiker haben wiederholt öffentlich mit deren Einsatz gedroht. Doch auch Indien, das sich zu gern als Großmacht sieht, sollte konstruktive Wege zur Lösung der Konflikte suchen. Sein Bemühen, Pakistan international an den Pranger zu stellen und politisch-diplomatisch unter Druck zu setzen, ist erfolgversprechend. Gleichzeitig steht vor Neu Delhi die schwere Aufgabe, endlich die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme im indischen Teil Kaschmirs anzupacken und die ausufernden repressiven Maßnahmen der Sicherheitsorgane einzugrenzen. Denn die schaffen nun schon seit vielen Jahren den idealen Nährboden für Unzufriedenheit, Protest und Gewalttätigkeiten – die Voraussetzung für pakistanische Bemühungen, eines Tages doch noch ganz Kaschmir seinem Staatsgebiet zuzuschlagen.