von Matthias Dohmen
Ein grandioses Werk! Birgit Lahann, deren „Rolf Hochhuth. Der Störenfried“ (Dietz/Bonn 2016) an dieser Stelle positiv gewürdigt worden ist, hat ein packendes Buch über Dichter und Denker des 20. Jahrhunderts geschrieben.
Es beginnt mit einem Kapitel über die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin. Neun „Sprüche“, neun Mal konzentrierter Ungeist und ein Vorgeschmack auf Judenverfolgung, den gnadenlosen Kampf gegen die Arbeiterparteien und das Inferno des Zweiten Weltkriegs. Den „Flammen übergeben“ wurden Schriften etwa von Karl Marx und Karl Kautsky, von Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Sigmund Freud, Theodor Wolff sowie Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Es war ein Fanal: Über 200 Schriftsteller erhalten Publikationsverbot und verlassen das Land. Andere wie Erich Kästner bleiben in Deutschland, wiederum andere passen sich an oder unterstützen gar die neuen braunen Machthaber.
Das ist oft beschrieben worden, selten so wuchtig, aber auch einfühlsam wie in den knapp 20 Kapiteln der hier besprochenen Veröffentlichung, deren zeitlicher Rahmen – anders, als es der Titel suggeriert – vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die jüngste Zeit reicht.
Zwei Kriege, zwei Niederlagen, eine fürchterlicher als die andere. Aber auch sinnvoll und notwendig, wie Kästner wusste, der darüber schrieb, was passiert wäre, wenn „wir“ 1918 „gesiegt“ hätten:
Dann läge die Vernunft in Ketten
Und stünde stündlich vor Gericht.
Und Kriege gäb’s wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten –
zum Glück gewannen wir ihn nicht.
Es ist nicht nur der Atem der Zeit, der den Leser anweht, sondern auch der Literaturgeschichte, auf welche die Autorin einen eigenwilligen Blick richtet. Es sind nicht nur bekannte Namen, die auftauchen, sondern auch ein Schriftsteller wie Alexander Boschwitz, dessen „großer Exilroman“ mit dem Titel „Der Reisende“ unmittelbar nach der „Reichskristallnacht“ geschrieben wurde, aber erst 2018 in der Originalsprache erschien (bei Klett/Cotta).
Lahann macht sie alle dingfest, die Mutigen und die Verzagten. Auch die Überläufer, wie Arnolt Bronnen einer war, der vom „linken Wutbürger zum wüsten Nazi“ mutierte und schließlich in der DDR sein Gnadenbrot fand.
Mit großem Einfühlungsvermögen wird das schriftstellernde Personal vor allem der Weimarer Republik geschildert – mit allen Irrungen und Wirrungen. Nehmen wir Gerhart Hauptmann, dem Alfred Kerr, nachdem sein alter Freund „den Hakenkreuzlappen“ auf seinem Grundstück gehisst hat, nachruft: „Ich kenne diesen Feigling nicht. Dornen sollen wachsen, wo er noch hinwankt“.
Äußerst differenziert das Bild, das von Gustaf Gründgens oder auch von Gottfried Benn, ja von Friedrich Sieburg („ein begabter Hanswurst mit hysterischem Geltungstrieb“, wie ein früherer Freund konstatierte) oder Stefan George gezeichnet wird. Oder von Hermann Hesse (in der Rezeption durch Hauptmann und Kerr).
So souverän geht selten jemand um mit der Technik der Montage wie Birgit Lahann. Die reichlich vorhandenen Zitate sind integraler Teil, wenn nicht Kern des „Romans“, den sie verfasst hat, und wenn man anderweitig beklagen muss, dass Zitiertes nicht penibel nachgewiesen ist in Fußnoten: Hier ist man dankbar darum, weil es den Lesefluss hemmen würde, wo man sich forttragen lässt von den Originaltönen eines Kurt Tucholsky oder eines Walther Rathenau. Oder der Schilderung der Situation 1918/19 durch Sebastian Haffner.
Nur, lieber Verlag, warum hat dieses überaus verdienstvolle Taschenbuch kein Personenregister? Und der Titel ist ebenfalls suboptimal schon des abschreckenden Fäkalwortes wegen, aber mehr noch, weil es den Inhalt zu sehr verengt auf jüdischen Widerstand in Zeiten des Faschismus. Ohne Zweifel, die 310 Seiten sind des Rezensenten Buch des Jahres.
Birgit Lahann: „Wir sind durchs Rote Meer gekommen, wir werden auch durch diese braune Scheiße kommen“. Schriftsteller in Zeiten des Faschismus, Dietz-Verlag, Bonn 2018, 310 Seiten, 24,00 Euro.
Schlagwörter: Birgit Lahann, Bücherverbrennung, deutsche Schriftsteller, Fschismus, Matthias Dohmen