21. Jahrgang | Nummer 18 | 27. August 2018

106:63

von Eckhard Mieder

Mich regt nichts auf. Die Schönheit nicht
Der Frauen, Berlin nicht, mag es schrillen,
Brüllen, Vorsichhinchillen. Mein Blut, mein Herz,
Ein Schlagen nach innen, eine Wand, jenseits
Das Blut aus dem letzten Jahrhundert fließt
Und aus denen davor; ein unfassbares Maß an Gleichheit
Und an Grauen, die Raben fliegen über mir
Mit ihrem Gedächtnis seit Brest-Litowsk.

Ich wohne diesseits der Mauer. Ich bin
Die Maus im Speck. Die Doktoren der Medizin
Erklären mich von Mal zu Mal für gesund.
Mich haben die Gerüche verlassen: die nach
Dem Bier und der Bockwurst in der Mitropa, die
Nach den wollenen Schlüpfern, die nach dem
Schmelzenden Eis in meiner Kinder-Hand, und die
Nach dem Leim an den Litfaß-Säulen.

Mich regt nichts auf. Das Blut fließt
Durch meine Adern; seit Jahrhunderten fließt
Das Blut. Keine Windel, kein Verband, kein
Zerrissenes Hemd stoppt den Fluss. Nur manchmal
Erinnere ich mich an mein Leben am Rande
Des Spinnennetzes, des mörderischen; den Schrei
Des Opfers hörte ich nicht, nur ein leichtes Beben
Fuhr mir durch die Fußsohlen bis kurz vors Herz.

05.07.2018