von Jens Langer
Die Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel ist jüngst wieder einmal mit einem Manuskript aus Mecklenburg-Vorpommern gesegnet worden und hat es postwendend publiziert. Dazu war zuerst aber einmal der Fleiß der Tüchtigen vonnöten – der unermüdlichen Herausgeberin und ihrer Mitstreiter, vor allem aber der Elan der 15 Personen starken Zeitgenossenschaft aus dem einstigen Burckhardthaus-Ost von beispielsweise Marianne Birthler über Karin Hardt, Edith Schröder, Christa Walter und Elisabeth Wilpert bis zu Vertretern des Lehrkörpers dieses eigenständigen Seminars zur Ausbildung von Frauen für die kirchliche Gemeindearbeit zu DDR-Zeiten sowie für Männer und Frauen für die Jugendarbeit und die Leitung in den Kirchgemeinden. Gegründet zu Anfang des vorigen Jahrhunderts und immer sozial und pädagogisch innovativ.
Unter den Erinnerungen befinden sich Auszüge von Briefen, die die begeisterte Auszubildende Irma Eigi einst ihrer Mutter nach Hause schrieb. Diesen Teil hat Astrid Utpatel-Hartwig organisiert und redigiert – schöne Arbeit mit feinem Ergebnis!
Noch nie zuvor habe ich Rückblicke auf die erfolgte Ausbildung und Lehrtätigkeit gelesen, in denen so oft von „wunderbar“, „großartig“, „ausgezeichnet“, „beeindruckend“ sowie dem Superlativ von „intensiv“ gesprochen wird. Bei Erinnerungen aus unserer Hemisphäre! Was im Burckhardthaus gelehrt wurde und wie es gelehrt wurde, sei eine Offenbarung gewesen, schreibt der Dozent Christian Lange. Diese Wirkung war mehrdimensional verursacht: durch den ganzheitlichen Ansatz, die Rückkopplung zwischen den Teilnehmenden, ihre Eigenverantwortung, die Lern- und Lebensgemeinschaft – bei alledem und insgesamt stets Kommunikation auf Augenhöhe. Dazu gehörten ebenso gelebte Offenheit trotz sparsamer Enge der Verhältnisse und ungenierte Bescheidenheit. Meine eigenen Erfahrungen als Fernkursant für Gemeindeberatung/Organizational Development (OD) in den späteren 80er Jahren entsprechen den Schilderungen voll und ganz.
„Das Burckhardthaus in der DDR hat sich ganz im Sinne des alten Burckhardt ständig auf die Bedürfnisse der Menschen eigestellt und sich weiterentwickelt. Das hat es so besonders gemacht“ Resümiert Edith Schröder. Höre, Kirche, was der Geist den Gemeinden sagt! Auf diese Weise wurden unsere Gemeindehelferinnen also ausgebildet. Es wird auch dokumentiert, wie sie manches Mal frustriert waren über den ganz anderen Stil an manchen Orten späterer Tätigkeit. Dabei nicht immer still, aber stets gottesfürchtig, integrierten sie auch diese Spannungen.
Den wichtigen Orientierungsrahmen für die Facetten der Geschichte des Burckhardthauses von Anfang an mit all seinen Leitungswechseln (in der Spätphase mit Mann und Frau besetzt!) und oft der Politik geschuldeten Ortsveränderungen entfaltet Matthias Kleiminger gleich eingangs auf 50 Seiten. Dazu kommen am Ende des Buches noch Überblicke zu Standorten, Leitungspersonen sowie eine Zeittafel, drei Seiten Anmerkungen und Literaturangaben. Selbst „Wende“ und „Bund“ werden in einem Verzeichnis in der Gewissheit auf gesamtdeutsche Lektüre erklärt. Alles Kärrnerarbeit für eine beglückte Leserschaft! Zu deren Freude tragen auch die vielen Fotos bei, die Geschichte so persönlich werden lassen.
In aller Bescheidenheit wurde im Burckhardthaus-Ost eine Kirche der Freiheit gelebt. Das wurde besonders augenfällig, als in den späten 80er Jahren wachsende ideologische Instinktlosigkeit der DDR-Offiziellen auch Interessenten vom Rande der Kirche in die Ausbildung kommen ließ. „Unsere Arbeit wurde dadurch politischer“, schreibt Lange.
Die deutsche Einheit hätte das alles vollenden können. Oder nicht? Jedenfalls brachte sie den beiden Häusern in Ost und West nicht nur keine gemeinsame Zukunft, sondern dem Ableger Ost 1998, ein unrühmliches Ende, wie Kleiminger schreibt. Lange nennt die zähe Abschaffung der Einrichtung einen „extrem unfairen Prozeß“. Anderswo entließ die Treuhand ganze Belegschaften. In unserem Fall schaffte die Evangelische Kirche ihre eigenen Leute ab, hochqualifizierte und bestens motivierte Dozentinnen und Dozenten einer evangelischen Bildungsstätte und damit die Ausbildung kommender Generationen.
Schmerz darüber: Ja. Der und die Enttäuschung werden von den Betroffenen präzise benannt. Das Buch hinterlässt jedoch nie einen wehleidigen Eindruck. Dazu ist die Wirkmacht des Geschaffenen und die theologische Präsenz der Protagonistinnen zu stark. Der Glanz einer Kirche der Freiheit, der von diesem gekappten Erfolgsprojekt ausgeht, strahlt auch jetzt in unsere Gegenwart. Uta Loheit belegte bei der Rostocker Präsentation des Buches am 1. Juni in einem eindrucksvollen Referat, wie zukunftsträchtig die Arbeit des Burkhardthauses-Ost sich bis heute erweist – oft freilich ohne Kenntnis der heute Aktiven um die Quellen kreativer Anstöße.
Bei dieser Gelegenheit wurde in der Diskussion auch an die Notwendigkeit erinnert offenzulegen, was Strukturen mit Menschen anstellen. Die Geschichte dieser Bildungsstätte macht es unausweichlich, diese nicht nur ostfarbene Erfahrung auch auf die Kirchen anzuwenden: Die verfasste Kirche ist nicht mit der geglaubten Kirche identisch. Darum ist evangelisch, jeweils konkret zu orten, wo sich im Vorraum des Heiligen zum Beispiel Finanzorientierung und Neoliberalismus unter kirchlicher Flagge breitgemacht haben. Auch das ein gültiger Anstoß für Gegenwart und Zukunft aus der abgebrochenen Geschichte des Burckhardthauses-Ost.
Dietlind Glüer (Hrsg.): Das Burckhardthaus-Ost – erlebt und erinnert, Lutherische Verlagsgesellschaft, Kiel 2018,136 Seiten, 12,95 Euro.
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