21. Jahrgang | Nummer 16 | 30. Juli 2018

Irans Weg zur Theokratie

von Uwe Feilbach

Beiträge in unseren Medien, die ausführlicher über die Situation im Innern der Islamischen Republik Iran berichten, sind vergleichsweise selten. Im Fokus der Berichterstattung stehen der Atomvertrag sowie die außenpolitischen Ambitionen der iranischen Regierung im Nahen Osten. Wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass es im Iran nach einer über fünfzigjährigen Periode säkularer, westlich orientierter, wenn auch nicht demokratischer Staatsführung nach dem Vorbild Kemal Atatürks unter den beiden Schahs der Pahlavi-Dynastie zur Gründung eines klerikalen schiitischen Gottesstaates kommen konnte, welcher sich zudem durch Stimmenmehrheit in zwei Referenden legitimiert weiß, das gehört zu den vielen Fragen in Bezug auf den Iran, auf die man Antworten meist nur in einschlägiger Fachliteratur findet.
Mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts wurde der schiitische Islam offiziell zur Staatsreligion des Iran. Die Schiiten erkennen Ali, den Schwiegersohn Muhammads und dessen Nachkommen, die Imame, als die einzig legitimen Nachfolger des Propheten in der Führerschaft über die Glaubensgemeinschaft des Islam an. Schiiten erwarten noch heute die Rückkunft des zwölften, im 9. Jahrhundert „entrückten“ Imams.
Während des Zweiten Weltkriegs, im Jahre 1941, wurde Schah Reza Pahlavi durch die alliierten Interventionsmächte gezwungen, zugunsten seines Sohnes Muhammad Reza abzudanken.
Als im Jahre 1953 der legitime Premierminister Mohammad Mossadeqh, der sich nachdrücklich für eine Verstaatlichung der iranischen Ölindustrie und andere demokratische Reformen eingesetzt hatte, durch einen vom US-Geheimdienst CIA inszenierten Militärputsch gestürzt wurde und der Schah aus dem Exil nach Iran zurückgekehrt war, entwickelte sich dessen Regierung zunehmend zu einer autoritären Alleinherrschaft, die sich auf eine nachhaltige ökonomische, politische und militärische Hilfe durch die USA stütze und mit harter Hand jede Opposition unterdrückte. In großer Zahl verließen nun Regierungsgegner das Land, darunter zahlreiche prominente Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller. Einige von ihnen waren Befürworter einer parlamentarischen Demokratie, andere Anhänger der marxistischen Tudeh-Partei.
Unter den erbitterten Gegnern des Schahs gab es aber noch eine dritte Gruppe, die allerdings im Westen weniger im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stand. Das waren die schiitischen Geistlichen. Ihr Protest richtete sich namentlich gegen die Westorientierung der Politik des Schahs. Ihnen missfielen die Reformen, die der Schah im Zuge seiner „Weißen Revolution“ eingeleitet hatte, darunter besonders die Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahre 1962, und außerdem warfen sie ihm vor, durch die Einführung einer säkularen Staatsordnung der Gottlosigkeit Vorschub zu leisten und den Iran an ausländische Mächte zu verkaufen. Schon gegen seinen Vater Reza Pahlavi, der viele von ihnen ins Gefängnis bringen und hinrichten ließ, hatten sie die gleichen Vorwürfe erhoben.
Die Reformen und die Wirtschaftspolitik des Schahs haben in der Tat einer relativ dünnen Schicht von Geschäftsleuten, Industriellen und hochqualifizierten Fachkräften Wohlstand gebracht, die große Masse der Bevölkerung aber – vor allem die Bewohner ländlicher Regionen – hat von diesen Reformen kaum profitiert; ihre Lage ist eher noch prekärer geworden.
Als gegen Ende der 1970er Jahre die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der Politik des Schahs weiter zunahm und ihren Ausdruck in zahlreichen Demonstrationen und Protestaktionen fand, die brutal unterdrückt wurden, mischte sich Ayatollah Chomeini, ein prominenter schiitischer Geistlicher, der bis dahin im irakischen Exil weitgehend zurückgezogen gelebt hatte, in das Geschehen ein. Aus seinem irakischen und später Pariser Exil heraus verbreitete er mittels Tonkassetten und Flugschriften seine Idee von der „Statthalterschaft des schiitischen Rechtsgelehrten“ in einer „Islamischen Republik Iran“. Mit diesem Konzept verstieß er eindeutig gegen einen wichtigen schiitischen Glaubensgrundsatz, nach dem ein legitimes islamisches Staatswesen erst durch den erwarteten Imam Mahdi nach dessen Rückkehr gegründet werden kann. Anklang fand er damit vor allem bei den ärmeren Volksschichten, denen er durch die Schaffung einer gerechten islamischen Gesellschaftsordnung die Erlösung aus Armut und Elend versprach.
Nachdem der Schah, dessen Position angesichts des massiven Widerstandes im Innern des Landes unhaltbar geworden war, am 16. Januar 1979 den Iran verlassen hatte, kehrte Chomeini am 2. Februar 1979 in den Iran zurück, wo er von einer großen Menschenmenge jubelnd begrüßt wurde. Er und die seinen Ideen folgenden Geistlichen hatten die Übernahme der Macht propagandistisch und organisatorisch, aber auch durch Gewaltaktionen so gründlich vorbereitet, dass die unter sich zerstrittene liberale, säkulare und linke Opposition dagegen nicht mehr ankommen konnte. Dank dieser zielstrebigen Vorarbeit gelang es Chomeini und seinen Anhängern in einem Referendum im März 1979 die Mehrheit der Stimmen für die Gründung der Islamischen Republik Iran zu gewinnen. Im Dezember des gleichen Jahres wurde die von Chomeini ausgearbeitete Verfassung dieser Republik durch eine Volksabstimmung legitimiert, womit die politische Richtlinienkompetenz nunmehr vollkommen in den Händen der Geistlichkeit lag. Nach der Entlassung des Staatspräsidenten Bani Sadr 1981 und dem Tod des letzten weltlichen Staatspräsidenten Radscha’i wurden nur noch Geistliche in die Ämter des Staats-und Parlamentspräsidenten berufen. Utrsprünglich hatte Chomeini versprochen, das Geistliche zwar die Politik bestimmen, selbst jedoch keine politischen Ämter bekleiden würden.
1982 gelang es Chomeini schließlich, seinen größten geistlichen Widersacher, Ayatollah Schariatmadari, zu entmachten und auch die übrigen Oppositionellen auszuschalten.Von da an war seine Macht als geistlicher und politischer Alleinherrscher über die Islamische Republik Iran unbestritten.
Gemäß den Vorschriften des Korans wurden jetzt strenge Verhaltens-und Kleidervorschriften eingeführt, deren Übertretung mit drakonischen Strafen geahndet wurden. Auch das Strafrecht wurde ganz auf die Vorschriften der Scharia umgestellt. Ein Rat der Revolutionswächter wurde eingesetzt, um die strenge Einhaltung der islamischen Vorschriften zu überwachen. Trotz der Existenz eines gewählten Parlaments kann kein Gesetz erlassen und keine politische Maßnahme durchgeführt werden, die nicht die Billigung des Wächterrates und des Revolutionsführers findet.
Nach dem Tode Chomeinis am 4. Juni 1989 wurde Ali Chamenei von einem Gremium hochgestellter Geistlicher in das Amt des religiösen Führers gewählt, welches er bis heute innehat.
Fast 40 Jahre sind jetzt seit der Gründung der Islamischen Republik vergangen, und die Unzufriedenheit mit den politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnissen im Iran wächst von Tag zu Tag. Sie findet in zunehmendem Maße ihren Ausdruck auch in öffentlichen Demonstrationen, die sich jetzt nicht mehr nur gegen soziale Missstände richten, sondern darüber hinaus Forderungen nach gesellschaftlichen Veränderungen stellen. Der gegenwärtige Staatspräsident Hassan Rouhani gilt zwar als gemäßigt, hätte aber, selbst, wenn er wollte, nicht die Macht, etwas Wesentliches zu verändern.
Die wirtschaftliche Misere, unter der der Iran seit Jahrzehnten leidet, ist nur zum Teil auf Sanktionen des Auslandes zurückzuführen; einen wesentlichen Anteil hat daran die Misswirtschaft des Mullah-Regimes, welche tiefe Enttäuschung und Unzufriedenheit nicht zuletzt unter den Bevölkerungsgruppen hervorgerufen hat, die sich von der islamischen Revolution eine Verbesserung ihrer bedrückenden Lebensverhältnisse erhofft hatten.
Der zur Zeit im Amt befindliche Revolutionsführer Chamenei ist jetzt 79 Jahre alt, und angesichts der angespannten innenpolitischen Lage im Iran ist es sehr fraglich, ob es den Mullahs noch einmal gelingen wird, aus ihrer Mitte einen Nachfolger mit ebenso unumschränkten diktatorischen Vollmachten zu bestimmen.
Verhängnisvoll wäre es allerdings, wenn die USA etwa im Bunde mit Israel und womöglich weiteren Willigen versuchten, mittels einer militärischen Intervention einen Regimewechsel herbeizuführen. Afghanistan, Irak und Libyen sind schlagende Beispiele dafür, wohin das führt, und den vielen Brandherden im Nahen Osten würde damit überdies ein weiterer noch gefährlicherer hinzugefügt werden.