von Anita Beloubek-Hammer
Werke des Bildhauers, Zeichners und Grafikers Friedrich B. Henkel sind derzeit (noch bis zum 29. Juni) in der degewo-Galerie „Remise“ in Berlin-Pankow zu sehen. Die ausgestellten Skulpturen – nur eine kleine Auswahl aus dem Vorhandenen – sind fast alle im letzten Jahrzehnt entstanden, das für Henkel das achte Lebensjahrzehnt bedeutete. Seine erstaunliche Kreativität und Produktivität ist auch vor dem Hintergrund der enormen gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Land – durch die politische „Wende“ – bemerkenswert. Mancher Künstler der älteren Generation in der DDR verfiel in Resignation angesichts der nun oft ausbleibenden Anerkennung, minimierte die künstlerische Produktion oder gab sie sogar auf.
Auch Friedrich B. Henkel, der in der DDR zur ersten Bildhauergarde zählte, blieben Irritationen nicht erspart. Bereits kurz nach der Wende verlor er sein Atelier in Pankow, in dem er 20 Jahre gearbeitet hatte. Zum Glück konnte er, der Naturverbundene, in den Sommermonaten auf ein Gartenatelier zurückgreifen, das er sich bereits 1970 in Biesenthal bei Bernau eingerichtet hatte und wo er noch heute arbeitet. 2004 verlegte er auch seinen Wohnsitz von Berlin nach Bernau.
Henkel hat die äußeren Schwierigkeiten durch Konzentration auf seine Arbeit überwunden und konnte dadurch seinem Gesamtwerk einige neue und interessante Facetten hinzufügen. Es war die kathartische Wirkung der Kunst, die schon Friedrich Nietzsche in die Worte gefasst hatte: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“
Eine abstrakte Steinskulptur mit dem Titel „Ein Lebenslauf“, entstanden 2006/07, spiegelt Henkels Sicht auf sein Leben: Dominant ist dabei ein kontrastreicher Formenverlauf im Zickzack, mit aufsteigenden und absteigenden, kompakten und durchbrochenen Segmenten. Es ist die bildhafte Übersetzung seiner Erlebnisse in ein abstraktes „Zeichen“ und steht am Beginn einer neuen Werkgruppe, der die Ausstellung gewidmet ist. Zentral platziert ist eine Gruppe von stelenartig aufragenden Marmorskulpturen, von denen vier den Titel „Figuration, Zeichen, Kappadokien“ tragen und damit auf die einzigartige türkische Vulkanlandschaft als Quelle der Inspiration verweisen. Kappadokien erweckt mit seinen bizarren Tuffkegeln – sogenannten Feenkaminen – den Eindruck eines von der Natur geschaffenen Skulpturenparks. Henkel fand hier quasi sein eigenes skulpturales Programm vor, das ihn seit seinen frühen Reisen nach Georgien und Rumänien in den 1960er und 1970er Jahren mit der Metamorphose von Landschaftlichem und Figürlichem bei unterschiedlicher Nähe zum Naturvorbild beschäftigt.
In den Marmorskulpturen nach Kappadokien-Eindrücken dominiert ein stärkerer Zug zu Konstruktion und Abstraktion, eben zum Zeichen. Mit der formalen Reduktion, dem Weglassen unwesentlicher Details, orientiert das Zeichen auf eine Hauptrichtung der Information, bietet jedoch zugleich viele Möglichkeiten der Assoziation. Henkel knüpft bewusst an die uralte Tradition der Zeichen-Sprache an, mit deren Hilfe schon der prähistorische Mensch seine Informationen etwa an Höhlenwänden weitergab. Es geht um eine Rückführung auf Wesentliches. Das von Henkel seit seinen Griechenlandreisen nach der Wende bevorzugte Material Stein unterstützt diese Wirkung: Zum einen ist es für ausladende Details nicht geeignet, zum anderen steht es aufgrund seiner unendlich langen Genesis sinnbildlich für den Ausdruck von Dauerhaftem, nicht für Peripheres.
Die hoch aufgerichteten, stelenartig schmalen Zeichen, bei denen keine Verzweigung den Eindruck des Aufstrebens behindert, verjüngen sich teilweise nach oben und suggerieren Wachstum und einen Aufstieg ins scheinbar Grenzenlose. Von Ferne klingt die Assoziation an die „endlose Säule“ Constantin Brăncuşis an, des rumänischen Klassikers der Moderne, aber auch an die standhafte, aufrechte Haltung eines Menschen.
Im Umfeld der aufrechten Stelen ist eine zweite Gruppe von „Zeichen“ mit mehr würfel- oder quaderartigen, horizontal ausgerichteten Dimensionen platziert. Mit ihren zumeist ein oder zwei Durchbrüchen wirken sie oft wie Schriftzeichen oder aber auch – wie etwa bei dem ausgestellten „Figurativen Zeichen“, einem Bronzeabguss von einem Stein – wie eine stark abstrahierte, liegende Figur mit angewinkelten Beinen. Durch die Beifügung des Wortes „figurativ“ in verschiedenen Werktiteln wie etwa „Figurative Stele“, „Figuration Zeichen Kappadokien“ wird deutlich, dass auch bei den abstrakten Zeichen immer noch eine Spur menschlicher Gegenwart vorhanden ist.
Die Mehrdeutigkeit, die Metamorphose, fasziniert den Künstler seit Jahrzehnten. Als Initialerlebnis schilderte er, wie er als Jugendlicher bei Spaziergängen mit den Eltern in der heimatlichen Rhön das Gefühl hatte, „auf den Schultern eines Riesen zu laufen“. Und zwar waren die Schultern aus Erde und Kalkstein geformt und zur Landschaft geworden. Viele Jahre später, als Bildhauer in Berlin, verarbeitete er dieses Erlebnis zunächst in kleinen, ebenfalls ausgestellten Radierungen zur Rhönlandschaft, die erstmals eine Andeutung der Überlagerung von landschaftlichen Formen mit einem weiblichen Torso zeigen. Reisen zu den Höhlenstädten Georgiens und nach Rumänien inspirierten Henkel in den endsechziger und siebziger Jahren zur Umsetzung dieses Prinzips der Verschmelzung figürlicher und landschaftlicher Formen in die Plastik. Denn Henkel war einer der wenigen Bildhauer in der DDR, dem die dominante Fixierung auf die Tradition der realistischen Bildhauerkunst schon bald zu eng wurde. Auf den ihm damals möglichen Reisen – nach Rumänien zu Brăncuşi und zu den Kleinplastik-Triennalen nach Budapest – orientierte er sich über internationale plastische Sprachen und machte sich das Credo zu eigen, das er in den Schriften von T.S. Eliot fand: „Erneuerung ist besser als Wiederholung.“ Oder mit den Worten Gustav Mahlers: „Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche.“ Diesem Motto folgend, suchte Henkel immer wieder nach neuen formalen Herausforderungen, die er später auf zahlreichen Reisen in den Mittelmeerraum fand – ein Kulturkreis, der ihn besonders fasziniert. Die farbigen Papierarbeiten in der Ausstellung geben mit ihren Titeln Auskunft über seine wichtigsten Reiseziele im Umkreis des Mittelmeeres, dazu nach Kappadokien und zuletzt wieder zurück zu den Wurzeln: in die Rhön. Diese zweidimensionalen Arbeiten – Mischtechniken und Collagen – sind keine Bildhauerzeichnungen im herkömmlichen Sinn, als Vorbereitung etwa auf eine Skulptur, sondern autonome Werke, die die formalen Intentionen des Künstlers in der Fläche ausloten.
Eine der Skulpturen trägt den seltsamen Titel „Steingewächs“: Es ist ein Gebilde aus Stein mit Auswüchsen wie eine Pflanze, ein skulpturales Zeichen, das sowohl die Kontinuität als auch die Wandlungsfähigkeit des Künstlers veranschaulicht: „Die Zwiesprache mit der Natur“, die schon Paul Klee als erste Bedingung für den Künstler genannt hat, zieht sich als Leitlinie durch Henkels gesamtes Schaffen, zugleich bleibt er mit seinen Neuschöpfungen, die aus dem freien Umgang mit der Natur hervorgehen, seinem frühen Credo treu, dass beständige Erneuerung die beste Tradition sei.
Friedrich B. Henkel – Zeichen und Landschaften, degewo-Galerie Remise, Berlin-Pankow, Pankgrafenstr. 1. Geöffnet Dienstag bis Freitag 14–20 Uhr, bis 29. Juni.
Buchpublikation Friedrich B. Henkel: Skulpturen, Collagen, Zeichnungen, Grafik. Lukas Verlag, Berlin 2017. 272 Seiten. 25 Euro.
Die Autorin ist Kunsthistorikern und lebt in Berlin. Sie war lange Zeit als Kuratorin am Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz tätig.
Schlagwörter: Anita Beloubek-Hammer, Bildhauer, Friedrich B. Henkel, Skulptur