21. Jahrgang | Nummer 10 | 7. Mai 2018

Pitaval 68: Überall Beat und Minis

von Eckhard Mieder

Am 21. Oktober 1968 meldet BILD, in Nürnberg habe ein 35-Jähriger seine zwanzig Jahre jüngere Geliebte erwürgt. Sie, ich nenne sie Eva, wollte immer nur „zum Beat“ tanzen. Eva trällerte die Songs der Beatles, der Beach Boys, die Songs von Small Faces und von Dave Dee, Dozy, Beaky Mick & Tich mit. Sie tanzte gern dazu; noch dazu tanzte sie gern.
Er, ich nenne ihn Adam, mühte sich, auch „Beat“ zu tanzen. Adam wollte mithalten; ich stelle mir einen Mann vor, dem es einigermaßen fremd war, seine Hüften zu verrenken und die Knie zu schlenkern, die Haare zu schütteln, unterm Hemdkragen und in den Achselhöhlen zu schwitzen. Aber Adam war verknallt. Er belegte sogar einen Englisch-Kurs. Er wollte verstehen, was die Bands da singen, was der Eva gefällt. Ihretwegen nahm er ab, ihretwegen kaufte er ein Auto auf Pump. Dass Adam ein paar Jahre älter war als Eva – ja mein Gott, als schaute man im Zustand des Verliebtseins immerzu in einen Kalender, in dem die Geburtstage der Lieben verzeichnet sind!
Am Vorabend einer geplanten gemeinsamen Urlaubsreise kam es zur Tragödie. Eva hörte – Beat-Musik. Adam sagte, er wolle mal was anderes hören. Eva wurde böse, Eva schrie, Eva spottete. „Ich nehme mir einen Freund, der besser Beat tanzen kann und der mindestens 2000 Mark im Monat verdient!“ Jemand, der besser ist als Adam. Nicht nur beim Tanzen, nein. Rundum besser, yeah, yeah, yeah. „Nach der Schule suche ich mir eine Stelle bei der Stadt, da kann ich mich mit einem Freund, der nur Fabrikarbeiter ist, sowieso nicht sehen lassen.“ Mit einem, der nur 800 Mark verdient, yeah, yeah, yeah …
Die Vertreibung aus dem (eingebildeten?) Paradies endete im Affekt: Adam erwürgte Eva. Da kommt nichts nach. Kein Mythos, keine Kinder, kein Menschengeschlecht. Für Eva endete die Geschichte der Menschheit in dem Moment, als Adam ihr die Luft abschnürte.
Warum nenne ich sie Eva und Adam? (Wie alt waren die beiden in der Bibel? Gleichaltrig nicht. Eva wurde aus einer Rippe Adams gemacht, demnach war sie beträchtlich jünger.) Weil es eine uralte Geschichte ist, die immer wieder neu passiert? Weil es wie ein Muster durch alle Zeiten ist? Oder eine spezielle Häufung, die BILD widerspiegelt? 1968 ein erotisch aufgeladenes Jahr der Aufwallungen, bevor es in der Geschichtsschreibung zum mythischen Jahr der Veränderungen wurde?
Es musste nicht immer Totschlag oder Mord sein, was Alt und Jung, Älter und Jünger trennte und in die Schlagzeilen brachte. Obwohl …
Zum Nikolaustag des Jahres ziert die BILD-Titelseite das Foto einer halbnackten Frau im Profil mit Pudel vor der Brust: die tschechische Schauspielerin Jana Novakova (20), die von ihrem 40 Jahre älteren Ehemann erschossen wurde, bevor er sich selbst tötete. Ein Foto zeigt den Toten, hingestreckt im Schlafanzug, die Pantoffeln an den Füßen. Die Novakova war „ein Typ, der die Männer unruhig macht“. Ihr Mann, Eugen Gruber, war ein „gutaussehender, weltgewandter Mann“. Sie stand am Anfang einer vielversprechenden Karriere, er stand am Ende, trotz seines Geldes, seines Charmes, seiner Hingabe (seines Hingebens?) als Depp da.
Die Hausfrau Brunhilde T. (29) in Steinhude stirbt, weil ihr 61-jähriger Ehemann darunter leidet, dass sie zu viel mit jungen Leuten flirtet. Am 21. März 1968 heißt es: „Brunhildes Vater Fritz G. (60): ‚Ich habe schon damals meinem Schwiegersohn gesagt: Wie kannst du alter Mann eine so junge Frau nehmen? Das kann doch nur während der Flitterwochen gutgehen.‘“
Und die Frau eines Millionärs erschießt ihren Mann auf der Jagd, weil er sich nach 23 Jahren Ehe eine jüngere nahm …
Nein, es muss nicht immer Totschlag und Mord sein.
Limburg an der Lahn. Ein Lehrer brannte vor Jahren mit einer 16-jährigen Schülerin durch und heiratete sie. Die Ehe hielt 13 Jahre. Dann verliebte er sich erneut in eine Schülerin und verließ seine Frau und die fünf gemeinsamen Kinder.
„Bist du immer so lahm?“, reizte eine 13-Jährige mit Minirock und toupierten Haaren einen 19-jährigen Kellner. „Ich habe zwar kein großes Temperament, aber bei Marianne habe ich schließlich doch nachgegeben“, erklärt der vor dem Jugendschöffengericht. Wegen Unzucht mit einem Kinde bekommt er vier Wochen Jugendarrest.
Am 25. Oktober wird ein Mann zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er liebte eine zwölfjährige Lolita, seine Ehefrau musste des Mädchens wegen auf der Couch nebenan schlafen. Das Mädchen sei jeden Morgen auf dem Weg zur Schule an seiner Tankstelle vorbeigekommen und habe ihn angelächelt, da dachte er: Sprich sie doch mal an; hat gezündet wie ein neuer Motor. Vor Gericht sprach Lolita Angelika kokett: „Ich glaube, er liebt mich immer noch.“ Auch eine Eva, diese Angelika?
Bielefeld. Ein Kaufmann (Vater zweier Kinder und verheiratet), spricht ein Mädchen an, sie steigt in sein Sportauto und er – fummelt an ihr rum. Er lädt sie zu einem Trip nach Schweden ein. Sie sei zu hübsch um Verkäuferin zu bleiben. Der Richter sagte mit Blick auf das im Minirock vor Gericht stehende Mädchen, dass man bei deren Anblick tatsächlich schwach werden könne. Die Anklage wegen Entführung und versuchter Nötigung wird fallengelassen. Doch der Mann muss 3000 Mark berappen. Wegen der Einladung nach Schweden, die sei eine Beleidigung und Ehrminderung. Ein schlechtes Geschäft für einen Kaufmann.
Unter der Überschrift „Vorsicht, wenn Sie ein Mädchen unter 18 küssen“ wird am 13. November von einem Taxifahrer berichtet, der in Nürnberg in hormonelle Bedrängnis geraten ist. „Mit kessem Lächeln“ habe die Gertraud dem Taxifahrer Klaus (27) bei einer abendlichen Heimfahrt einen „gepfefferten Witz“ erzählt. Der Chauffeur steuerte den Wagen an einen schummrigen Ort. Eine Stunde später fuhr er Gertraud nach Hause, doch am nächsten Morgen erzählte Lehrling Gertraud im Büro, dass sie von einem Taxifahrer belästigt worden sei. Anzeige, die Justiz nimmt ihren Lauf, in der Urteilsverkündung sagt der Richter: „Ich bin überzeugt, dass die Abwehrbewegung des Mädchens vom Angeklagten nicht als solche zu erkennen war. Außerdem hat sie aus Dummheit den Witz erzählt. Der Taxifahrer musste natürlich denken, ein leichtlebiges Mädchen im Wagen zu haben.“ Allerdings gilt: „Wenn ein Mann ein junges Mädchen unter 18 auf dem Nachhauseweg küsst und unsittlich berührt und die Eltern Strafanzeige stellen, kann er wegen Beleidigung verurteilt werden. Es genügt, wenn das Mädchen nachher sagt, dass es nicht einverstanden war.“ Drei Wochen Gefängnis auf Bewährung für den Taxifahrer.
Mit Mädchen oder Frauen in Miniröcken und -kleidern ist es eine ambivalent-schillernd-betörende Sache. Von Verlockungen, Verführungen, Entgleisungen, Tötungen wird zeit- und hautnah berichtet. Andererseits …
BILD richtet einen Strickwettbewerb aus: Wer strickt die besten Minis. Die besten sind die knappsten? Eine Jury, die vermutlich aus Männern bestand, sucht aus einem „Riesenberg“ die „schönsten Minis“ aus. Manche Frauen ließen sich von ihren Ehemännern fotografieren. „Dieses Foto hat mein Mann gemacht. Hoffentlich können Sie darauf erkennen, wie hübsch mein Mini geworden ist. Er jedenfalls meinte, damit müsste ich eigentlich einen Preis gewinnen.“
Oder: Unter der Überschrift „Wer lange Beine liebt hat eine zarte Seele“ wird ein „lustiger Test“ angeboten, der dem Mann zeigt, was für ein Mann er ist. „Achten Sie bei Foto 1 und 2 nur auf den Busen und kreuzen Sie unter jedem Foto an, ob der Busen stark, mittel oder schwach auf sie wirkt.“ Bei Foto 3 und 4 geht es um die Beine … Und bei Foto 5 und 6 geht es um den Po. Wer beispielsweise einen starken Po ankreuzt (also einen rundlichen), der neigt „etwas zu Pedanterie und hat ein Talent für alles Organisatorische“. Wer Mädchen mit kurzen Beinen vorzieht (Foto 3) … Und so weiter.
Am 27. März wird gefragt: „Haben schlaue Mädchen die schönsten Beine?“ Vier Fotos mit den züchtig übergekreuzten Beinen einer Chefin, einer Bardame, einer Sekretärin und einer Gräfin sind hüftabwärts zu sehen. Einer britischen Untersuchung nach gäben Form und Stärker der Beine Hinweise auf Herkunft und soziale Stellung ihrer Inhaberin. Dr. Martin Cole vom Biologischen Institut der Aston-Universität in Birmingham: „Es ist eine Tatsache, dass intelligente Frauen hübschere Beine haben.“
Die Beine der Mädchen und Frauen können einem Mann den Verstand rauben – und ihn strafrechtlich teuer zu stehen kommen. Allerdings sind die Beine der Frauen auch teuer: Die teuersten Beine gehören 1968 weder einem Fußballstar noch Marlene Dietrich (mit einer Million Mark versichert), sondern der Balletttänzerin Ludmilla Tscherina. „Meine Beine sind mein einziges Vermögen“, richtet sie aus. Sie wurden in Barcelona mit fünf Millionen Mark versichert.
Bleibt zu erwähnen, dass am 20. Oktober 1968*, als Adam Eva erwürgte, Aristoteles Onassis und Jaqueline Kennedy auf der griechischen Insel Skorpios heirateten. Der Grieche war 62, die Amerikanerin 39 Jahre alt.

* – Am selben Tag übersprang Richard Fosbury (USA) während der Olympischen Spiele in Mexiko 2,24 Meter im Hochsprung. „Alles kicherte, wenn Dick Fosbury rückwärts über die Latte ‚kletterte‘.“ Seitdem gibt es den Flosbury-Flop, den mittlerweile alle Athletinnen und Athleten springen, die hoch hinaus wollen. Und die zwei „kugeligen Schwestern“ und „Zonen-Mädchen“ Margitta Gummel und Marita Lange gewannen Gold und Silber im Kugelstoßen; sie haben fast das gleiche Gewicht (82 und 84 Kilogramm) und „die gleichen wohlproportionierten, fraulichen Figuren“. Der BILD-Berichterstatter sah beim Training „mit welcher Leichtigkeit die beiden strammen Mädchen mit der Scheibenhantel beim Krafttraining umgingen.“ Und war begeistert.