von Uwe Feilbach
Lange Zeit war er wenig beachtet worden, der Friedhof der Märzgefallenen des Jahres 1848 im Berliner Volkspark Friedrichshain.
Am 22. März jenes Jahres wurden dort 255 Gefallene der Berliner Barrikadenkämpfe vom 18. und 19. März beigesetzt. Später wurden auf diesem Friedhof noch 29 Opfer der Revolution von 1918 bestattet. 1856 war der Friedhof durch den Berliner Polizeipräsidenten von Hinkeldey geschlossen und 1860 wieder eröffnet worden. Größere Veranstaltungen und Kranzniederlegungen fanden gelegentlich aus Anlass von Jubiläen der Revolutionskämpfe statt, wobei der Charakter dieser Gedenkveranstaltungen und die Interpretation der Ereignisse von 1848 ganz von der politischen Orientierung des jeweiligen Veranstalters abhingen. Im öffentlichen Bewusstsein war diese Gedenkstätte nur sehr wenig präsent.
Im Jahr 2009 nahm der der SPD nahestehende Paul-Singer-Verein zusammen mit dem Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg und der Stiftung Historische Kirch- und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg die Gestaltung des Friedhofes zu einer nationalen Gedenkstätte der Demokratiebewegung in Deutschland in Angriff. 2011 wurde auf dem Friedhof eine sehr interessante und informative Ausstellung zur Geschichte der Revolution von 1848 eingerichtet, die zurzeit noch in einem Container untergebracht ist.
Von den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Grabplatten sind nur noch wenige erhalten. Die Grabstellen und ihre Zuordnung zu den betreffenden Personen sind aber gut dokumentiert und durch ein Nummernsystem kenntlich gemacht.
Sehr aufschlussreich ist ein Blick auf die Liste mit Namen und Berufen der beigesetzten Todesopfer der Märzkämpfe. Die überwiegende Mehrheit gehörte dem Handwerkerstand an, gefolgt von Arbeitern ohne nähere Bezeichnung ihrer Tätigkeit – also jenen Bevölkerungsgruppen, die im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung am stärksten von Arbeitslosigkeit und Verelendung bedroht und betroffen waren. Unter den Toten befanden sich auch einige Lehrlinge im Alter zwischen 15 und 19 Jahren und vier Knaben von 12, 13 und 14 Jahren sowie drei Studenten. Auch neun weibliche Namen sind auf der Liste zu finden. Darunter sind sowohl Frauen von Handwerkern und Arbeitern, als auch Arbeiterinnen und Dienstmägde. Nur eine sehr kleine Minderheit der beigesetzten Kämpfer waren Beamte oder Angehörige bürgerlicher Schichten.
Die Barrikadenkämpfer der Märztage des Jahres 1848, die, unzureichend bewaffnet und organisiert, den Widerstand gegen das preußische Militär wagten, hatten nicht die Absicht, die Monarchie zu stürzen. Noch am 13. März richteten Vertreter der Arbeiterschaft auf einer Volksversammlung im Berliner Tiergarten eine Petition an den „Allergnädigsten König und Herrn“, worin sie ihn um „schleunige Abhülfe der jetzigen großen Noth und Arbeitslosigkeit aller Arbeiter und Sicherstellung ihrer Zukunft“ baten. „Wir werden nämlich“, so hieß es weiter „von Kapitalisten und Wucherern unterdrückt, die jetzt bestehenden Gesetze sind nicht imstande, uns vor ihnen zu schützen.“ Gedrängt durch bittere Existenznot und ständig bedroht von Hunger, Arbeits- und Obdachlosigkeit hatten diese Menschen nichts Anderes im Sinn, als die königlich preußische Regierung an die Verantwortung zu erinnern, die diese für das Wohl aller Schichten der Bevölkerung trug. Doch mussten sie erkennen, dass der König sich in allererster Linie den Interessen der Fürsten und des Adels verpflichtet fühlte, die Nöte der arbeitenden Bevölkerung aber mit kalter Arroganz ignorierte.
Von der Volksmenge, die sich vor dem Berliner Schloss versammelt hatte, eigentlich um dem Monarchen für seine Reformversprechen zu danken, fühlte sich dieser schließlich bedroht, und so kam es zu den verhängnisvollen Schüssen aus den Gewehren der Soldaten, die, beabsichtigt oder nicht, das Fass aufgestauten Zorns der sozial am meisten benachteiligten Volksschichten zum Überlaufen brachten und die Barrikadenkämpfe der folgenden zwei Tage auslösten. Dass der König nach Beendigung der Kämpfe unter dem Druck der wütenden Volksmenge sich schließlich gezwungen sah, vor den Leichen der gefallenen Barrikadenkämpfer die Mütze zu ziehen, konnten die Revolutionäre nicht wirklich als Sieg für sich verbuchen. Bereits im November 1848 wurde die Bürgerwehr entwaffnet, das Militär übernahm erneut die Kontrolle, und die alte Ordnung war wieder hergestellt. Damit hatte in Berlin die Gegenrevolution gesiegt. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“, das war von nun an die Devise.
Nachdem die Revolution in den verschiedensten Teilen Deutschlands sowie in Österreich in Form von Demonstrationen, Petitionen und Straßenkämpfen ihren Ausdruck gefunden hatte, wurde schließlich auf Initiative bürgerlich-liberaler und demokratischer Kreise die Einberufung einer Nationalversammlung beschlossen. Am 18. Mai 1848 trat dieses Gremium, dessen Aufgabe darin bestehen sollte, die Verfassung für einen einheitlichen deutschen Staat auf der Grundlage der Gleichberechtigung aller Bürger vor dem Gesetz auszuarbeiten, in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Nationalversammlung zeigte sich nun aber ein ganz anderes Bild als bei den Demonstrationen und Barrikadenkämpfen. Die Mehrheit der Abgeordneten gehörte zum liberalen Bildungsbürgertum. Bauern und Arbeiter waren nicht vertreten.
Im Mittelpunkt der Paulskirchendebatten über Menschen- und Bürgerrechte standen Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Rechtsgleichheit und Aufhebung der Standesprivilegien sowie die Freiheit des Individuums. Dagegen war von einer sozialen Verpflichtung des Privateigentums und vor allem einem Recht auf Arbeit und soziale Sicherheit für unverschuldet in Armut geratene Bürger […] eines der dringenden Probleme zu jener Zeit […] nicht die Rede.
Die zeitweilige Solidarität zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum zerbrach sehr bald an den sozialen Interessengegensätzen. Das liberale Bürgertum begann schließlich, die sozialrevolutionären Bestrebungen der verarmten Volksschichten mehr zu fürchten als die autoritären Machtansprüche der Könige und Fürsten, und darin bestand ein wichtiger Grund für das letztliche Scheitern der Revolution, an die sich so große Hoffnungen für ein einheitliches, demokratisches Deutschland geknüpft hatten.
Am 27. März 1849 verabschiedete die Nationalversammlung eine Reichsverfassung. Ihr zufolge sollte Deutschland als Bundesstaat eine konstitutionelle Monarchie mit einem erblichen Monarchen an der Spitze werden. Am 29. März wählt die Frankfurter Nationalversammlung den preußischen König zum „Kaiser der Deutschen“. Als dem König von der „Kaiserdeputation“ das Ergebnis dieser Wahl überbracht wurde, hielt dieser an dem Prinzip des „Gottesgnadentums“ fest und lehnte ein aus demokratischen Wahlen hervorgegangenes „Volkskaisertum“ ab. Damit war auch das Verfassungswerk der Paulskirche gescheitert.
Stattdessen schmiedete Bismarck, seit 1862 Ministerpräsident von Preußen, den deutschen Einheitsstaat mit „Blut und Eisen“ und bemühte sich mit einer halbherzigen Sozialgesetzgebung vergeblich, die tiefgreifenden Klassengegensätze zu überbrücken, die sich aus der fortschreitenden Industrialisierung ergaben.
Bis zur Entstehung eines demokratischen Deutschlands war es noch ein sehr weiter Weg. Die Verfassung der Weimarer Republik enthielt zwar alle wesentlichen Punkte, die auch im Verfassungsentwurf der Paulskirche enthalten waren, doch fehlte es an tatkräftigen und fähigen Demokraten, die imstande gewesen wären, diese Verfassung mit Leben zu erfüllen.
Auch wenn die Revolution von 1848 scheiterte – das Jahr selbst kann als Geburtsstunde demokratischer Parteien, wie wir sie heute kennen, angesehen werden. Interessierte sollten es deshalb nicht versäumen, den Friedhof der Märzgefallenen, diese historische Gedenkstätte, und die dazu gehörige Ausstellung zu besuchen.
Friedhof der Märzgefallenen; Ernst-Zinna-Weg / Landsberger Allee, 10245 Berlin; geöffnet Donnerstag bis Dienstag 10–18 Uhr, mittwochs geschlossen; weitere Informationen im Internet.
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