21. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Febuar 2018

Winterliche Stippvisite in Bad Lauchstädt

von Manfred Orlick

Mindestens eine Stippvisite in Bad Lauchstädt gehört zum jährlichen Ritual von meiner Frau und mir. Meist jedoch im Frühjahr oder in den Sommermonaten.
Nun aber Mitte Januar.
Während wir die reichlich zwanzig Kilometer mit dem Auto zurücklegen, waren die Hallenser vor über zweihundert Jahren mit dem Pferdewagen oder gar zu Fuß unterwegs. Und das häufig wegen einer Theateraufführung.
Auf Betreiben pietistischer Kreise war 1771 in der Saalestadt ein Schauspielverbot erlassen worden. Also zogen die Studenten und Bürger in großen Scharen aus dem preußischen Halle in das kursächsische Lauchstädt. Seit 1761 gab es dort einen hölzernen Komödienbau zur Unterhaltung der sommerlichen Kurgäste. Dieser schäbige Musentempel wurde von wandernden Theatergruppen und später von der Weimarer Schauspieltruppe bespielt.
Als Johann Wolfgang von Goethe 1791 Generaldirektor des neuen Weimarer Hoftheaters wurde, war er auch für Lauchstädt zuständig. Er bemühte sich um ein „schicklicheres Schauspielhaus“ – sprich einen Neubau. Fast fünf Jahre dauerten die zähen Verhandlungen mit Sachsen-Weimar und Kursachsen. Der Bau selbst war dann in einem Vierteljahr fertiggestellt.
Am 26. Juni 1802 konnte das neue Kurtheater mit Mozarts Oper „Titus“ und einem von Goethe verfassten Vorspiel eröffnet werden. In der neuen Spielstätte wurden nun häufig zeitgenössische Stücke aufgeführt. Der junge Joseph von Eichendorff, damals Student in Halle, schrieb später in seinen Erinnerungen: „War nun […] ein Stück von Goethe oder Schiller angekündigt, so begann sofort eine wahre Völkerwanderung.“
Bei solch einer Theaterbegeisterung würden heutzutage Intendanten und Regisseure mehr als ein Leuchten in die Augen bekommen.
Danach hatte das Goethe-Theater eine bewegte Geschichte. In den 1890er Jahren musste es baupolizeilich geschlossen werden und wenige Jahre später drohte sogar der Abriss. Doch 1906 gründete sich ein Verein und mit der Finanzspritze eines halleschen Bankiers konnte die historische Spielstätte gerettet werden.
Sechzig Jahre später musste allerdings wieder grundlegend saniert werden. Dieses Mal waren vor allem die VEB Chemischen Werke Buna der Geldgeber. Bei der von 1966 bis 1968 erfolgten Restaurierung ging es darum, Kuranlagen und Theater so wiederherzustellen, wie Goethe und seine Zeitgenossen sie erlebt hatten. Trotz Mangelwirtschaft, dafür mit handwerklicher Kompetenz, mit möglichst altem Holz und historischen Werkzeugen wurde unter anderem die alte Bühnenmaschinerie des Theaters wieder funktionstüchtig gemacht.
Eine Meisterleistung, die heute noch Anerkennung findet.
Der Zahn der Zeit nagt jedoch auch unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen weiter. Daher wird seit Jahren erneut saniert. Und so empfängt uns das kleine Theater an diesem Januartag mit Baugerüsten und riesigen Abdeckplanen. Geräusche aus dem Innern verraten, dass kurz nach den Feiertagen schon irgendwelche Handwerker bei der Arbeit sind. Voraussichtlich bis 2020 sollen die Sanierungsarbeiten dauern, aber das jährliche „Festspiel der deutschen Sprache“ und die Händelfestspiele sollen durchgeführt werden.
Zu meinem Bedauern steckt auch die Goethe-Büste vor dem Theater noch in ihrem hölzernen Winterschutz. Wenigstens das Schiller-Denkmal am Eingang des Parks ist nicht eingehüllt. Die Inschrift erinnert daran, dass der Dramatiker zweimal in Lauchstädt weilte. Denkwürdig war sein Aufenthalt 1803 zur Aufführung seiner „Braut von Messina“, die von einem heftigen Gewitter begleitet wurde. Der Regen soll so auf das Theaterdach geprasselt haben, dass das Publikum kaum ein Wort verstand. Trotzdem wurde Schiller stürmisch gefeiert, und das junge Volk zog noch in der Nacht mit Hochrufen vor sein Fenster.
An diesem trüben Januartag ist der Park fast menschenleer. Nur ein einsamer Radler hat sein Gefährt abgestellt und genießt auf einer Parkbank seinen mitgebrachten Nachmittagskaffee aus einer Thermoskanne. Auf der benachbarten Rasenfläche begutachtet eine junge Frau im Arbeitsoverall gewissenhaft die laublosen Parkbäume. Ihre Beobachtung trägt sie in ein Notizbuch ein. Sicher eine Gartenbauingenieurin. Besonders einen Baum umkreist sie mehrfach, wobei ihr kritischer Blick immer wieder in die Krone geht. Ich möchte ihr zurufen: „Der sieht doch gut aus“ … aber ich unterlasse meine laienhafte Bemerkung. Schließlich kann ich kaum eine Buche von einer Linde unterscheiden, wenn sie kein Laub tragen.
Nachdem wir die kleine Parkrunde beendet haben, ist der Radfahrer verschwunden … samt seiner Thermoskanne. Dafür steht uns selbst der Sinn nach einer Tasse Kaffee. Wie bei vielen unserer Lauchstädt-Ausflüge steuern wir das kleine Kurpark-Café am Schlossteich an. Doch „Christiane Vulpius“ – so der verführerische Name des Cafés – verharrt ebenfalls noch im Winterschlaf.
Was bleibt uns übrig … mit dem Auto geht es wieder Richtung Halle, wo daheim neben dem Kaffee noch ein Rest vom Weihnachtsstollen wartet.
Am Abend lese ich dann, dass Christiane Vulpius gerne in Lauchstädt weilte, vor allem wenn ihr vielbeschäftigter Johann Wolfgang auf Reisen war. Dann war sie vor Ort gewissermaßen seine Vertreterin, die Schauspieler vermittelte oder ihm von Proben und Aufführungen berichtete. Während sie in Weimar von Hof und Gesellschaft abgelehnt wurde, blühte sie hier in Lauchstädt auf und wurde anerkannt.