von Lutz Unterseher
Vor einigen Jahren fand eine Glosse Eingang in Das Blättchen, die mit „Automat Kalaschnikow: Das deutsche Erbe“ betitelt war. Darin wurde dargetan, dass die Konstruktion des AK 47, mit der Michail Timofejewitsch Kalaschnikow weltberühmt wurde, zwar nicht als Kopie des Sturmgewehrs 44 (Stg 44) der Nazi-Wehrmacht, aber doch als davon sehr wesentlich inspiriert gelten darf. Dies wird von interessierter Seite immer wieder bestritten. Doch soll der Streit hier nicht fortgesetzt werden – jedenfalls nicht mit Hinweisen auf trockene technische Details. Es mag genügen, an das Schicksal Hugo Schmeissers zu erinnern. Er, der Vater des Sturmgewehrs 44, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf die damals übliche Weise herzlich in die Sowjetunion eingeladen, um dort – im Ural – dem Kollektiv Kalaschnikows zu dienen. Bald nach seiner Rückkehr starb er 1953 im heimischen Thüringen.
Eine gewisse Bestätigung, wenn auch der bizarren Art, erfuhr die Geschichte der Wahlverwandtschaft zweier Waffen kürzlich durch ein Ereignis in Moskau. In dessen Zentrum wurde im September 2017 ein großes Kalaschnikow-Denkmal eingeweiht. Übrigens sehr zum Unwillen liberaler Kreise, die sich fragten, ob einem Mann, mit dessen Produkten (weltweit bis zu 100 Millionen Stück) Hekatomben von Menschen um Leben oder Gesundheit gebracht wurden, solcherlei Ehre gebührt.
Das Denkmal ist eine klotzige Installation aus Bronze und Granit – gekrönt von der überlebensgroßen Statue des Michail Timofejewitsch, der – in Freizeitkleidung – mit einem AK 47 in den Händen voranschreitet. Es handelt sich um einen weiteren Triumph des sozialistischen Realismus, einer Kunstrichtung, die auch neuer russischer Staatlichkeit kongenial zu sein scheint.
Im unteren Bereich der Anlage sind reliefartig verschiedene Versionen des berühmten sowjetischen Sturmgewehrs abgebildet. Zu diesen technischen Darstellungen gehörte bei Einweihung des Denkmals auch noch eine eingravierte Konstruktionszeichnung. Alsbald fand freilich ein Kundiger heraus, dass diese sich nicht auf das AK 47, sondern auf das Stg 44 bezog.
Es kam zu wüst wütenden Zusammenrottungen russischer Patrioten, und der verantwortliche Künstler fühlte sich in seiner Haut nicht mehr so recht sicher. Der Arme, sein Name ist Salawat Schtscherbakow, versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass man in der Entwurfsphase des Denkmals das Internet konsultiert, die inkriminierte Zeichnung im Kontext des Suchbegriffes „Kalaschnikow“ gefunden und sich nichts weiter dabei gedacht habe. Selbstverständlich fiel die „falsche“ Gravur nach wenigen Tagen der Schleifmaschine zum Opfer.
Der russische Patriotismus und die Technik: Das ist eine absonderliche Geschichte. Denken wir zurück an die kulturelle Spaltung der russischen Elite im 19. Jahrhundert in Narodniki („Volkstümler“) und Westler! Trugen erstere die rekordverdächtige Tiefe der russischen Seele als Banner vor sich her, wollten letztere Erneuerungsimpulse, die nicht nur politische Liberalisierung, sondern auch den Import technischer Neuerungen bedeuten sollten.
Dann erschien irgendwann der Große Stalin auf der Bühne. Er, der seine Laufbahn als georgischer Nationalist begonnen hatte und von Gottvater Lenin zum Volkskommissar für Nationalitätenfragen gemacht worden war, fühlte sich berufen, den Russen als dem ethnischen Kern des Sowjetvolkes eine neue Identität zu verordnen. Sein strategischer Trick bestand darin, „Osten“ und „Westen“ dadurch zu vermählen, dass die unvermeidliche russische Seele mit dem verquickt wurde, was an Westimporten nützlich erschien. Und diese Operation schien ihm dann am besten zu gelingen, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Technik, anders als von den Narodniki angenommen, dem russischen Wesen gar nicht so fremd war – dass technologischer Fortschritt keineswegs nur als Importfrage gesehen werden musste.
Folgerichtig wurde nach echt russischen Erfindern und naturwissenschaftlichen Durchbrüchen gefahndet, die wegen der Westorientierung der internationalen akademischen Gemeinde zu wenig – oder gar keine – Aufmerksamkeit gefunden hatten. So entstanden alsbald eindrucksvolle Aufstellungen entsprechender Errungenschaften. Es wurde etwa behauptet, dass Russen für folgende Erfindungen verantwortlich gewesen wären: Heißluftballon, lenkbares Luftschiff, Motorflugzeug, drahtlose Telegrafie, Flüssigkeitsrakete und Rucksackfallschirm.
Die solcherart den russischen Genius ausweisende Liste wurde immer länger und damit zunehmend unglaubwürdig. Man begann zu spotten. So etwa gab der Komponist Dimitri Dimitrijewitsch Schostakowitsch einem Kapitel seiner – vielleicht nicht völlig authentischen – Autobiografie die Überschrift „Russland, die Heimat der Elefanten“.
Doch war der Spott nicht durchweg berechtigt. Tatsächlich waren bedeutende russische Leistungen anderswo geflissentlich übersehen worden. Um nur ein Beispiel für viele zu nennen: Alexander Stepanowitsch Popow darf mit Recht als unmittelbarer Vorläufer des Guglielmo Marconi gelten, den wir uns angewöhnt haben, als Erfinder der drahtlosen Telegrafie zu sehen.
Der Große Stalin inspiriert auch heute noch. Jedenfalls kursieren weiterhin „Listen russischer Erfinder und Entdecker“ in unterschiedlicher Länge – die kürzeren wohl etwas seriöser als die längeren. Auffällig ist, dass dabei auch die Leistungen von „Kleinrussen“, also Ukrainern, denen der „Großrussen“ zugeschlagen werden. Der Chef des sowjetischen Raumfahrtprogramms Sergei Pawlowitsch Koroljow, von Stalins Schergen geschunden, war ebenso ukrainischer Herkunft wie Igor Iwanowitsch Sikorski, der Konstrukteur des ersten viermotorigen Flugzeuges der Welt und des ersten wirklich praktikablen Hubschraubers. Sie und viele andere könnten eine eigene Liste begründen.
Den russischen Patrioten würde das aber gar nicht schmecken. Ihr verschärfter Nationalismus feierte übrigens fröhliche Urständ‘, als der uns bereits bekannte Schtscherbakow, damals noch in der Gnade seines Führers, in Kremlnähe ein mächtig monolithisches Monument zu Ehren des Wladimir Monomach, des Begründers der Kiewer Rus, der Keimzelle russischer Staatlichkeit, errichten durfte. Die Kiewer Nationalisten wiederum haben den Affront sehr wohl verstanden.
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