von Eckhard Mieder
Seit einiger Zeit – seit wann eigentlich? – geistert „der alte, weiße Mann“ durch Soziologie, Politik und Medien. Mit ihm wird, wenn ich es recht verstehe, ein Typ beschrieben, der westlich sozialisiert ist und in der Hierarchie der Welt ganz oben steht, über Macht und Geld verfügt. Nach seinen Vorstellungen, in denen sexistische, rassistische, kolonialistische, arrogante Elemente vorkommen, soll die Welt (inklusive Land, Stadt und Familie) funktionieren. „Der alte, weiße Mann“ ist also das grob gemalte, wahrscheinlich nicht mal unstimmige Feind-Porträt, auf das jeder und jede, die sich betrogen, ausgebeutet, benutzt, gefesselt fühlen, spucken, Dart-Pfeile oder Bömbchen werfen und kotzen darf.
Seit kurzer Zeit – seit wann eigentlich? – gesellt sich zu „dem alten, weißen Mann“ „der ostdeutsche Mann“. Er hat nicht die Macht und nicht die Dominanz „des alten weißen Mannes“, den ich der Einfachheit halber Donald nenne.
„Der ostdeutsche Mann“ siedelt als Gattung vorwiegend auf dem Lande, wo es zwar in Frühling und Sommer die Apfelblüte gibt; ansonsten blüht wenig in den Landschaften „des ostdeutschen Mannes“. Er hat, wenn er alt genug ist, noch seine Erinnerungen an die DDR. Er fühlt sich von den Politikern, die sowieso alle aus dem Westen stammen (und wenn nicht, sind sie angepasst, etabliert, korrumpiert), von der Justiz, die sowieso von Westlern betrieben wird und von Bürokratien (die durchsetzt und bestimmt sind von Westlern) betrogen und belogen und beraubt.
Seine Arbeitsbiographie muss nicht unbedingt Lücken aufweisen; bei vielen „der ostdeutschen Männer“ allerdings sind prekäre Arbeitsverhältnisse (inklusive Arbeitslosigkeit und Gängen zu Arbeitsämtern beziehungsweise -agenturen) Elemente ihres Lebens geworden. Auch heißt es, dass die Frauen aus den Gegenden, in denen „der ostdeutsche Mann“ lebt, weggelaufen sind. Sie suchen sich Arbeit, sie sind flexibel, gut ausgebildet und pragmatisch, Es heißt, die Frauen-Dichte in den Dörfern und kleinen Städten „des ostdeutschen Mannes“ sei luftiger als die Frauen-Dichte in polarnahen Terrains im Norden Europas.
Ich will „den ostdeutschen Mann“ der Einfachheit halber Egon nennen.
Egon ist mit Donald nicht zu vergleichen. Was der eine an Macht und Geld in Fülle hat, hat der andere an Ohnmacht und Wut zu viel. Weder Egon noch Donald geht es schlecht, obwohl das Lebenserhaltungs-Niveau des Donald und Egons Über-die-Runden-Kommen sehr unterschiedlich sind. Ob es dem Egon an Chancen fehlt, ob er sich nicht genügend müht, ob er sich aufgegeben hat oder ob er einfach nur Pech hatte? Donald jedenfalls wird von seiner eigenen Tüchtigkeit erzählen, davon, dass jeder die Chance hat, Milliardär oder wenigstens Landrat zu werden. Der Sage nach ist bekanntlich und verlogen jeder seines Glückes Schmied.
Donald ist mit Egon zu vergleichen, doch, doch. Sowohl in „dem alten, weißen Mann“ wie auch in „dem ostdeutschen Mann“ stecken jede Menge Ressentiments; unterschwellige, oft unbewusste Abneigungen, die sich gegen alles Mögliche und alle Möglichen richten. Vermutlich unterscheiden sich Donald und Egon in dieser Egalität wiederum doch. Wo der Egon mault, auf der Straße oder im Internet hetzt, wo Egon also seine Ressentiments öffentlich macht, da tritt Donald diskreter auf. Donald hat Kultur, trägt feinen Zwirn und lässt hetzen; Egon hingegen müsste dringend zum Zahnarzt, damit sein wutverzerrtes Gesicht unterm „Der/die/das muss weg“-Plakat ein kleines bisschen hübscher wird.
Warum interessieren mich überhaupt „der alte, weiße Mann“ und „der ostdeutsche Mann“? Weil ich selber ein alter, weißer Mann und ein ostdeutscher Mann bin? Ein alter, weißer Mann und ein ostdeutscher Mann. Zwischen unbestimmtem und bestimmtem Artikel liegen Welten.
Ich bin beides, dem Alter und der Herkunft nach. Ich bin nach Einkommen und Status der eine nicht, wie ich der andere seines angeblichen Frusts und seiner behaupteten Abgehängtheit nach auch nicht bin. Das Bild von „dem alten, weißen Mann“ taugt nur als Feind-Bild. Das Bild von „dem ostdeutschen Mann“ taugt nur als Fremd-Bild. Ich fühle mich als ein alter, weißer, ostdeutscher Mann weder gemeint noch geeignet.
Bis auf den Umstand, dass es wenig Spaß macht, älter zu werden (aber, Gottchen, was wäre die Alternative?), bin ich gern ein alter, weißer Mann. Ich kann mir, schaue ich in die Welt, sehr, sehr viel unangenehmeres, schlimmeres Mensch- und Mann-Sein vorstellen. Ich habe unverschämtes Glück, bis heute davongekommen zu sein.
Bis auf den Umstand, dass ich seit fünfzehn Jahren in Frankfurt am Main lebe, ein Liebhaber des Riesling-Weines (trocken) geworden bin und mit Banken nichts am Hut habe (steckt tief in mir drin), bin ich gern ein ostdeutscher Mann. Was soll ich sonst sein oder werden? Ich bin gern einer, und als der bin ich nur ich.
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