von Eckhard Mieder
An einem nächsten meiner stinklangweiligen Tage fuhr ich in die Flensburger Straße, dann in die Eckenförder Straße hinein, um circa hundert Meter vor meinem Ziel zu stoppen. Ein Auto hatte sich quer über die Straße gelegt. Zwei Frauen mühten sich am Heck ab. Eine dritte, die jüngste der Frauen am Steuer, stieg aus, kam zu mir und bat mich, über den Bürgersteig am „Malheur“ vorbeizufahren. Denn ein „Malheur“ war ihr geschehen: Ihr Auto sprang nicht an.
Ich setzte ein paar Meter zurück und ließ meinen Opel über eine Bordsteinkante, die mir arg hoch vorkam, hinauf gleiten und fuhr langsam an dem „Malheur“ vorbei. Bevor ich wieder das Niveau des Asphalts erreichte, fragte ich mich, ob nicht meine Hilfe erwünscht sein könnte. Natürlich musste ich helfen; müsste ich natürlich helfen?
Mein Leben, ging mir durch den Kopf, ist konjunktiv geworden. Zum einen möchte ich niemandem zu nahe treten mit einer fröhlichen, arglosen, sommerheiteren Bemerkung; schnell könnte ich eines machohaften, sexistischen Auftretens bezichtigt werden. Zum anderen ist ein schlichtes Hilfsangebot möglicherweise, ich sage möglicherweise, gar nicht erwünscht; jemandem zu helfen, jemanden einzuladen, hieße, dessen Dank einzufordern. Und denjenigen in die Bedrängnis bringen, seinerseits zu helfen oder einzuladen. Das ist das Spiel, das ist das Ritual. Alles ist möglich, alles ist unmöglich. (Ich fahre Opel, nicht Toyota.)
Dahin ist es gekommen, dachte ich. Die monotone Produktion von Waren hat längst die Sphäre der Wirtschaft verlassen. Die Produktion von Waren ist inzwischen auch die Produktion von monotonen Gefühlen geworden. Und monotone Gefühle erzeugen Standards, Klischees, Verhaltensmuster, die über Distribution und Konsumtion in den Kreislauf der Gesellschaft geraten, in die Blutbahnen, in die Gene …
Gut, dachte ich weiter, übertreibe es nicht. Es tut nicht gut, an stinklangweiligen, gewöhnlichen, aber sonnigen Tagen über den Kapitalismus und seine moralischen Wucherungen nachzudenken. Steig aus und hilf! Eine nächste Frau, die vierte, eine Fremde, die nicht zum Verbund der drei Frauen am Auto gehörte, kam von irgendwoher (aus dem Himmel?), lächelte mir zu und würde mir helfen. Und ich geriet in die Kommunikations-Hölle.
Ich schlug vor, wir schieben das Auto kräftig an. Die Frau am Steuer würde den zweiten Gang einlegen, das Gas langsam kommen lassen – und die Karre könnte laufen. (Die dazugekommene Frau nickte, genau das entsprach ihren polytechnischen und fahrerischen Erfahrungen.) Die beiden Frauen am Heck des Autos schauten mürrisch und ablehnend. Ein Kerl gab ihnen Ratschlag, wo sie doch eben dabei waren, das Problem zu lösen. Ihrer Ansicht nach.
Das sollte einem Mann wie mir egal sein. Von der Art Frauen, die jeden fremden Mann als Eindringling, Perversen, Heuchler, Besserwisser und Wüstling betrachten, hatte ich in den letzten 25 Jahren genügend Exemplare kennen gelernt; ich hatte das Lachen und das Höflichsein darüber nicht verlernt, das Lachen geht mehr so nach innen, sicherheitshalber. Also schoben wir. Gemeinsam stumm.
Die Hölle ist ein stiller Ort. Ich hätte gern gesagt, dass die Frau am Steuer nicht begriffen hat, was sie zu tun hatte. Ich wäre gern der Frau Nr. 4 gefolgt, die mir zuraunte, vielleicht wäre es besser, sie selbst setze sich ans Steuer und die Frau, die am Steuer inkompetent war (o Gott – eine Frau, die inkompetent ist, gut, dass Gedanken nicht zu hören sind!) nähme ihren Platz ein. Ich nickte. Gute Idee. Die beiden anderen Frauen neben mir am Heck schauten finster.
Um es kurz zu machen. Die Konstellation blieb die gleiche, bis ich begriff, die drei Ursprungsfrauen wollten die Batterie des Autos gar nicht aufladen. (Oder vielleicht doch?) Sie wollten das Auto in eine Lücke schieben, es dort abstellen und vermutlich den ADAC rufen. Oder einen Mann ihres Vertrauens.
Die dazugekommene Frau lächelte mich an, ich lächelte sie an, sie sagte, dass sie das kenne (was? hätte ich fragen sollen, aber ich wusste, was sie meinte) und verschwand in den Himmel, aus dem sie gestiegen war. „Naja“, sagte ich, „dann fahre ich jetzt mal weiter.“ Die beiden etwas älteren Frauen am Heck, von dem sie sich gelöst hatten, lächelten noch immer nicht. Die Frau, die im Auto lenkte, stieg aus und sagte müde: „Danke, trotzdem!“ Und ich war sehr, sehr froh, dass ich an diesem nächsten meiner stinklangweiligen Tage davonkam. Hundert Meter weiter zu einem Parkplatz in der Nähe meines Gartens, in dem ich die Saat in den Hochbeeten wässerte und daran dachte, dass das Leben, wenn es konjunktiv wird, echt keine Freude ist. Hingegen ist es, bleibt es im Indikativen, schön. Und die Vögel singen ohnehin über allen Fragen und Zweifeln ihre wunderbar-zielsicheren Melodien; entweder stellt sich demnächst ein Partner ein, oder es gibt keine Eier und keinen Nachwuchs in diesem Jahr.
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