von Eckhard Mieder
Ich habe lange nichts von meinem Garten erzählt; es wird mal wieder Zeit. So wie es an der Zeit ist, Tomaten- und Gurkenpflanzen zu setzen und die Samen für Lauchzwiebeln, Buschbohnen und Erbsen in die Erde zu legen. Das große Beet habe ich in diesem Jahr mit Gründünger besät; der wächst bereits wie das Chaos und verspricht eine bunte Durcheinanderwiese von Wicken und was weiß ich noch alles zu werden. Vorschreiben kann ich nichts, Anweisungen, gar Befehle zu geben, wäre sinnlos, der Wiese Plan ist auch mein Plan.
Nach dem Blühen werde ich das Grünzeug untergraben, der Boden wird mit Nährstoffen angereichert, und ich weiß noch gar nicht, ob er im nächsten Jahr als sanierter Früchte-Geber gebraucht werden wird – oder ob er wieder eine Wiese werden darf. Mein Plan dann ist auch der Wiese Plan. Dann.
Für wieder Wiese spricht meine größte Neuerung; drei Hochbeete, die ich im März gezimmert habe. In Wochen des Wahnsinns. Als wir alle Kaninchen waren und auf die Schlange Trump starrten. Als dieses Mega-Bombe in Afghanistan gezündet, in Syrien ein Flughafen mit Marschflugkörpern (dieses Wort ist einen Essay wert) angegriffen und es zwei Wochen lang sommerlich warm war. Die Sonne hat die Obstbäume hinters Licht geführt; sie begannen zu blühen, und als dann Freund April kam und Kälte und Bodenfrost spendierte, erfroren sie. Zum Teil. Es geht nie alles kaputt, wie auch nie alles gedeiht.
Dieser Satz klingt gescheit und hell, wie dieser Vogel, den ich höre, aber nicht sehe. Er stimmt aber natürlich nicht. Wenn etwa ein Mensch stirbt, auf dem Mittelmeer, bei einem Attentat, wenn er ein Kind ist und unter eine Bombe gerät – dann ist alles kaputt. Solche klugschnackenden Sätze stimmen immer nur, wenn man das Konkrete nicht betrachtet, sondern einreiht in ein Abstraktum. Etwa: Ein Mensch stirbt, aber die Menschheit stirbt nicht. Was hat der eben aus dem Leben Gerissene davon? Und was hat – die Menschheit davon, wenn sie zulässt, dass nicht alle Menschen gedeihen können?
Die Bäume und Pflanzen bilden Reserven. Sie werfen nicht alles gleich in die Schlacht um das Wachstum. Sie wissen, sie sind uns Menschen Jahrmillionen voraus, dass sich a) die Verhältnisse ändern können und dass man sich b) darauf vorbereiten soll. In der Politik der Menschen wird das gern Plan B genannt. Das ist genau der Plan, den es bei Katastrophen nicht gibt. Dafür können Politiker (oder Militärs) an Krisen wachsen. Sie werden dann die Helden, die sich Hochwassern entgegenstemmen, entführte Flugzeuge stürmen, kühlen Kopf in Finanzkrisen, in denen sie sowieso nichts zum Besseren richten können, außer Geld reinzupumpen (wie ich Wasser in die Gießkanne), bewahren.
Das Schönste und Überraschendste: In der Hochbeet-Erde haben sich Radieschen ungeachtet der Wetter zu wahren Prachtkerlchen ausgewachsen! Sie sind nicht so rebellisch scharf, wie man es von der Jugend erwartet. Aber prall, saftig und von glatter Haut sind sie. Sie sind extrem rot, wobei es eine Sorte gibt (die ist im zweiten Hochbeet zuhause), die wächst fast zur Größe einer Rote-Beete-Rübe heran und verliert ihr Rot ins Weiß. Ob diese Radieschen mir was sagen wollen, weiß ich nicht. Ich spreche nicht Radiesisch, und ich vermute, die haben den Mund voller Erde und sind eher maulfaul.
Beim Säubern des länglichen Beetes zu meinem linken Nachbarn hin, komme ich an die Grenze. Dem Giersch auf den Grund zu gehen, seine bleichen nackten, langen Verwurzelungen zu verfolgen und herauszureißen, ist schier unmöglich. Und – ich entdecke ein Loch unterm Flieder-Busch, das der Eingang für eine Maus, eher eine Ratte, sein könnte. Ich lasse es, wie es ist. Oder soll ich da Feuerwerks-Körper rein schmeißen, Säure rein spritzen, es mit Sand und Steinen zustopfen? Ich möchte, dass der Garten lebt; ich möchte nicht ein Mörder sein. Einspruch, Euer Ehren Gärtner! Schnecken, oh, die würde ich vierteilen. Aber es sind noch keine da.
Ich komme zum Ende. Es mag sein, dass niemand an einem Bericht aus meinem Garten interessiert ist. Na und? Ich weiß nicht, woran überhaupt jemand interessiert ist. Die einen an Schönheitsoperationen, die anderen an Gedichten? Es wird welche geben, die schauen sich im TV nackte Körper an und entscheiden angesichts von Penissen und Scheiden, ob sie sich die Trägerin beziehungsweise den Träger des einen oder der anderen als Partnerin/Partner vorstellen können. Ein Sendeformat, dass unsere verteidigungswerten westlichen Werte auf den Prüfstand des Refrains stellt: Die oder der?/Ach, du meine Güte!/Alles in eine Tüte/Und versenkt im Meer!
Oder es gibt welche, die lieben es, sich an den Wochenende, kaum wird’s draußen warm, wird aufgebockt, aufs Motorrad zu setzen und durch Berg und Wald zu brettern. Wieder andere sind schon jetzt mit der Planung des nächstjährigen Faschings befasst. Es gibt noch diejenigen, die sich nur für ihre bevorstehende Hochzeit interessieren. Es gibt die, die ihren 600. Sexualpartner über einen digitalen Partner-Zubringerdienst per Paket schicken lassen. (Ich sah neulich einen TV-Bericht über einen Japaner, der mit zwei Puppen zusammenlebt und sehr glücklich ist. Die Puppen sahen echt wie echte Mädchen aus, so Plastik altert nicht mal und kann auch ihrem Besitzer nicht sagen, dass er Scheiße aussieht, toll!)
Und es gibt diejenigen, die sich unter dem Wein-Gerank (der ist übrigens nicht erfroren, treibt grün und gesund aus) auf die Terrasse setzen, eine Flasche Bier öffnen und zu sich sagen, dass in diesem Jahr der Ahorn stark invasiv tätig ist: Spießer wie ich.
Schlagwörter: Eckhard Mieder, Garten, Grünzeug, Katastrophen, Pflanzen