20. Jahrgang | Nummer 10 | 8. Mai 2017

Gemeinschaftslager Koenigpark

von Andreas Peter

Die Neißestadt Guben war seit Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt von einer florierenden Tuch- und Hutindustrie. Bis zu ihrer Enteignung 1938, die damals Arisierung genannt wurde, galt die im Jahre 1888 gegründete Berlin-Gubener Hutfabrik AG, vormals Apelius Cohn (BGH), als bedeutendster Huthersteller in der Stadt und einer der größten in Deutschland. Diese Aktiengesellschaft bestand aus mehreren Zweigbetrieben, von denen die Abteilung Lissner in der verlängerten Winkelstraße die größte war. Der Stammsitz der Aktiengesellschaft befand sich in der Uferstraße.
Ab Frühjahr 1943 verlagerte die C. Lorenz AG, ein renommierter Elektrokonzern, wegen der Bedrohung durch Luftangriffe seine Betriebsteile von Berlin-Tempelhof in verschiedene Zweigwerke. Eines davon entstand in den Räumlichkeiten des Stammhauses der BGH in Guben in der Uferstraße, in der die Produktion von Hüten inzwischen kriegsbedingt größtenteils eingestellt worden war.
In einem gemieteten Teil der Fabrikgebäude mit 27.800 Quadratmetern begann 1943 der Aufbau einer Montage von Funkgeräten für die Luftwaffe. Bis zum Ende des Krieges wurden Investitionen in Höhe von rund 1,9 Millionen Reichmark vorgenommen. Am 31. Dezember 1944 waren dort 2799 Arbeiter und 247 Angestellte beschäftigt.
Zu diesen Personen zählten Mädchen und junge Frauen aus Ungarn und Polen, die von Auschwitz in mehreren Transporten direkt oder mit Zwischenstationen nach Guben gebracht worden waren. Zwei größere Häftlingstransporte in das Lager Guben sind dokumentiert. Der erste Transport mit etwa 600 zumeist ungarischen Jüdinnen kam in den letzten Julitagen des Jahres 1944 in Guben an. Sie trugen die Häftlingsnummern 10631 bis 11280 der 2. Groß-Rosener Besetzung. Ein zweiter Transport mit etwa 350 Frauen und Mädchen wird für den September 1944 verzeichnet, mit den Häftlingsnummern 57851 bis 58200. Das Rüstungskommando Frankfurt/Oder wurde am 29. August 1944 darüber informiert, dass 300 jüdische Frauen bei der Firma C. Lorenz AG (Guben) eingetroffen waren. Übereinstimmend wird jedoch die Gesamtbelegung des Lagers Guben mit 1000 Mädchen beziehungsweise Frauen benannt.
Das mit elektrisch geladenem Zaun umgebene Lager befand sich in einem Wald auf der östlichen Seite der Neiße auf dem Sportplatz des Fußballclubs „Spielvereinigung“. Es trug die Bezeichnung „Gemeinschaftslager Koenigpark“, dort waren außerdem italienische und französische Militärinternierte untergebracht.
Die Bezeichnung „Koenigpark“ bezieht sich auf den nahegelegenen Park, den der Gubener Verleger und Druckereibesitzer Albert Koenig (1844-1909) der Stadt 1904 für Erholungszwecke geschenkt hatte.
Die Lebensbedingungen im Gubener Lager waren wie in anderen Außenlagern schwer. Die Arbeitsschichten betrugen zwölf Stunden Tag- und Nachtschichten ohne Unterbrechung.
Die Verpflegung war mangelhaft. Am Morgen gab es trüben Kaffee, später eine dünne Suppe und 200 Gramm Brot am Tag. Die Kommandoführerin schlug häufig und grundlos zu. Auch unter der Kälte hatten die Häftlinge zu leiden, da keine Winterbekleidung ausgeteilt wurde. Die Häftlinge mussten im Winter barfuss den mehrere Kilometer langen Weg zwischen dem Lager und ihrer Arbeitsstelle zurücklegen.
Akute und chronische Verkühlungen und Lungenentzündungen, Kopf- und Flecktyphus traten aufgrund der mangelhaften Kleidung im Winter auf. Im Lager gab es keine Medikamente und keinerlei ärztliche Versorgung. Allerdings war ein Krankenrevier vorhanden, in dem sich arbeitsunfähige Häftlinge zeitweilig aufhalten konnten. Ob vor der Evakuierung Häftlinge im Lager Guben starben, konnte nicht ermittelt werden. Etliche Häftlinge empfanden die Bedingungen in Guben als Verbesserung gegenüber denen in Auschwitz. Die Unterkünfte waren mit Betten ausgestattet und wurden als sauber beschrieben.
Es waren vor allem die kleinen Gesten der Menschlichkeit von Seiten der deutschen Zivilbeschäftigten in der Fabrik, die den überlebenden Frauen im Gedächtnis blieben. Dazu schreibt die ehemalige Insassin Esther Schönkopf: „Die Arbeitsleitung bestand aus 5 Personen: Frau Feller, Ernst Müller (Abteilungsleiter), Hans Stach und ein junges Paar, das nie mit uns Kontakt hatte. Derjenige, der uns die Herstellungsarbeit instruiert hat, war Hans Stach.
Meine kleine Gruppe waren damals die absolut glücklichsten Menschen der Welt. Die von uns erwähnten 5 Personen haben uns aktiv geholfen und haben sich für uns interessiert. Hans Stach ist einmal pro Monat nach Berlin nach Hause gefahren. Er kam zurück mit Decken, die er zusammen mit Frau Feller in Stücke geschnitten hat, um davon Fausthandschuhe und Schuhe zu machen. Außerdem haben sie aus der Personalküche Essen für uns geschmuggelt. Die Küche war also auch positiv uns gegenüber eingestellt. Aufseherinnen haben uns bewacht mit der Aufgabe, dass wir keinen Kontakt mit den deutschen Arbeitern haben sollten, die sich im selben Raum befanden, aber ein Stück weiter weg. Ich erinnere mich, wie Hans Stach, der ein 28-30jähriger junger Mann und Junggeselle war, als Frau Feller für uns Essen schmuggeln sollte, zu den Aufseherinnen gegangen ist, und intensiv mit ihnen geflirtet hat, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken.“
Die vergleichsweise guten Erfahrungen in Guben veranlassten die überlebende Insassin Bracha Goren 1994 zu einem offenen Brief an „die Bürger und Bürgerinnen von Guben“. Darin heißt es: „1944 und 1945 haben meine Schwester und ich in Guben als Zwangsarbeiterinnen gearbeitet. … Trotz dieser Tatsache fühlte ich mich zum ersten Mal während des ganzen Krieges wieder als menschliches Wesen. Ich spürte, daß ich als Mensch respektiert wurde. Die Mitarbeiter der Fabrik und sogar Frauen von der Wehrmacht, die uns bewachten, sprachen mit uns. Zivile Beschäftigte aus Ihrer Stadt arbeiteten Seite an Seite mit uns; sie erlaubten uns, mit ihnen in die Bunker zu flüchten, wenn Luftangriffe auf die Fabrik befürchtet wurden. Wir bekamen ausreichend zu essen, manchmal sogar ein Stückchen Margarine, einen Teelöffel Zucker und Marmelade.“
Über die Lagerführung ist nichts bekannt. Die einzige namentlich bekannte Aufseherin ist Gisela Koblischek, die im britischen Internierungslager Fallingbostel angab, seit dem 26. Juli 1944 bei der C. Lorenz AG in Guben als Aufseherin eingesetzt gewesen zu sein.
Aufgrund der näher rückenden Front wurde die Gubener Bevölkerung am 6. Februar 1945 zum Verlassen der Stadt aufgefordert. Anfang Februar 1945 wurden auch die Häftlinge des Gubener Lagers evakuiert. Sie liefen mehrere Tage bis nach Jüterbog und wurden von dort aus mit Zügen nach Bergen-Belsen gebracht. Zwei Jüdinnen konnten dem Todesmarsch bei Lieberose entkommen und sich bei Deutschen verstecken. Dem polnischen Mädchen Tova Ben-Zvi gelang die Flucht mit Hilfe polnischer Zwangsarbeiter in einem der Dörfer. Sie wurde jedoch später von der Polizei wieder aufgegriffen und über Potsdam und Hannover nach Bergen-Belsen deportiert. Die Befreiung durch die britische Armee in Bergen-Belsen am 15. April 1945 erlebten nur wenige der Gubener Häftlinge.
Im Tagebuch des italienischen Militärinternierten Carlo Vico ist dokumentiert, dass etwa 130 nicht mehr transportfähige erschöpfte Frauen und Mädchen erschossen wurden.
Einige Tage nach ihrem Abzug machte ein Evakuierungstreck von Jüdinnen aus Grünberg I (heute Zielona Gora) mehrere Tage im Gubener Lager Station.
Ein anderer Evakuierungstreck wurde kurzzeitig in Groß-Breesen einquartiert. Darüber berichtet später die Augenzeugin Rosemarie von Laer in späteren Jahren in einer Aufzeichnung für die Chronik ihrer Familie, die ihr Sohn freundlicherweise für die Ortschronik von Groß-Breesen zur Verfügung stellte: „Das schrecklichste Erlebnis im Krieg war für uns alle das Erscheinen der gefangenen jüdischen Frauen, die in den ersten Februartagen 1945 auf unserem Hof eintrafen.
Es sollen über 1000 gewesen sein und sie kamen aus einem Lager in der Nähe des Schlawasees (gemeint ist wohl der Schlesiersee – A.P.) an der früheren deutsch-polnischen Grenze. Es war ein endloser, jammervoller Zug, der zu uns auf den Hof kam. Alte, junge, hübsche und hässliche Frauen, zum Teil in teure Pelze gehüllt – und dazu Lumpen und Zeitungspapier um die Füße geschnürt. Sie kamen ja die weite Strecke gelaufen, die Schuhe waren kaputt. Angetrieben von vielen SS-Leuten, die die armen Frauen unmenschlich behandelten.
Wir hatten unser ganzes Vieh bei den Bauern unterbringen müssen, haben die Ställe mit frischem Stroh versehen, ebenfalls aus der Brennerei. Da hinein kamen die Frauen! Auf den Bauernhöfen hatte ich alle Waschkessel beschlagnahmen müssen, und der Vati hatten Kastenwagen voller Kartoffeln dorthin verteilen lassen. Es wurden Pellkartoffeln gekocht und eine Mehl-Specksauce dazu. Alles in allem über eintausend Portionen!
Dann wurden die Jüdinnen wie Vieh auf den Hof getrieben und mußten sich immer zu dritt anstellen. Von ihren Bewachern wurden sie dabei geschlagen und angeschrien. Sie bekamen ihr Essen in ihren Blechnapf und standen und schlangen es nur so in sich hinein.
Einige hatten versucht, sich heimlich ein zweites Mal anzustellen, da der Hunger gar zu groß war, aber es wurde bemerkt. Die Ärmsten wurden derartig verprügelt, daß wir uns die Ohren zuhielten bei diesem Jammergeschrei. Es war grauenhaft!
Wie hartherzig diese SS-Bewacher waren, zeigte sich auch in folgendem: Bei den Bäckern und Bauern hatte ich alles vorhandene Brot erbettelt, und meine Mädels schnitten es in dicke Scheiben und packten es in Waschkörbe. Es hätte für alle gereicht. Wir brachten es auf den Hof und fingen an, es zu verteilen.
Da liefen auch schon die Bewacher herbei, rissen uns die Körbe weg und brüllten uns an mit den Worten. ‚Wißt ihr nicht, daß das verboten ist?‘ Die Jüdinnen standen da mit gierigen und enttäuschten Blicken. Wann hatten sie wohl zuletzt einmal Brot gehabt? Diese Augen werde ich nie vergessen!
Am nächsten Tag in aller Frühe zogen diese armen Frauen wieder ab zu ihrem nächsten Quartier. Wohin sie gingen, wie weit sie noch laufen mußten, was aus ihnen wurde, dies haben wir nie erfahren können. Aber dieser Anblick verfolgt mich noch heute, und nie kann ich es vergessen.“
Auf dem ehemaligen Lagergelände, das sich im seit Mitte 1945 polnischen Teil der Stadt befindet, wurde Anfang Mai 1998 das gemeinsame Klärwerk der Städte Guben und Gubin in Betrieb genommen. Ein Hinweis auf das Lager fehlt dort bislang leider.
Im Stammhaus der ehemaligen Berlin-Gubener Hutfabrik AG in der Uferstraße befanden sich von 1948 bis Anfang Juli 2006 neben anderen Einrichtungen die Gubener Stadtverwaltung, die Stadt- und Kreisbibliothek sowie die Sparkasse. Im Sommer 2006 kaufte der umstrittene Plastinator Gunter von Hagens den Gebäudekomplex und richtete darin eine Plastinationsfabrik für tierische und menschliche Leichen ein.
Am 7. Mai 1997 wurde im Rahmen einer Veranstaltung zur jüdischen Geschichte der Niederlausitz eine Gedenktafel in der ehemaligen Hutfabrik enthüllt, die an ihre jüdischen Begründer Apelius Cohn und Hermann Lewin sowie an die jüdischen Zwangsarbeiterinnen erinnert.

Am 27. April 2017wurde am früheren Standort des Gemeinschaftslagers Koenigpark eine Gedenktafel eingeweiht.

Dieser Text erschien erstmals in: Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 6 – Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof, C.H. Beck, München 2007, S. 333-337. Er wurde für die vorliegende Neuveröffentlichung überarbeitet und ergänzt.
Auf die Wiedergabe von Quellenangaben und Anmerkungen wurde verzichtet.

Andreas Peter, Jahrgang 1963, stammt aus Guben und veröffentlicht seit Anfang der 1990er Jahre Beiträge zur Gubener Geschichte. Er ist seit 2000 Inhaber des Niederlausitzer Verlages sowie seit 2006 im Vorstand der Niederlausitzer Gesellschaft für Geschichte und Landeskunde und führt als „Gubener Stadtwächter“ Stadtführungen in Guben/Gubin durch.