20. Jahrgang | Nummer 9 | 24. April 2017

„Majestätsbeleidigung“ – Der Berliner Peykar-Prozess 1932

von Uwe Feilbach

Großes Aufsehen erregte im vorigen Jahr die „Affaire Böhmermann“, als der türkische Präsident Erdogan und seine Regierung die Strafverfolgung des deutschen Satirikers Jan Böhmermann wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts“ gemäß § 170, Abs. 2 der Strafprozessordnung gefordert hatten, nachdem Böhmermann in der Sendung Neo Magazin Royale ein Spottgedicht über den türkischen Staatspräsidenten vorgetragen hatte.
Einen ganz ähnlichen Vorfall gab es schon einmal vor 85 Jahren in Berlin, als im Jahre 1931 der damalige persische Schah Reza Pahlavi von der deutschen Regierung das Verbot der persischen Emigrantenzeitung Peykar („Der Kampf“) sowie die Bestrafung ihrer Mitarbeiter und verantwortlichen Redakteure gefordert hatte. Die Zeitschrift, die in Berlin in persischer Sprache erschien und von ihrem deutschen Herausgeber Dr. Carl Wehner geleitet wurde, war das Sprachrohr der oppositionellen persischen Emigranten in Deutschland. Das Blatt übte scharfe Kritik an dem autoritären Regierungsstil des Schahs und an der Unterdrückung und Verfolgung, unter der alle oppositionellen Kräfte in seinem Lande zu leiden hatten.
Deutschland war damals, zwei Jahre vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, immerhin noch ein Rechtsstaat, in dem Gewaltenteilung und das Recht der freien Meinungsäußerung galten.
Schah Reza Pahlavi (1878–1944), sein Geburtsname war Reza Khan Savad Kouhi, selbst Sohn eines Soldaten, trat bereits im Alter von fünfzehn Jahren in den Dienst einer von russischen Offizieren befehligten Kosakenbrigade, welche unter dem damaligen Schah Naser ed-Din gegründet worden war. Beim Militär machte Reza Khan eine steile Karriere, so dass er schon im Jahre 1919 zum stellvertretenden Oberbefehlshaber der persischen Streitkräfte aufgestiegen war, deren oberste Leitung damals noch in russischer Hand lag. Die durch die russische Revolution bedingten inneren Wirren ermöglichten es ihm schließlich im Jahre 1921, die unumschränkte Befehlsgewalt über die Streitkräfte Persiens zu erlangen. Nützlich war ihm dabei die Unterstützung der Briten, die seit jeher in bitterer Rivalität zu Russland um den vorherrschenden Einfluss in Persien gestanden hatten. Mittels der ihm nun zur Verfügung stehenden militärischen Macht zwang er 1921 in einem unblutigen Putsch den Premierminister zum Rücktritt. Reza Khan wurde danach zum Verteidigungsminister und General ernannt.
Am 26. Oktober 1923 wurde Reza Khan Premierminister. Ahmad Schah, der letzte Schah der Kadscharendynastie reiste Ende 1923 nach Europa ab. 1924 unterbreitete Reza Khan dem Parlament seine Pläne. Der Iran sollte in eine Republik umgewandelt werden, in der er selbst aber die unumschränkte Herrschaft auszuüben gedachte. Die erhoffte Unterstützung von Seiten der Geistlichkeit für die Republiksgründung erhielt der säkular und islamkritisch eingestellte neue Machthaber, der übrigens ein großer Verehrer Kemal Atatürks war, nicht.
Nachdem das Parlament am 31. Oktober 1925 die Absetzung der Kadscharendynastie beschlossen hatte, ließ Reza Khan sich am 12. Dezember 1925 vom Parlament, das mehrheitlich hinter ihm stand, förmlich zum Schah ernennen. Im April 1926 setzte er, wie einst Napoleon, sich selbst die Krone aufs Haupt. Er nannte sich von nun an Schah Reza Pahlavi. Pahlavi („der Heldenhafte“) war der Dynastie-Titel, den er später auf seinen Sohn vererbte.
Nach seiner Machtübernahme begann Reza Schah sofort, das Land nach westlichem Muster umzugestalten. Vor allem kam es ihm darauf an, den Einfluss des Islams und damit auch der Geistlichkeit aus allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens hinauszudrängen, womit er sich die bittere Feindschaft der Geistlichkeit zuzog. Zu seinen wichtigen Reformmaßnahmen gehörten unter anderem die Einführung der Wehrpflicht, die Gründung einer Nationalbank sowie die Umgestaltung des Wirtschafts-, Straf- und Zivilrechts nach den Vorbildern westlicher Rechtssysteme. Der Bau einer transiranischen Eisenbahn wurde im Jahre 1927 begonnen und 1938 beendet. 1932 wurden die Ölkonzessionen an ausländische Firmen widerrufen, und 1935 änderte der Schah die Landesbezeichnung „Persien“ in „Iran“. Im Laufe der 1930er Jahre zwang der Schah alle Männer, westliche Kleidung zu tragen und verbot den Frauen das Tragen eines Schleiers.
In einem Punkte hielt sich die Begeisterung des neuen Monarchen für westliche Institutionen und Lebensformen allerdings in Grenzen – von demokratischer Mitbestimmung, rechtsstaatlicher Gewaltenteilung, Meinungs- und Pressefreiheit hielt er absolut nichts. Er regierte mit harter Hand und unterdrückte gewaltsam jede Opposition, ob sie nun von unbotmäßigen Nomadenstämmen, von nationalen Minderheiten, schiitischen Geistlichen, unzufriedenen Arbeitern, Handwerkern und Bauern oder kritischen Intellektuellen ausging. So kam es, dass zahlreiche oppositionelle Iraner ins Exil nach Europa oder Amerika gingen. Auch in Berlin ließen sich während der Weimarer Republik iranische Emigranten nieder, die sich in der Zeitschrift Peykar ihr Publikationsorgan schufen.
Das Blatt, das Anfang 1931 gegründet wurde, erregte schon bald den Unmut der persischen Regierung, und so wandte sich die persischen Gesandtschaft in Deutschland mit einer Verbalnote an das Auswärtige Amt in Berlin, in welcher mit Berufung auf den § 103 des deutschen Strafgesetzbuches, welcher die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes unter Strafe stellte, die Einleitung durchgreifender Maßnahmen gegen die Peykar sowie ihre verantwortlichen Redakteure und Mitarbeiter gefordert wurde. Offenbar aus Besorgnis um den Erhalt guter Beziehungen zu Persien, die vor allem im Interesse der deutschen Wirtschaft lagen, reagierten deutsche Verwaltungsbehörden prompt. Die Zeitschrift wurde zunächst beschlagnahmt, danach verboten, ihr Herausgeber musste mehrere Haussuchungen über sich ergehen lassen, und der persische Student Alawi wurde aus Preußen ausgewiesen.
Am 22. April 1931 erschien in der Zeitung Berlin am Morgen ein Artikel von Dr. Karl Wehner unter dem Titel „Liegt Berlin in Persien?“, worin die Maßnahmen der Polizei und der Verwaltungsbehörden in Berlin gegen die persischen Emigranten und ihr Presseorgan für gesetzwidrig erklärt und die Willfährigkeit der deutschen Regierung gegenüber dem „orientalischen Despoten“ Reza Khan scharf kritisiert wurde. Daraufhin sandte die persische Botschaft erneut eine Verbalnote an das Auswärtige Amt, worin nun auch Zwangsmaßnahmen gegen dieses Blatt gefordert wurden.
Am 4. April 1932 fand dann vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte der Majestätsbeleidigungsprozess statt, den der persische Schah über seine Gesandtschaft gegen Dr. Karl Wehner sowie vier weitere Mitarbeiter des Peykar angestrengt hatte. Lediglich Dr. Wehner und ein weiterer Angeklagter wurden zu einer eher symbolischen Geldstrafe in Höhe von je 60 Reichsmark verurteilt. Die übrigen drei Angeklagten sprach das Gericht frei.
Dieses außerordentlich milde Urteil war natürlich in keiner Weise dazu angetan, den Unmut des Schahs zu besänftigen, und so kam es im Juni des gleichen Jahres zu einer Berufungsverhandlung vor der Strafkammer. Diesmal fand die Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Außerdem wurde die Arbeit der Verteidigung erschwert, indem alle ihre Anträge abgelehnt wurden. Auf der Anklagebank saß jetzt nur noch Dr. Wehner. Zwei der anderen Angeklagten waren nicht anwesend, gegen zwei andere wurde die Berufung zurückgenommen. Das Gericht verurteilte schließlich Dr. Wehner wegen Beleidigung des Schahs von Persien zu sechs Wochen Festungshaft.
„Das Urteil ist rechtskräftig. Der Perserschah hat seine Genugtuung. Die Majestätsbeleidigungsgroteske ist zu Ende“. Mit diesen Worten beendete die Zeitung Berlin am Morgen vom 1. Juli 1932 ihren Bericht über den Prozess.