von Angelika Leitzke
Das Umweltbundesamt, kurz UBA, vermeldet, dass im Jahr 2014 knapp 18 Millionen Tonnen Verpackungen in Deutschland anfielen, wobei solche aus Papier, Pappe oder Karton den größten Anteil hatten. Derartige Schreckensmeldungen verhüllen allerdings zwei interessante Fragen: wer hat verpackt und wer hat ausgepackt.
Das Duo Christo & Jeanne-Claude haben die Verhüllung zum Kunstobjekt gemacht, sogar zu einem, das Menschen friedlich zusammenführt, statt sie in Kriege zu verwickeln oder ihre Nägel und Nerven zu ruinieren. Siehe die Verhüllung des Berliner Reichstages 1995 nach dem Fall der Mauer.
Waren für Berlin über 100.000 Quadratmeter Polypropylengewebe, über 15 Kilometer Seil und 200 Tonnen Stahl erforderlich, die nach Beendigung des Projekts wieder entfernt werden mussten, so ist die Verpackung eines normalen Konsum- und Gebrauchsartikels, sei es der Fisch aus der Tiefkühltruhe oder das neue Gerät für den Hightech-Komfort zu Hause, zwar weniger aufwendig, hat aber ihre Tücken. Allein um eine Waschmaschine, die, verpackt, verschweißt, verschnürt und verklebt, beim Verbraucher ankommt, sachgemäß zu enthüllen, empfiehlt sich für diesen erst einmal eine Musik-CD als Übungsobjekt: quadratisch und praktisch, nur leider mit Zellophan inniglich verbunden. Der Käufer gelangt zu seinem Musikgenuss erst, nachdem er Nagelschere, Feile oder das Küchenmesser angesetzt und sich dabei einige Fingernägel abgebrochen, schlimmstenfalls sogar in die Hand geschnitten hat. Das Timing beträgt hier maximal 15 Minuten. Immerhin ist das Beethovens Neunte wert.
Ein kräftiges Zubeißen mit den Dritten Zähnen ist dagegen, nebst Beißzange und Tiefbrettbohrer, notwendig, um bis zur Unsterblichkeit versiegelte Flaschen und Dosen zu öffnen. Notfalls wirft man die ganze Chose an eine Wand, die ohnehin längst gestrichen werden müsste, und hofft, dass der Inhalt dieser Einwegbehälter sich auf diese Weise offenbart.
Ein höheres Maß an privater Logistik erfordert dagegen die Enthüllung eines nach Hause gelieferten Druckers – sofern dieser überhaupt ordnungsgemäß und pünktlich an der Wohnungstür übergeben wurde. Einzukalkulieren ist hier, falls Ihr Paket aus Kleinkleckersbach oder den Vereinigten Staaten auf Abwege geraten ist, der Marsch zum nächsten Postamt (Fußweg von 15 Minuten plus 30 Minuten Wartezeit) oder zum Spätkaufladen (Fußweg bis zu 30 Minuten, der Geschäftsinhaber spricht nur gebrochen Deutsch).
Halten Sie Ihr Paket endlich in den Armen und wollen ans Werk der Enthüllung gehen, werden Sie vielleicht feststellen, dass Sie gar nicht wissen, wo oben und unten ist. Seitlich beginnen? Das Ding auf den Kopf stellen? Die Pappkiste ist komplett zugetackert? Her mit dem Stemmeisen. Die Paketklebebänder erweisen sich als zu hartnäckig gegen die Schere? Ran mit dem Fleischermesser, es geht hier um Leben und Tod. Haben Sie den Karton zumindest an einer der vier Seiten aufgeschlitzt, stehen Sie vor dem nächsten Wunder: nicht nur kiloweise Pappmaché blickt Ihnen entgegen, sondern im Karton ist noch ein weitere Karton, kleiner, aber ebenfalls fest verschnürt und zugeklebt, verborgen. Doppelt genäht besser, hat sich der Verpackungslogistiker sicherlich gedacht. Sie dagegen werden sich als gebildeter Mensch an die netten bunten Matrjoschkas erinnern, die Glücksfeen der Russen! Eine hübsch in die andere verschachtelt. Nur ist Matrjoschka nicht gleich Karton, und spätestens wenn Sie entdecken, dass in diesem zweiten Karton noch ein weiterer kleinerer steckt, den es wiederum zu schlachten gilt, haben Sie die niedlichen bunten russischen Talisfrauen vergessen, dafür aber die Wut im Bauch. Ihr Karton ist auch nicht vergleichbar mit Marcel Duchamps „La Boîte-en-valise“, „Die Schachtel im Koffer“, jenem Lederkoffer, der Miniaturrepliken, Fotografien und Farbreproduktionen von des Künstlers eigenen Werken birgt und, zwischen 1941 und 1968 an die hundert Mal von Duchamp selbst reproduziert, heute in Museen verstreut über die halbe Welt elegant zu besichtigen ist.
Ist die äußere Hülle Ihres Pappkoffers auch mit Kettensäge und Axt nicht aufzubrechen, dann bitte einige Male aus dem Stand drauf springen. So mancher Gordische Knoten kann mit diesem Trick gelöst werden. Wenn das nicht hilft, organisieren Sie einen professionellen Einbrecher, er weiß vielleicht Rat. Je empfindlicher das Gerät, desto mehr Luftpolster werden Ihnen auch entgegen quellen, deren Entsorgung nicht minder zeitaufwendig ist als die der Kartonage. Aber seien Sie dankbar, dass es sich nicht um Sägemehl handelt, dessen Beseitigung die Anstellung einer Putzfrau erforderlich machen würde. Auch das Gerät selbst ist nochmals fest fixiert mit Klammern und Klemmen, Plastikfolien und Tapes, die den Betrieb blockieren helfen. Weg damit, nur wohin? Mittlerweile sitzen Sie nicht nur in einem Berg von Müll, sondern stehen kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Kopf hoch! Die Verpackungslogistiker haben an Ihre Konsumfreude appelliert, und dafür müssen Sie jetzt gerade stehen.
Dieser Berufsstand arbeitet natürlich klammheimlich hinter allen Kulissen, damit dem Kunden verborgen bleibt, mit welchem Kraft- und Zeitaufwand er rechnen muss, um das Gewünschte haptisch berühren zu können. Mancher Konsument ist bei seinen Enthüllungen auch schon schwer verunglückt, aber das wird weder das UBA noch die Verpackungsindustrie interessieren, geschweige denn den Karton, der ohnehin in der Mülltonne, am Straßenrand oder auf dem Wertstoffhof landet und somit in die ewigen Jagdgründe eingeht oder, gut recycelt, seine Wiedergeburt als höheres Wesen feiert.
Der Verpackungslogistiker aber lebt mit heilen Händen, Füßen und Nerven fröhlich weiter und lacht sich, sofern er nicht Christo & Jeanne-Claude oder Marcel Duchamp heißt, ins goldene Fäustchen. Weswegen die Entsorgung dieses Berufsstandes als effektives Mittel scheint, um die Konstruktion derartiger Erlebnispakete zu unterbinden, was das UFA sicherlich freuen wird.
Was dagegen mit dem Verpackungsmüll passiert, fragt der Mensch im Zeitalter von Dieselgate ohnehin nicht mehr.
Schlagwörter: Angelika Leitzke, Verpackungsmaterial