von Detlef Puhl
Frankreichs Linke ist spät dran und jetzt in Eile. Die „Belle Alliance Populaire“, die „schöne Volksallianz“ aus Sozialisten, regierungstreuen Grünen und Linksliberalen (Radicaux de Gauche), will in diesem Monat ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 23. April bestimmen und hält am 22. und 29. Januar ihre offenen Vorwahlen ab. Bewerbungsschluss war am 15. Dezember und dazwischen lag die Weihnachtspause, während der keiner der Prätendenten das Wahlvolk belästigen wollte.
Aber nun herrscht doch große Not. Bis zum 1. Dezember noch rätselten die Franzosen darüber, ob Francois Hollande zur eigentlich fälligen Wiederwahl überhaupt antreten würde. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik mussten sie hören, dass ihr Präsident gar nicht wissen will, wie die Wähler seine Arbeit beurteilen, geschweige denn sie darum bitten, ihn weiterarbeiten zu lassen. Und so hat sich erst nach der Entscheidung des Präsidenten im Dezember Hollandes Premierminister Manuel Valls zum Kandidaten erklärt, nur um kurz vor Toresschluss noch von einem weiteren ehemaligen Minister, dem Europaabgeordneten Vincent Peillon, gefolgt zu werden, der ebenfalls für die „socialistes de gouvernement“ stehen will, also die Regierungspragmatiker unter den Sozialisten, und Manuel Valls nicht zutraut, die Sozialisten geeint in den Wahlkampf zu führen.
Schon im Sommer hatten zwei „Frondeure“, also parteiinterne Gegner Hollandes, ihre Kandidatur gegen den eigenen Präsidenten erklärt, damit die Linke trotz dessen dauerhaft miserabler Zustimmungswerte noch gewinnen könne. Auch sie waren seine Minister. Arnaud Montebourg und Benoît Hamon hatten die Regierung aber 2014 verlassen, weil sie nicht mehr hinter der Politik ihres Präsidenten standen, dem sie vorwarfen, die Werte der Sozialisten verraten und die Versprechungen aus dem Wahlkampf 2012 gebrochen zu haben. So rangeln jetzt drei einstige Minister und ein ehemaliger Premierminister um die Nachfolge ihres Meisters, der sich selbst mangels Erfolgsaussichten kurz vor dem Start aus dem Rennen genommen hat.
Insgesamt sieben Kandidaten stellen sich nun auch bei den Linken all denjenigen Wahlbürgern am 22. Januar zur Auswahl, die eine Erklärung zur Unterstützung der Werte dieser „schönen Allianz“ unterschreiben und dazu einen Euro zahlen (bei den Rechten waren es zwei Euro). Neben den vier Sozialisten sind dies Sylvie Pinal für die Partei der linken Radikalen (linksliberal), sowie Francois de Rugy und Jean-Luc Bennahmias aus dem Lager der Grünen.
Nach dem Debakel der Umfragen zu den Vorwahlen der Rechten, in denen der klare Sieger, Francois Fillon, bis kurz vor dem ersten Wahlgang noch scheinbar aussichtslos mit großem Abstand auf Platz 3 zu finden war, liegen kurz vor dem ersten Wahlgang der Linken kaum verlässliche Umfragen vor. So bleibt der interessierte Wähler bis jetzt ziemlich orientierungslos. Erst Anfang Januar nahm das Werben der Kandidaten um Zustimmung Fahrt auf.
Wenn man von den drei Kandidaten der kleinen Partnerparteien der Sozialistischen Partei (PS) absieht, haben wir es also mit zwei Sozialisten zu tun, die für die Politik der vergangenen fünf Jahre stehen, und zwei Sozialisten, die dieser Politik den Rücken gekehrt haben. Alle vier glauben daran, oder sagen es zumindest, dass die Stichwahl am 7. Mai nicht zwingend zwischen dem Rechten Francois Fillon und der Rechtsextremen Marine Le Pen ausgetragen wird, sondern dass die Sozialisten oder die Linke – die Übergänge sind fließend – durchaus noch eine Chance haben, in die Endauswahl zu gelangen. Die Frage ist: in Kontinuität oder im Bruch mit den fünf Jahren Hollande? Und damit steht bei dieser Vorwahl auch das Schicksal des PS auf dem Spiel.
Manuel Valls, der seit 2014 Premierminister und davor Innenminister war, steht für das Dilemma seiner Partei. Einerseits muss er für die Bilanz der Hollande-Präsidentschaft stehen, die er nun repräsentiert, die aber so unpopulär ist, dass der Präsident selbst sich nicht mehr traut. Andererseits muss er sich von dieser Bilanz distanzieren, um glaubhaft für eine Kursänderung werben zu können, die aber dennoch nicht die eigene Politik desavouiert. So geht er einerseits als Favorit in die erste Runde der Vorwahl (zwei Umfragen geben ihm 36 und 43 Prozent). Andererseits bröckeln seine Werte schon wieder im Vergleich zu letzten Zahlen aus dem Dezember. Bei den Sympathisanten seiner Partei, des PS, verliert er leicht von 62 auf 57 Prozent; bei den Sympathisanten der nicht-sozialistischen Linken dagegen stark von 29 auf 12 Prozent. Und der Zweifel bleibt: Will er weiter machen und seine eigene Politik, also auch die Politik des unpopulären Hollande, fortsetzen oder will er sich von ihm emanzipieren und etwas Neues wagen? Valls‘ Gegner werfen ihm vor, die Partei mit der Art seiner Amtsführung gespalten zu haben. Er selbst beteuert, die Linke einen zu wollen. Ihm haftet der „Ruhm“ an, den Präsidenten Hollande zur Aufgabe gedrängt zu haben, um selbst in den Elysée-Palast einziehen können. Er bestreitet das nachdrücklich und verkündet, Hollande wünsche seinen Erfolg. Der aber hat wissen lassen, dass „Valls kein Projekt hat“, dass er „sich im Kreis dreht“, dass „sein Projekt war, mich loszuwerden“.
Von Vincent Peillon, der sich im letzten Augenblick noch als der eigentliche Hollandist präsentiert hat, um dessen Präsidentschaft zu verteidigen, weiß man nicht viel, außer, dass er Valls verhindern wolle. Er taucht im Januar zum ersten Mal in den Umfragen auf und liegt zwischen 7 und 10 Prozent.
Arnaud Montebourg war im Sommer als erster gestartet, nachdem der linke Sozialist 2014 dem jungen Emmanuel Macron als Wirtschaftsminister weichen musste, weil er die liberale Wende in der Wirtschaftspolitik Hollandes nicht mitmachen wollte. Nun will er die Werte der Linken in der Regierungspolitik in den Vordergrund stellen, wieder klassische staatliche Industriepolitik betreiben und Frankreich reindustrialisieren. Er rechnet sich Chancen aus, auch Linke jenseits der PS-Wählerschaft zu erreichen. In den Januar-Umfragen liegt er zwischen 23 und 25 Prozent, verliert aber bei den PS-Anhängern leicht von 25 auf 19 Prozent, legt freilich bei den anderen Linken von 28 auf 33 Prozent zu.
Benoît Hamon, der ebenfalls dem linken Spektrum des PS zuzurechnen ist und auch 2014 aus der Regierung ausschied, holt rasch auf. Er glaubt weniger an eine Reindustrialisierung als an die Digitalisierung der Wirtschaft und stellt das voraussetzungslose Grundeinkommen in den Mittelpunkt seiner Kampagne. Damit hat er in den Januar-Umfragen zu Montebourg aufgeschlossen und liegt bei 21 bis 22 Prozent, legte aber bei den PS-Anhängern von 8 auf 17 Prozent zu und stieg bei den nicht zum PS gehörenden Linken gar von 9 auf 45 Prozent.
Es gibt also eine gewisse Dynamik. Aber die Zeit ist knapp. Entscheidend werden die drei Fernsehdebatten Debatten der sieben Kandidaten am 12., 15. und 19. Januar sein. Dann wird das Bild klarer sein.
Über allen Kandidatur-Kandidaten der „schönen Allianz“ der Linken schwebt indes der Schatten Emmanuel Macrons, der sich nicht an den Vorwahlen beteiligt, aber gute Chancen hat, selbst als Unabhängiger zu kandidieren. Er, der Hollande zuerst als stellvertretender Generalsekretär des Präsidialamts, dann als Wirtschaftsminister unter Valls diente, hat die Regierung ebenfalls verlassen, weil ihm die liberale Wende nicht radikal genug war. Mit seiner Bewegung „En Marche!“ bringt er seit Wochen bei Veranstaltungen mehr Menschen auf die Beine als alle anderen. Und in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl kommt er schon in die Reichweite der Stichwahl. Ein PS-Kandidat Valls müsste sich um ihn bemühen, wenn er auch nur den Hauch einer Chance auf das Präsidentenamt haben will. Wenn nicht, wird der PS-Kandidat wie „Defferre im Jahr 1969“ sein, lästert ein Hollande-Vertrauter. Vier Jahre, nachdem Francois Mitterrand 1965 den großen Charles de Gaulle in die Stichwahl gezwungen hatte, kam Gaston Defferre auf gerade mal 5 Prozent der Stimmen. Beim PS geht es in dieser Vorwahl bereits um alles.
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