von Edgar Benkwitz
Im letzten Monat hat in Neu Delhi die Wintersitzung des Parlaments begonnen, benannt nach der kalten Jahreszeit im Norden Indiens. Und in der Tat kann das Thermometer, das hier im Mai über 45 Grad anzeigt, im Januar in Richtung Nullgradgrenze fallen. Dann wird es in der Metropole ungemütlich und die angereisten Abgeordneten versuchen, mit den ungewohnten Verhältnissen zurechtzukommen. Die eiligst aus Kisten und Schränken hervorgeholten Wintersachen verströmen den Geruch von Mottenpulver und die vielen elektrischen Heizkörper belasten das ohnehin anfällige Stromnetz.
Doch in diesem Jahr hat es nicht nur die Parlamentarier doppelt kalt erwischt. Ausgerechnet am Tag der Eröffnung der neuen Sitzungsperiode mussten sie aus den Medien erfahren, dass die Regierung mit sofortiger Wirkung die im Umlauf befindlichen großen Geldscheine – eintausend und fünfhundert Rupien-Noten – für ungültig erklärt hat. „Modi verordnet Schocktherapie“ titelten die Zeitungen und zitierten den Premierminister, wonach diese Aktion ein gezielter Schlag gegen das Schwarzgeld, die Schattenwirtschaft und die damit verbundene Korruption ist. So unangenehm überrascht, versuchte jeder erst einmal, sich in der neuen Situation zurecht zu finden. Die nun ungültigen Scheine konnten ab sofort, allerdings in sehr begrenztem Umfang, gegen neue umgetauscht werden. Größerer Besitz an Banknoten wurde registriert.
Die Dimension dieser Aktion und die damit verbundenen Probleme wurden erst in den nächsten Tagen deutlich erkennbar. Denn die nun ungültigen Banknoten machen 86 Prozent der im Umlauf befindlichen Währung aus! Nach Angaben der Reserve Bank of India befanden sich 6,33 Milliarden Tausend-Rupienscheine und gar 15,7 Milliarden Fünfhundert-Rupienscheine im Umlauf. Sie sind mit einem Schlag kein Zahlungsmittel mehr und sollen bis Ende des Jahres umgetauscht oder registriert worden sein.
Die Aktion ist mit Risiken für den wirtschaftlichen Kreislauf verbunden, denn Plastikkarte und Bankkonto spielen im Geldverkehr bisher eine untergeordnete Rolle. Indien ist immer noch ein Land des Bargeldes, weit über die Hälfte des Zahlungsverkehrs in der Wirtschaft wird in cash abgewickelt. Von den Millionen Ladenbesitzern haben nur ganze zwei Prozent ein Einlesegerät für Geldkarten. Das ersparte und zurückgelegte Geld wird selten zur Bank getragen, zumeist irgendwo zu Hause oder am Körper aufbewahrt. So ist verständlich, dass sich vor den Bankfilialen gleich am ersten Tag des Umtausches lange Schlangen bildeten.
Die Probleme mehrten sich, da aus Geheimhaltungsgründen der Druck neuer Banknoten erst am Tag des Umtausches begann und die Bankautomaten neu kalibriert werden mussten. Es fehlte überall an gültigen Banknoten, so dass im Handel und der Kleinwirtschaft Engpässe auftraten. Selbst im Parlamentsgebäude standen die Abgeordneten vor Geldautomaten, die mangels neuer Scheine nicht aufgefüllt werden konnten.
Bei diesen Problemen hakten die Oppositionsparteien ein, die mit einem Eilantrag das Oberste Gerichts aufforderten, die Aktion rückgängig zu machen. Da dies scheiterte, legten sie wiederholt die normale Arbeit in beiden Häusern des Parlaments lahm. Höhepunkt ihres Auftretens war die Rede des ehemaligen Premierministers Manmohan Singh von der Kongresspartei. Ausgerechnet er, dem vorgeworfen wird, in seiner zweiten Amtszeit bis 2014 der Korruption im großen Stil Tür und Tor geöffnet zu haben(gerichtliche Untersuchungen dazu laufen), verurteilte den Geldumtausch auf das schärfste. Seine Umsetzung wäre ein „gewaltiges Management-Versagen“ und ein „Fall von organisierter und legalisierter Plünderung“. Singh, früher ein renommierter Ökonom der Weltbank, orakelte jetzt, dass der Umtausch einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von zwei Prozent nach sich ziehen werde.
Objektive Beobachter aus dem In- und Ausland sind sich einig, dass Premierminister Modi in der Mitte seiner Amtszeit Indien auf dem Weg der Modernisierung weiter voranbringen will. Dem dienten Mitte des Jahres die Gesetze über eine landesweit geltende einheitliche Mehrwertsteuer, die Anfang 2017 eingeführt werden soll. Das Land erhält durch die Abschaffung ungezählter Steuerprivilegien und Sonderrechte der neunundzwanzig einzelnen Bundesstaaten erstmalig einen einheitlichen Binnenmarkt, der den ungehinderten Verkehr von Gütern und Dienstleistungen ermöglichen wird. Mit der jetzt erfolgten Bekämpfung des Schwarzgeldes und damit der Schattenwirtschaft soll dieser Markt gestärkt werden. Man verspricht sich eine größere Rolle der Banken und der Kreditwirtschaft sowie positive Auswirkungen auf die Inflationsrate und das Zinsniveau. Zumindest zeitweise sind Bestechung, Korruption und Schmiergelder eingedämmt – landesweite Übel, die auch immer wieder Auslandsinvestitionen in Indien abschrecken.
Die Schattenwirtschaft, so Finanzminister Jaitley, wurde in Indien in den letzten 70 Jahren als normal betrachtet, als way of life, an die sich das Land gewöhnt habe. Er hoffe, dass jetzt saubere Geschäftsbeziehungen die Oberhand gewinnen. Und in der Tat ist der Umfang der Parallelwirtschaft enorm, er soll nahezu eine Billion US-Dollar betragen, das würde mehr als der Hälfte des indischen Bruttoinlandsprodukts entsprechen. Jährlich sollen über 50 Milliarden Dollar an Schwarzgeld ins Ausland abfließen, wo der größte Teil des illegalen Reichtums der indischen Oberschicht liegt. Andererseits zahlen nur zwei Prozent der Bevölkerung Einkommenssteuer. Das alles zeigt, wie die Schattenwirtschaft die normale Wirtschaft belastet und welche enormen Einnahmen dem Staat entgehen. Doch zugleich wird deutlich, dass allein ein Geldumtausch, wie er im Moment durchgeführt wird, die illegale Wirtschaft zwar stören, aber nicht beseitigen kann. Nach Presseberichten soll damit aber immerhin ein Drittel des im Land vorhandenen Schwarzgeldes (in Form von Banknoten) für immer verschwunden sein. Weiterhin wird der Fiskus durch den verbliebenen privaten Besitz alten Geldes, das in unbegrenzter Höhe auf Konten eingezahlt werden kann, kräftig abkassieren. Ohne plausible Herkunftsangabe werden darauf 50 Prozent Steuer erhoben.
Der illegale Reichtum stellt sich jedoch weniger in Form von Bargeld als vielmehr in Form von Gold, Immobilien und vor allem Auslandskonten dar. Notwendig wären eine wirksame Steuerreform sowie international abgestimmte Maßnahmen, um diese Vermögen offenzulegen und zu belasten. Bemühungen der Regierung Modi – so mit der Schweiz und im G20-Rahmen – sind zwar im Gange, Ergebnisse dürften aber noch auf sich warten lassen.
Trotz teilweise großer Unannehmlichkeiten und Probleme ist die Umtauschaktion in Indien populär. Das zeigt eine repräsentative Meinungsumfrage, die das ganze Land und alle Bevölkerungsschichten umfasst. Danach befürworten 86 Prozent der Befragten die Aktion der Regierung. Bestätigt wurde diese Grundeinstellung der meisten Inder durch die Nichtbefolgung eines Aufrufs fast aller Oppositionsparteien, am 28.November im gesamten Land einen Generalstreik durchzuführen. Anhänger dieser Parteien demonstrierten zwar an diesem Tag, das normale Leben wurde dadurch aber kaum beeinflusst.
Sollte die Abwicklung des Umtausches weiter erfolgreich verlaufen, wäre das ein großer Ansehensschub für die regierende hindunationalistische Indische Volkspartei(BJP) mit Premierminister Narendra Modi an der Spitze. Das hat für bevorstehende Landtagswahlen in fünf Unionsstaaten eine große Bedeutung. Besonders im bevölkerungsreichen Uttar Pradesh, dem Nachbarstaat von Delhi mit 215 Millionen Einwohnern ist es ein offenes Geheimnis, dass die beiden großen Regionalparteien, die dort seit Jahrzehnten die Regierung stellen, ihre Wahlkampagnen stets mit Unmengen von Schwarzgeld finanziert haben. Aber auch Modis BJP, deren Führung den Ruf hat, korruptionsfrei zu sein, wird sich fragen lassen müssen, woher ihre finanziellen Mittel für den Wahlkampf stammen. Denn Transparenz gibt es bei ihr wie bei allen anderen Parteien nicht.
Schlagwörter: Edgar Benkwitz, einheitlicher Binnenmarkt, Geldumtausch, Indien, Korruption, Schattenwirtschaft, Steuergesetze