von Edgar Benkwitz
Am 30. November endet die dreijährige Amtszeit des mächtigsten Mannes in Pakistan. Doch bereitet sich der Chef der pakistanischen Streitkräfte, Raheel Sharif, 60 Jahre alt, schon auf seine Pension vor oder hat er andere Pläne? Eine Frage, die in diesen Tagen nicht nur die Öffentlichkeit in Pakistan bewegt. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass der Premierminister – entgegen seinen Vorstellungen – Raheel Sharif eine zweite Amtszeit gewähren soll.
Raheel Sharif wurde 2014 von Premierminister Nawaz Sharif, 66 Jahre alt, (beide sind nicht miteinander verwandt) entsprechend der Verfassung zum Generalstabschef der Armee ernannt. Er galt als genehmer Kandidat, ein fähiger Karrieresoldat, kaum mit politischen Äußerungen hervorgetreten. Oberbefehlshaber der Armee geworden, eröffnete er seinen Feldzug gegen die pakistanische Taliban, die mit ihren Terroraktionen das ganze Land erschütterten. Dazu dienten eine neue Militärdoktrin und die Schaffung von speziellen, im Anti-Terrorkampf geschulten Armee-Einheiten, mit denen das Schreckgespenst eines zerfallenden Staates zurückgedrängt wurde. Auch in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens, das die größte Stadt Pakistans, Karatschi, beherrschte, war er erfolgreich. Doch das hatte seinen Preis. Autoritär-diktatorische Tendenzen zuungunsten der demokratischen Strukturen nahmen zu. Militärgerichte mit allen Vollmachten wurden geschaffen, die Todesstrafe wieder eingeführt. Die Armee festigte ihren Griff über die zivilen Einrichtungen des Landes. Sie maßte sich erneut an, in Sicherheitsfragen und der Außenpolitik, besonders im Verhältnis zu Indien, allein zu entscheiden.
Die Erfolge bei der Stabilisierung der Lage in Pakistan ließen Raheel Sharifs Popularität rasch wachsen. Heute wird er von vielen als Bollwerk gegen Terror, Kriminalität und Korruption angesehen. Auch dass sein älterer Bruder und ein Onkel in den Kriegen mit Indien ums Leben kamen, färbt auf sein Ansehen ab. Der Propagandaapparat der Armee nährt dieses Bild, überall begegnet man seinem Porträt, sogar eine Moschee in Islamabad trägt seinen Namen. Raheel Sharif bemüht sich, auch international seine Rolle als „starker Mann Pakistans“ herauszustreichen. Ob Washington, Peking, London oder Paris – überall drängte er neben den Gesprächen mit seinen Partnern auf Kontakte zu führenden Politikern. Zugleich ist es ein Muss, dass alle hochrangigen ausländischen Gäste in Pakistan ein Gespräch mit ihm führen.
Die Zivilgesellschaft mit ihren gewählten Vertretern steht dem Sagen der Armee weitgehend machtlos gegenüber. Die ist in Pakistan ein Staat im Staate und hat nicht nur das Monopol in Sicherheitsfragen, sondern besitzt auch große Wirtschaftsunternehmen. Der Geheimdienst Inter-Service Intelligence (ISI) gilt als Hirn der Armee, hier erfolgen Planung und Anleitung vieler Operationen, nicht zuletzt zum grenzüberschreitenden Terrorismus.
Da die Militärführung mit Teilen der politischen Elite gut vernetzt ist, werden ihre Ansprüche zumeist auch demokratisch abgesegnet. Selbst Regierungschef Nawaz Sharif musste es sich gefallen lassen, dass seine Kompetenzen mit Hilfe des Parlaments beschnitten wurden. Er ist bereits zum dritten Mal Premierminister des Landes, konnte jedoch die beiden ersten Amtszeiten nicht zu Ende führen. 1993 zwang ihn der damalige Armeechef nach Auseinandersetzungen über Wahlfälschungen zum Rücktritt. Und 1999 wurde er nach heftigem Streit mit der Militärführung abgesetzt. Armeechef Musharaff übernahm die Macht, der vertriebene Regierungschef „überwinterte“ im saudi-arabischen Exil, von wo er 2007 zurückkehrte.
Nawaz Sharif ist eine schillernde, nicht unumstrittene Persönlichkeit. Als einer der reichsten Männer des Landes verfügt er mit seiner Familie über große Wirtschaftsunternehmen. Während seiner ersten beiden Amtszeiten entwickelte er autokratische Züge, ließ die Medien gängeln und verfolgte regierungskritische Stimmen. Die Islamisierung des Landes wurde durch neue Gesetze vorangetrieben. Heute ist Nawaz Sharif Chef der Muslim-Liga, mit der er 2013 den Wahlsieg errang. Seit jeher wird ihm nachgesagt, kraft seines Amtes in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Seit Veröffentlichung der Panama-Papiere haben Korruptionsvorwürfe einen kräftigen Schub erhalten: Drei seiner vier Kinder werden in den Papieren als Besitzer von Offshore-Gesellschaften genannt. Das Oberste Gericht Pakistans entschied am 1. November, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die die Verquickungen der Sharif-Familie mit dem illegalen Geldtransfer feststellen soll. Allein diese Tatsache wird als Rückschlag für den Premierminister gewertet und von seinen politischen Gegnern gebührlich gefeiert. Besonders aktiv ist dabei der ehemalige, noch heute populäre Kricketstar Imran Khan. Er ist Gründer und Vorsitzender der Partei Tehreek-e-Insaf (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit – PTI), die vor allem mit Massenaktionen gegen korrupte Regierungspraktiken auf sich aufmerksam macht. Die Panama-Papiere zum Anlass nehmend, sollte Premier Nawaz Sharif am 2. November mit einem Protestmarsch auf Islamabad zum Rücktritt aufgefordert werden. Die Entscheidung des Obersten Gerichts veranlasste Khan indes, den geplanten Massenprotest in einen „Thanksgiving Day“ umzuwandeln.
Doch für eine Jubelfeier ist es vielleicht noch zu früh, denn Nawaz Sharif kennt das Intrigenspiel um politische Macht. Mitte Oktober wurden Details über Zerwürfnisse zwischen militärischer und ziviler Führung bekannt. Demnach wurde der Armeeführung in internen Beratungen vorgeworfen, Pakistan durch ihre Politik in Sicherheitsfragen international in die Isolierung geführt zu haben. Vor allem die Unterstützung für die „guten Taliban“, die Terrorakte in Afghanistan und Indien begehen, habe zu einer Entfremdung zu den USA geführt, die zunehmend auf Distanz zu Pakistan gehen würden. Öffentlich werde auch das ambitionierte Kernwaffenprogramm kritisiert. Und Indien schare andere Staaten um sich, um Pakistans Politik zu desavouieren. Selbst das eng befreundete China sei mit bestimmten Aspekten in der Innen- und Außenpolitik unzufrieden.
Ein Blick auf die Lage in Pakistan bestätigt, dass die Vorwürfe in vielem den Tatsachen entsprechen. Verbündete und Freunde sind es oft leid, in Sicherheitsfragen immer wieder an der Nase herumgeführt zu werden. Die Bereitschaft, die pakistanische Politik international zu unterstützen, hat merklich nachgelassen. Durchaus glaubhaft sind deshalb Berichte über die geschilderten Auseinandersetzungen. Im Moment sieht die Armeeführung wie die schwächere Seite aus, doch voreilige Schlussfolgerungen sollten nicht gezogen werden. Die Streitkräfte besitzen nach wie vor hohes Ansehen, sie werden als Gegenspieler zur oft unfähigen Politik betrachtet.
In Indien werden die Konflikte innerhalb der Führungselite Pakistans natürlich aufmerksam verfolgt. Aus Erfahrung weiß man dort, dass die Zuspitzung der innenpolitischen Lage beim Nachbarn Auswirkungen auf das eigene Land haben kann. Auch die Position von Premier Nawaz Sharif ist Indien nicht gleichgültig, denn er gehört zu den wenigen Politikern Pakistans, die das gestörte bilaterale Verhältnis in normalere Bahnen zu lenken versuchen. Eine Stärkung der Stellung von Armeechef Raheel Sharif wird dagegen mit großem Misstrauen betrachtet. Als Indienhasser, dessen Aktionen unberechenbar seien, charakterisiert ihn der frühere Botschafter Indiens in Pakistan, G. Parthasarathy. Doch auch ein Führungswechsel in der pakistanischen Armee sollte kein Grund zum Jubeln sein, denn „die professionelle Feindschaft der pakistanischen Armee gegenüber Indien wird anhalten, obwohl sie nicht so tiefsitzend und persönlich wäre wie unter General Sharif“, äußerte Parthasarathy. Der indische Diplomat, der in Sicherheitskreisen zu den Falken gerechnet wird, überging dabei das in Indien seit jeher starke Lager von Pakistanhassern, das seit dem Aufschwung nationalistischer Kräfte bedeutend an Zulauf gewonnen hat.
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