19. Jahrgang | Nummer 17 | 15. August 2016

Bemerkungen

Mauer und Propaganda

Der 13. August 1961, der Tag des Mauerbaus in Berlin bleibt ein Aufreger in den Medien, da steht das „Böse“ selbst. In der Tat hat die Mauer ja Politik und vor allem das Leben vieler Menschen über lange Jahre stark geprägt. Den Himmel und Familien geteilt. Gut, dass sie weg ist. Aber man wünschte sich ein facettenreicheres Bild – zum Verstehen.
Ich muss immer wieder daran denken, wie meine Eltern, keine Parteifunktionäre, sondern LKW-Fahrer und Angestellte, auf den Bau des laut DDR-Propaganda „antifaschistischen Schutzwalls“ reagiert hatten. Sie waren seit längerem sehr besorgt über den Zustand der DDR, die bei aller Kritik ihr Land war, und befürchteten den ökonomischen Zusammenbruch. Die Mauer, die sie ebenfalls von Geschwistern trennen sollte, erfüllte sie bei allem Schmerz damals dennoch mit Hoffnung. Hoffnung, dass der Sozialismus nun bessere Bedingungen haben würde, sich zu entwickeln. Diese Hoffnung hatte getrogen, wie wir heute wissen. Aber damals war für viele – trotz Stalin – der Sozialismus immer noch eine lebenswerte Alternative zum Kapitalismus. Den heutigen medialen Betrachtungen geht der Blick ins geschichtliche Umfeld und auch dieses Hoffen auf eine Alternative nur zu oft verloren – und lässt sie so zur Propaganda schrumpfen. In der Einseitigkeit den DDR-Oberen irgendwie ähnelnd.

mvh

„Es ist noch eine Ruhe vorhanden“

So lautet die Inschrift des schlichten weißen Holztors in Nebel auf Amrum – es ist hier immer sehr still, sehr windig. Im Hintergrund ist die Silhouette einer Windmühle zu sehen.
Bei jedem meiner Besuche auf Amrum zieht es mich hierhin, auf den „Friedhof der Namenlosen“, auf dem 32 Menschen beerdigt sind, die einst angeschwemmt wurden. Sie liegen in langen Reihen in efeubewachsenen Gräbern, die mit einfachen Holzkreuzen versehen sind. Die Namen sind nicht bekannt, ihre Herkunft nicht, auch nicht ihr Alter – nur der Tag ihres Fundes am Strand, zumeist auf dem Kniepsand, dem vorgelagerten breiten Sandstreifen von Amrum. Und dieses Funddatum ist auf den Kreuzen vermerkt. Woher auch und von wem sollten sie identifiziert werden?
Ob sich wohl alle, die auf diesen wohl bekanntesten der zahlreichen Heimatlosen-Friedhöfe kommen, berühren lassen von dem Gedanken an einen schrecklichen einsamen, kalten Tod infolge einer Sturmflut oder eines Schiffbruchs?
Am 23. August 1906 wurde hier der erste Tote begraben. Der Nebeler Kapitän Carl Jessen stiftete laut Kirchenchronik 1905 ein Stück Land gegenüber der Windmühle – heute ein Heimatmuseum – damit die Strandleichen nicht wie vorher irgendwo in den Dünen provisorisch vergraben wurden, oder in einer Ecke des Dorffriedhofes nahe der Kirche. Eine Bestattung von Gestrandeten auf einem christlichen Kirchhof war nicht erlaubt, da ja Glaube und Herkunft unbekannt waren. Ob es der Gedanke war, einen von uns könnte auch das Ertrinken treffen, das die Amrumer zur Bereitschaft bewog, den unbekannten Toten eine letzte Ruhestätte zu ermöglichen?
1969 wurde auf dem Namenlosenfriedhof ein bislang letztes Mal eine unbekannte Strandleiche beerdigt. Für zwei weitere Gräber ist noch Platz, doch in Zeiten von Interpol, DNS-Analysen und moderner Medizintechnik ist heute ein angespülter Toter meist identifizierbar und bleibt damit wohl nicht lange namenlos.

Martina Lapins

Medien-Mosaik

Vor fünf Jahren absolvierte Axel Ranisch die Babelsberger Filmhochschule und hat sich seitdem in die erste Reihe deutscher Regisseure mit Anspruch – nein, nicht katapultiert, aber sanft geschoben. Vor kurzem erschien sein bislang anspruchsvollster Film von 2015 auf DVD und sollte trotz seines ernsten Themas doch zum Schmunzeln anregen – eine etwas verrückte, alltägliche Tragikomödie. Tobias betreibt mit seinem Freund Thomas (Heiko Pinkowski und Thorsten Merten) ein Architekturbüro und wird für seinen Partner immer unberechenbarer. Die Familie (Christina Große als Ehefrau) bekommt es auch zu spüren, denn Tobias ist nie allein. Sein Freund Flasche begleitet ihn fast immer und verleitet ihn mehr oder weniger diffizil zu Fehlleistungen. Peter Trabner spielt den personifizierten Hang zum Alkohol, der Tobias mehr und mehr erobert. Bald streckt er auch die Hand nach Tobias´ Sohn aus.
Ranisch hat sich mit seinem sehr ernst gemeinten und dabei trotzdem heiteren Film an großen Vorbildern orientiert und lag nicht daneben. Auch in Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“ spielte Thorsten Merten mit – hier als die personifizierte Krebskrankheit. Axel Ranisch hatte das Glück, bei Rosa von Praunheim in dessen Altersphase zu studieren, als das schwule Enfant terrible bereits weise geworden war. Der Schüler erfand neue Verrücktheiten, aber nur, um das ernste Thema mit unterhaltenden Mitteln um so eindringlicher zu exponieren. In Nebenrollen tauchen so profilierte Schauspieler wie Iris Berben, Oliver Koritke und Robert Gwisdek als Bänkelsänger auf und wiederum Ranischs Oma Ruth Bickelhaupt, die mit Ende 80 erst durch ihren Enkel zum Film kam und früher im Zentralhaus der DSF im Kastanienwäldchen künstlerische Ausstellungen verantwortete.

Alki Alki, Regie Axel Ranisch, DVD bei missing films, 102 Minuten, 17, 99 Euro.

*

Vor sechzig Jahren schlug ein bundesdeutscher Film – sicherlich angeregt durch amerikanische Vorbilder mit Marlon Brando und James Dean – völlig neue Töne an. „Die Halbstarken“ erzählte eine Geschichte von jungen, rebellischen Leuten in Westberlin, wie sie sich ebenso in westdeutschen Städten des „Wirschaftswunders“ zugetragen haben könnte. Dass dieses ungestüme Lebensgefühl ein Jahrzehnt nach dem Krieg nicht auf den Westen beschränkt blieb, bewies ein Jahr darauf der DEFA-Film „Berlin – Ecke Schönhauser“ mit Ekkehard Schall als Dieter. Das westliche Pendant hieß schön amerikanisch Freddy und wurde von Horst Buchholz gespielt. Ihn und seine Partner Karin Baal und Christian Doermer hat der Kenner vor Augen, wenn er jetzt das Hörbuch konsumiert, das nach dem Film entstand. Den Text von Autor Will Tremper könnte man für ein Destillat aus dem Film halten, zumal alles im Präsens erzählt wird. Doch das war sein Stilmittel, das die Grundlage für den Film bot. In der Erzählung steht die Auseinandersetzung der jungen Leute im Mittelpunkt, die aus sozialen Erfahrungen gespeist ist und in Schwerkriminalität mündet. Tremper schafft es, die Jugendsprache von damals lebendig zu machen. Wer spricht heute noch von seinem Sidekick als „Olle Ihmchen“! Das meistert Sprecher Charles Rettinghaus mühelos. Persönlich finde ich es schade, dass die Hörbuchedition nicht ein bisschen mit der legendären Filmmusik von Martin Böttcher arbeitete – das Hörvergnügen wäre noch größer gewesen!

Will Tremper: Die Halbstarken, Hörbuch-Edition mit Charles Rettinghaus, MEDIA Net-Edition, mit Booklet, 16,90 Euro.

bebe

Vegetarische Biotüte oder: Hurra, ich bin ein Schulkind

Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu und damit läuft auch der Countdown für die zukünftigen ABC-Schützen. Die letzten Kindergartentage liegen hinter ihnen, endlich Schule!
Hunderttausende kleiner Mädchen und Jungen fiebern dem ersten Schultag entgegen: „Hurra, ich bin ein Schulkind. und nicht mehr klein“. Eifrig werden Schulutensilien gekauft und die Schultaschen mit Heften und Büchern gefüllt. Ein bisschen aufgeregt sind sie alle, von den Erstklässlern bis zu den Großeltern. Schließlich ist der erste Schultag ein großes Ereignis für die Kinder.
Die wichtigste Frage der Schulanfänger ist allerdings: Wie groß ist die Zuckertüte und was ist wohl darin? Das spitze und bunte Pappding gehört traditionell zum Schulanfang. Die Steppkes wünschen sie sich so groß wie möglich, und voller Süßigkeiten soll sie natürlich sein.
Aber Zahnärzte und Umweltschützer heben mahnend ihre Zeigefinger und fordern eine Tüte voller gesunder Überraschungen. So empfahl neulich ein Eltern-Ratgeberbeitrag in einer Tageszeitung Müsliriegel, Vollkornkekse, Obst, Karotten, Studentenfutter und Trockenfrüchte als Füllmaterial. Solch mahnende Aufrufe konnten dem Brauch aber bislang nichts anhaben. Seit knapp zweihundert Jahren versüßt die Zuckertüte mit lauter buntem Naschwerk unseren Kleinen den ersten, erwartungsvollen Schritt in die Schule.
Als wir noch Kinder waren, wurde uns ja gern die Mär vom Zuckertütenbaum aufgetischt, an dem die Zuckertüten wie Früchte hingen und nur größer wurden, wenn das entsprechende Kind auch artig war. Bei Ungezogenheit drohte dagegen eine Tüte voller Kartoffeln oder Briketts. Den heutigen Kids kann man mit solchem Schnickschnack nicht mehr kommen, die wissen genau, wo die Regale mit den Süßigkeiten im Supermarkt stehen.
Natürlich kann man die Augen nicht vor der Realität verschließen: jeder fünfte Erstklässler leidet bereits unter Übergewicht. Doch Süßigkeiten gehören einfach zum Schulanfang dazu, der Schulalltag wird noch sauer genug werden. Nicht umsonst heißt die Zuckertüte ja Zuckertüte und nicht „Vegetarische Biotüte für gesunde Ernährung“.
Nun plädiere ich beileibe nicht dafür, die Schultüte kiloweise mit Naschereien zu füllen. Aber Mohrrüben und Salatgurken? Ein wenig einfallsreicher darf es schon sein. Schließlich sind es Kinder und keine Meerschweinchen…

Manfred Orlick

Musikalische Schätze jenseits von „Hu-Hu-Hu“

Die isländische Mannschaft hat sich im Kräftemessen mit den vermeintlich großen Fußballnationen bei der diesjährigen Europameisterschaft viele Sympathien erspielen können. Mit dem Mute der Verzweiflung hat sich der Underdog bis ins Viertelfinale gekämpft.
Als Sympathieträger erwiesen sich aber auch die isländischen Fans. Ihr dumpfes Hu-Hu-Hu-Siegesritual wirkte anfangs befremdlich, wurde dann aber als kuriose Bereicherung der Fankultur angesehen.
Auch der CD-Sampler „A Taste Of Beste! Unterhaltung – Vol. 2“ mag beim ersten Anhören hin und wieder befremdlich klingen. Aber er bietet die Chance, nicht nur internationales Liedgut kennenzulernen, sondern auch wahre musikalische Schätze zu heben…und das zu einem Schnäppchen-Preis.
Eine lohnenswerte Entdeckung ist beispielsweise der isländische Künstler Svavar Knutur. Der Liedermacher aus dem Land der Gletscher und Geysire beschwört innere Dämonen und äußere Stürme. In seinen jüngsten Veröffentlichungen kehrt er eher die heiteren Seiten des Lebens hervor. Das Lied „Girl from Vancouver“ mutet beim ersten Anhören wie ein albernes Liebeslied an. Aber der sprachliche wie musikalische Witz lohnt mehrmaliges Anhören… und man wird nicht nur mit vielen englischen Reimwörtern auf die Stadt „Vancouver“ entschädigt.
Ein weiteres nordeuropäisches Stimmwunder ist sicherlich die von den Färöer-Inseln stammende Guðrið Hansdóttir. „You blossom like a Flower“ ist die stilvolle Vertonung eines ins Englische übersetzten Liebesgedichts von Heinrich Heine.
„Oh Lonesome Me“ …klingt wie Cowboy-Melancholie zu Wildwest-Zeiten; tatsächlich ist es ein Duo, dahinter verbergen sich die beiden stimmgewaltigen Musikerinnen Carina Schwertner und Anne Stabe. Zum Kennenlernen bietet der Sampler die Liebesballade „You only like me when you’re drunk“ an.
18 Lieder können auf diesem Sampler entdeckt werden, auf ein Lied sei als finaler Anspieltipp noch hingewiesen: „One amongst Others“, unglaublich gefühlvoll von der isländischen Liedermacherin Myrra Rós vorgetragen.

Thomas Rüger

A Taste of Beste! Unterhaltung – Vol. 2 (Sampler), CD, Label: „Beste! Unterhaltung“, 3,00 Euro bei Direktbezug vom Label.

WeltTrends aktuell

Die Weltwirtschaft ist im Umbruch, auch bei Rohstoffen, ob Seltene Erden, Metalle oder Energieträger. Im Thema des Heftes werden in einer globalen Perspektive unterschiedliche Rohstoffpolitiken diskutiert. Deutlich wird, wie stark „der Staat“ in diesem Sektor strategisch aktiv ist, um langfristige Grundlagen für die Wirtschaft zu sichern. Während Anne Klinnert auf grundsätzliche Fragen der internationalen Rohstoffpolitik eingeht, analysiert Yann Wernert die entsprechende Strategie Frankreichs. Weitere Artikel beschäftigen sich mit der Konkurrenz zwischen China und Japan sowie aktuellen Problemen Lateinamerikas auf diesem Gebiet.
In der Rubrik WeltBlick widmen sich deutsche und polnische Autoren dem Brexit: Wie soll das künftige Europa aussehen? Ist die EU zu reformieren oder könnte es einen plebiszitären Verfall geben? Mit dem Warschauer NATO-Gipfel setzt sich der Zwischenruf auseinander. Im Kommentar zieht MdB André Hahn die Schlussfolgerung: Geheimdienste lassen sich – wenn überhaupt – nur eingeschränkt kontrollieren und gehören daher abgeschafft.

am

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 118 (August) 2016 (Schwerpunktthema: „Die Gier nach Rohstoffen“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.