19. Jahrgang | Nummer 10 | 9. Mai 2016

Micky machtʼs nicht mehr

von Septentrionalis

Wer die Printmedien und ihre Verbreitung etwas intensiver verfolgen will, der kommt an einer Organisation mit dem Bandwurmnamen Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern nicht vorbei. Erfreulich, dass die sich mit ivw schon Anfang der 1950-er Jahre eine griffige Abkürzung gegeben hat. Wer da mal etwas durch die seit 1950 (!) kontinuierlich geführten Auflagenstatistiken stöbern möchte, kann das auf der ivw-Website jederzeit tun.
Hier aber schon mal ein paar Ergebnisse aus diesem Zahlenwust.
Zunächst ein eher etwas wehmütiger Rückblick in die Kindheit. Als meine Eltern mit mir 1960 aus dem Ostteil Berlins in den anderen Teil der Stadt übersiedelten, war der erste Ausgleich für meine zurückgelassenen Spielsachen der Kauf eines Micky Maus-Heftchens, aus dem mir meine Mutter in der Wohnung von Bekannten vorlas. Meine sich rasch ausprägende Vorliebe für diese bunten Heftlein teilte ich damals mit etwa 390.000 weiteren regelmäßigen Erwerbern. Micky, Goofy, Donald und seine Neffen, vor allem aber Dagobert Duck in seinem Geldspeicher wurden Teil meiner Kindheit, und das galt im Laufe der Jahrzehnte ganz offenbar für immer mehr Nachwachsende: Laut ivw lag die verkaufte Auflage im vierten Quartal 1996 bei 760.683 Heften! Knapp 20 Jahre später, Ende 2015, war der Absatz um 90 Prozent geschrumpft – auf nur noch 77.683 Hefte. Als wenn die Blagen nur noch ins Smartphone glotzen, an der Playstation hängen und zum Lesen zu faul sind. Allerdings kostet das Jahres-Abo von Micky Maus inzwischen auch stolze 136,90 Euro.
Auf die Idee mit dem Nicht-mehr-lesen-Wollen könnte man auch kommen, wenn man sich die verkaufte Auflage von BRAVO ansieht. Auch die hat sich in zwei Jahrzehnten glatt gezehntelt. Offenbar gibt es die einstigen Probleme mit fehlendem Liebesglück der Teenager und den zu vielen Pickeln heute nicht mehr, oder aber sie werden anderweitig gelöst.
Gut halten konnte sich hingegen mit einem Minus von „nur“ zwölf Prozent in den letzten 20 Jahren ausgerechnet der Playboy. Lustig indes: Während der Verkauf am Kiosk um 43 Prozent runter ging, konnten die Abonnements mit einem Plus von 32 Prozent einen Teil der Scharte wieder auswetzen. Vielleicht sind die Herren Leser langsam in die Jahre gekommen und können es nun auch vor der werten Gattin rechtfertigen, wenn das Heft regelmäßig in den Briefkasten plumpst. Oder die nimmt ihnen nun augenzwinkernd ab, dass sie wirklich nur die tollen Texte lesen.
Dass allerdings auch journalistische Qualität nicht automatisch vor Rückgängen bewahrt, zeigt die FAZ, die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Erreichten ihre Verkäufe über Abonnement und Einzelverkauf im vierten Quartal 1989 mit 360.835 Exemplaren einen Höhepunkt, sind im letzten Quartal 2015 nur noch 230.482 Käufer (inklusive Abos der Digitalausgabe) übrig geblieben.
Betrachtet man anhand der ivw-Angaben die Gesamtentwicklung der FAZ seit 1950, könnte man zu der Auffassung gelangen, dass Zeitungen auch nur Sachen wie Möbel, Autos oder Waschmittel sind, denn die Verkaufszahlen in Gestalt reiner grafischen Kurve zeigen einen für einen Produkt-Lebenszyklus typischen Verlauf: Aufstieg (bis 1989), Stagnation auf hohem Niveau (bis Anfang der 2000-er Jahre) und Niedergang (seither und immer noch anhaltend).
Abschließend noch ein Blick auf das „Sturmgeschütz der Demokratie“, den SPIEGEL, meine, wie ich zugeben muss, Hassliebe.
Liebe deshalb, weil ich mit ihm sozusagen das zeitungsleserische Laufen gelernt habe. DER SPIEGEL war das einzige Presseerzeugnis, das ich in meiner Jugend außer Fußballberichten in der Rheinischen Post regelmäßig gelesen habe. Außerdem sitzen auch noch heute ein paar „alte Recken“ bei diesem Magazin, die dem journalistischen Nachwuchs was vormachen können und das Heft in einzelnen Beträgen nach wie vor lesenswert machen.
Hass hingegen, weil mir die aktuelle Ausrichtung auf Unmassen von Tendenzartikeln und propagandalastigen Kommentaren überhaupt nicht passt.
Aber offenbar stehe ich mit dieser Ansicht nicht völlig allein da. Seit dem Spitzenstand im dritten Quartal 2001 – 1,34 Millionen Exemplare – ist die verkaufte Auflage um sage und schreibe 40 Prozent zurückgegangen. Dass daraus journalistisch keine sichtbaren Konsequenzen gezogen werden, verblüfft mich Heft für Heft aufs Neue.