18. Jahrgang | Nummer 20 | 28. September 2015

Festspiel-Schluss

von Dieter Braeg, Salzburg

Wieder einmal ist eine schöne Festspielzeit – die des Jahres 2015 – in Salzburg zu Ende. Es gab den „Jedermann“, feinste Opern, Konzerte und die „Dreigroschenoper“. 262 893 Besucher aus 74 Nationen waren da und haben für 188 Vorstellungen etwa 29,6 Millionen Euro gezahlt.
In einem Gedicht von Karl Kraus, erschienen im Juni 1923 in Die Fackel, dessen Gesamtlektüre nicht schadet, kriegt diese Festspielstadt, die sich zu Weihnachten zu einem Gesamt-Christkindlmarkt vom Mirabell-Platz bis zur Festung verwandelt, ihr Fett weg. Hier zwei Strophen:

Mit dem Zirkus ist das Geschäft vorbei,
jedoch mit der Kirche gelungen,
drum gloria in excelsis sei
von der Presse dem Reinhardt gesungen.

Zu dieser Hofmannsthal-Premier‘
wallen Büßer von allen Enden,
die Kirche leiht die Kulissen her,
die Presse tut Weihrauch spenden.

Die Eintrittspreise waren nicht moderat und es gab auch keine Uraufführung des Theaterstücks „Nestlé-Alete – Mahlzeit zum Trinken ab 10. Monat“, das darüber informiert, dass Trinkmahlzeiten zu Überfütterung führen und Karies fördern. Kein warnender Kinderarzt trat auf, der schon seit 2007 radikalst einen Vermarktungs-Stopp forderte. Wie schön wäre doch eine Szene in der Felsenreitschule, gespielt von Christine Neubauer, die unbeeindruckt mit dramatischster Körpersprache das Nestlé-Produkt als „vollwertige Mahlzeit“ für Säuglinge anpreist, und dazu ein Couplet mit dem Hinweis singt, die „Mahlzeit“ sei „reich an Calcium und Vitamin D für gesundes Knochenwachstum“.
Leider verliest auch kein berühmter Schauspieler in der Rolle des Vorsitzenden Prof. Berthold Koletzko der DGKJ-Ernährungskommission dessen Mail vom 30.7.2014: „Die DGKJ spricht sich weiterhin gegen sogenannte Trinkbreie aus.“ Auch verkündet kein Kinderärzte-Chor, dass Breie nicht aus Flasche oder Becher getrunken, sondern mit dem Löffel gefüttert werden – Nestlé selbst empfiehlt dagegen Becher oder Tassen für seine Kalorienbomben.
Dass Nestlé die Festspiele fördert, lässt die Frage zu, ob diese auch nur „Kultur-Mahlzeiten“ nach Nestlé-Rezeptur und –Meinung bieten.
Brechts „Dreigroschenoper“ hinterließ beim Publikum und dem größten Teil der Kritik kaum Begeisterung. Das alles überragt die Festung Hohensalzburg, die man – will man Salzburgerin/Salzburger ärgern – als „Burg“ bezeichnet. Weil alles so wie im Mittelalter ist, wartet der Fremde, der verkehrt und so jene Industrie, die keine ist, zur Fremdenverkehrs-Industrie werden lässt, auf den mittelalterlichen Pranger. Dieses Jahr allerdings geschah beim „Jedermann“ etwas, was so gar nicht zur Normalhandlung und Normalhaltung der Festspiele passt.
Der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei FPÖ, H. C. Strache, war mit Anhang Zuschauer beim „Jedermann“. Musiker und Schauspieler zögerten nicht und es kam zu einer Aktion … Beim Einzug der Tischgesellschaft folgt nach der Auftrittsmusik eine kurze Sequenz – da war Platz für eine eigene Meinung zu diesem Besuch – und die Musiker spielten die „Internationale“. „Das war eine ungeplante, spontane Aktion, wir stehen dazu“, erläuterte der Schlagzeuger und Perkussionist Robert Kainar, der die „Jedermann“-Formation „ensemble013“ leitet, und die Schauspielerin Katharina Stemberger, die beim „Jedermann“ als Schuldknechts-Weib auf der Bühne stand, postete auf Facebook: „Beim ´Jedermann´ müssen wir die blau-braune Führungsriege entdecken. Die Stimmung sinkt. Was machen unsere hinreißenden Musiker: Sie stimmen in der zentralen Tischgesellschaft-Szene die ´Internationale´ an! Ich liebe diese Truppe!!!“
Das Publikum allerdings – durch Sonneneinstrahlung und hohe Eintrittspreise schon entsprechend sortiert – erkannte in den meisten Fällen das Kampflied der Arbeiterklasse nicht. Ein hoher Funktionär der FPÖ gab dazu seinen Senf (der farblich passt) ab. Dieser Protest sei wohl danebengegangen, da niemand die „Internationale“ als solche erkannt habe. Jedenfalls zeuge es grundsätzlich von einer sehr problematischen Geisteshaltung, wenn man Personen, deren Überzeugungen man ja nicht teilen müsse, die Teilnahme an einer kulturellen Veranstaltung verweigern oder sie ihnen zumindest vergällen wolle. H. C. Strache, der derzeit vor der Wahl in Wien (11. Oktober 2015) bei den Meinungsumfragen führt, teilte per Facebook mit:

„Auch Spaß muss sein. Wie ich aus den Medien erfahren habe, galt die ´Internationale´ am Dienstag beim ´Jedermann´ mir. Warum sollte ich mich davon persönlich angesprochen fühlen?
Man könnte eher davon ausgehen, dass die Musikkapelle anwesende Nadelstreifsozialisten auf Ihre Wurzeln hinweisen wollte. Die Sozis von heute zerschinden sich Ihre Hände ja nicht mehr an der Werkbank, sondern an Austernschalen, Golf- und Tennisschlägern.
Dass die ´Internationale´ mir zuliebe gespielt wurde, geschah sicher in Anerkennung unserer großartigen Wahl- und Umfrageergebnisse, nach denen ja die Mehrheit der Arbeiter mittlerweile die FPÖ wählt. Nicht umsonst beginnt die dritte Strophe der ´Internationale´ mit:
´In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute, wir sind die stärkste der Partei´n.´
Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Ehre, die mir durch meine bloße Anwesenheit zuteilwurde. Immerhin hat die Musikkapelle mir zuliebe eine fast hundertjährige ´Jedermann´-Tradition verlassen.
PS: Vielleicht sollte sich die Musikkapelle, die sich ´ensemble013´ nennt, nachdem wir den August 2015 schreiben, und erst jetzt so richtig der mediale Durchbruch gelang, in ´ensemble0815´ umbenennen.“

Dieser „Spaß“ ist ernst und die mit Sponsorengeldern von Siemens, Nestlé, Audi und Rolex „geförderte“ Festspielleitung, deren allergrößter Förderer aber noch immer die österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind, teilte dazu mit: „Private oder politische Meinungskundgebungen der Künstler haben in keiner der Vorstellungen der Salzburger Festspiele die Billigung der Festspielleitung und wir haben das Ensemble ausdrücklich darauf hingewiesen, dergleichen in Zukunft zu unterlassen“.
Beim „Jedermann“ kommt der Teufel, um die schuldbeladene Seele Jedermanns, derer er sich ganz sicher ist, zu holen und mit ihr zur Hölle zu fahren, wo täglich 888 Mal die Internationale gesungen wird; doch er muss zu seinem Verdruss sehen, dass sie ihm durch die Gnade Gottes und des Kapitals entrissen wurde. Wenig später kehrt Jedermann völlig gereinigt (wäre da Persil nicht auch als Festspielsponsor zu gewinnen?) zurück und kann nun mit ruhigem Gewissen in Begleitung des Glaubens und der guten Werke vor Gottes, der Börse und der Kredit-Ratingagenturen Richterstuhl treten.

Festspiel-Schluss? – Fortsetzung folgt. Nächstes Jahr!