18. Jahrgang | Nummer 16 | 3. August 2015

Leere Gesichter. Nachrichten aus der Debattiermaschine (XXXVIII)

von Eckhard Mieder

Giannis Varoufakis hat in einem Interview mit dem britischen Magazin New Statesman seine Eindrücke von den Verhandlungen unter den EU-Finanzministern geschildert. Seiner Darstellung nach sei sein eigenes Auftreten „wie das eines Außerirdischen aufgenommen worden“. Das kann jemand für sich empfinden und mitteilen, das kann stimmen, das muss nicht stimmen. Dann aber sagte Varoufakis, dass er, sobald er „ein sorgfältig ausgearbeitetes Argument vorgetragen habe“, in leere Gesichter geschaut habe. Er hätte ebenso gut die schwedische Nationalhymne singen können. Es sei einfach so gewesen, als ob man nichts gesagt habe. Ab hier glaube ich dem Mann jedes Wort. Das kommt mir bekannt vor.
Als Talkshow-Freak – von zwei, drei Lastern (nicht LKWs!) sollte man nicht lassen, auch wenn über viele Talks, ähnlich wie bei Zigarettenschachteln, eine Banderole geklebt werden müsste: Schwätzen kann zum Tod führen – erinnere ich mich an das Auftreten von Sahra Wagenknecht, von Oskar Lafontaine (allerdings länger her), von Gregor Gysi, von Dietmar Bartsch. Da saß ich vor dem Fernsehgerät und blickte in eben diese leeren Gesichter, wenn W., L., G. oder B. mit Sachlichkeit, mit Kenntnis, mit Intelligenz, mit Pfiffigkeit und ähnlich unnützen Fähigkeiten redeten: Es waren die leeren Gesichter der anderen Talkrundenteilnehmer. Und es war (und ist) deren besonderes Palaver-Geschick, nicht auf die Argumente und Fakten einzugehen, sondern entweder zu ihren immer gleichen, hohlen Predigten zurückzukehren, oder, das ist die offensive Variante, das Gehörte vom Tisch zu wischen, weil man ja weiß, von wem es kommt. Von Kommunisten. Weil man ja weiß, dass die alles verstaatlichen wollen. Inklusive Miss Bayern, Dieter Bohlens Grundstück in Tötensen, alle Fahrräder, die über mehr als vier Gänge verfügen, und vieles andere.
Ich habe auch schon in solche leeren Gesichter geschaut, wenn ich in Debatten über das Ost-West-Dinge geriet. Als Überlebender der DDR wurde ich gelegentlich nach dem Alltag in der Diktatur gefragt. Inzwischen habe ich es mir abgewöhnt, ernsthaft und länger darauf zu antworten – ein paar Scherze tun es auch, Anekdotisches ist beliebt, das schnelle Häppchen zwischendurch ist verdaulich; bekanntlich wurde die Mauer ja durch einen übergroßen Penis eingerissen.
Ehrlich gesagt bin ich es müde, für einen Staat gehalten zu werden, der ich nicht war und nicht bin. Und letztlich bin ich wehrlos gegen die bomben(!)feste Überzeugung der anderen: Dass ich jetzt in der besten aller Welten lebe. Oder wo könnte es dir besser gehen? Tatsächlich konnte und kann ich sehen: Wie die Blicke nach innen gehen, wie die Augen und die Gesichter sich leeren, wenn man versucht, eine Frage gründlich zu beantworten; vielleicht liegt es auch daran, dass ich zu langweilig rede.
Varoufakis‘ Beobachtung traue ich. Im Übrigen werde ich gedrängt, ihr zu trauen. Bedrängt dieses unfassbaren Hasses, dieser unglaublichen Häme, die dem Mann von Bild bis FAZ entgegengebracht wird … Diesem Filou, diesem Motorradfahrer, diesem schlipslosen Vagabunden, der grad wieder gesehen wurde, wie er auf der Fähre auf eine Insel in sein Ferienhaus fährt … Ich darf dann sogleich lesen, dass es die deutschen Politiker nach den anstrengenden Wochen verdient haben, auf Sylt auszuspannen, durch Südtirol zu wandern … Nur dieser verkappte Kommunist (?) V., mit Penthouse in Athen, dieser Quertreiber … Fähre, Insel, Ferienhaus … So sind sie, die krummen Griechen … Was wollte ich sagen?
Bedrängt von dieser medialen Hatz und Hetze gegen einen Menschen kann ich gar nicht anders. Ich muss ihn sympathisch finden, auch wenn ich ihn nicht kenne. Ich muss mich auf seine Seite schlagen, auch wenn ich nicht weiß, ob wir Kameraden wären.
Meinen Beistand und Zuspruch braucht er gewiss nicht. Denn dass mit Gesabber und mit Geifern über einen Menschen eine Wahrheit über diesen erzählt wird, glaube ich nicht. Wenn doch, dann ist es die Wahrheit – der leeren Gesichter.