von Frank Ufen
Die ganze Geschichte begann auf der Île de la Cité in unmittelbarer Nähe der Kathedrale Notre Dame. Ungefähr im Jahre 1630 hob dort Théophraste Renaudot – der Leibarzt Ludwig XIII. und der Begründer einer der ersten französischen Zeitungen überhaupt – mit dem „Bureau d’Adresse“ eine Einrichtung neues Typs aus der Taufe. Hierbei handelte es sich um eine kommerzielle Agentur, die für mannigfache Arten von Vermittlungsdiensten zuständig sein sollte.
Monsieur Renaudot, so schien, hatte von vornherein an alles gedacht. An sein Bureau d’Adresse, verkündete er, könne sich getrost jeder wenden, der sich irgendwelche der dort deponierten und verwalteten Informationen zunutze machen wolle.
Wollte jemand irgendwelche Waren – von Büchern oder Getränken angefangen bis hin zu Schiffen, Landgütern oder exotischen Tieren – veräußern, brauchte er bloß sein Angebot gegen eine Gebühr von drei Sous in ein Registerbuch eintragen zu lassen. Wer einen bestimmten Artikel suchte, bezahlte ebenfalls drei Sous, und daraufhin wurden ihm die entsprechenden Registereinträge zur Verfügung gestellt. Bei alledem sollte bis zum Abschluss des Geschäfts die Anonymität sowohl des Verkäufers als auch des Käufers gewährleistet sein.
Genauso konnte vorgehen, wer Zimmer oder Häuser zu mieten oder zu vermieten beabsichtigte. Das Bureau warb des weiteren damit, Arbeiter und Dienstpersonal jeglicher Art vermitteln zu können und diejenigen Handwerksmeister in ihren Registerbüchern zu erfassen, die Lehrlinge oder Gesellen benötigten.
Das Bureau d’Adresse erklärte sich darüber hinaus bereit, verschollene Personen aufzuspüren, die Adressen von Hofangehörigen und von renommierten Ärzten, Apothekern, Advokaten und Bankiers ausfindig zu machen und bei der Rekrutierung von Soldaten mitzuhelfen. Außerdem sollte man sich des Bureaus bedienen können, wenn es sich darum handelte, Geld zu leihen oder zu verleihen, Dinge zu versteigern oder zu verpfänden sowie Ämter zu kaufen oder zu verkaufen. Das Bureau bot ferner an, Reisenden Briefe und Pakete nachzuschicken, Informationen über Reiserouten einzuholen und bei der Suche nach Reisebegleitern und Mitfahrgelegenheiten behilflich zu sein.
Man sollte dem Bureau außerdem den Verlust und den Fund von Wertgegenständen melden, sich bei ihm Boten bestellen und seine Serviceleistungen in Anspruch nehmen können, wenn es darum ging, in eine andere Wohnung umzuziehen, ein Festessen zu veranstalten, eine Hochzeit zu feiern oder einen Toten zu bestatten.
Aber nicht genug damit. In den Räumen des Bureau sollten noch dazu Kunstausstellungen stattfinden, wissenschaftliche Vorträge gehalten und öffentliche Disputationen ausgetragen werden. Und schließlich sollten sich dort regelmäßig Ärzte einfinden, um Mittellose kostenlos zu untersuchen und zu behandeln.
Théophraste Renaudot gelang es zwar nur teilweise, seine Versprechen einzulösen. Trotzdem florierte sein Unternehmen zunächst durchaus, auch dank des Umstandes, dass seine Agentur schon früh mit einer Zeitung und zeitweilig außerdem mit einem Annoncenblatt verkoppelt war. Renaudot hatte allerdings von Anfang an etliche Gegenspieler, die ihn bekämpften, weil sie ihre Felle davonschwimmen sahen – darunter die Innung der Kaufleute, die Gesellenvereinigungen, traditionelle Vermittler von Arbeitskräften wie die Gesindemaklerinnen, in erster Linie jedoch die akademische Ärzteschaft von Paris. Schon nach einem guten Jahrzehnt waren diese Gegenspieler derart mächtig geworden, dass sie das Bureau d’Adresse zwingen konnten, seine Vermittlungstätigkeit auf einige wenige Bereiche zu beschränken.
Nach dem Vorbild von Renaudots Agentur entstanden bald ähnliche Einrichtungen überall in Europa – und zwar nicht allein in den Metropolen London, Prag, Wien, Budapest oder Berlin, sondern sogar in Provinzstädten wie Altona oder Innsbruck. Der Wiener Historiker Anton Tantner hat lange in Archiven gewühlt, um die Geschichte der Adressbüros rekonstruieren zu können. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Quellenlage schlecht bis katastrophal ist. Denn die Adressbüros – die anderswo Namen wie Frag- und Kundschaftsamt, Berichthaus, Intelligenzbüro, Bureau de rencontre oder Universal Register Office trugen – haben zwar Berge von Papier produziert, doch davon sind nur klägliche Reste übrig geblieben. Trotzdem ist das, was Tantner schließlich zutage gefördert hat, aufschlussreich genug. Vor allen Dingen macht er deutlich, dass die Adressbüros zu ihrer Zeit ebenso heftig umstritten waren wie es heute Google und Co. sind. So gab es Zeitgenossen, die verkündeten, es würden sich phantastische Möglichkeiten dadurch eröffnen, dass man jetzt in der Lage sei, zwischen Menschen, die einander nicht kennen und übereinander nichts wissen, Beziehungsgeflechte herzustellen. Andere Zeitgenossen hingegen standen den Adressbüros äußerst argwöhnisch gegenüber, warfen ihnen vor, der Obrigkeit in die Hände zu spielen, die Privatsphäre zu gefährden und mit ihrem akkumulierten Wissen Missbrauch zu treiben.
Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, mit Tantner die Adressbüros als die Suchmaschinen des analogen Zeitalters zu bezeichnen. Nicht zu bezweifeln sind jedoch die Qualitäten dieses Buchs – ein großer Wurf.
Anton Tantner: Die ersten Suchmaschinen. Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015, 173 Seiten, 19,90 Euro.
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