von Klabund
Siegfried Silbermann, der schon den Buren- und den Balkankrieg als Kriegsberichterstatter der „Neuen Freien Trompete“ mitgemacht hatte, wurde telegraphisch in das Hauptquartier von Exzellenz Eydtkuhnen, Oberbefehlshaber Nordost, berufen – jenes Feldherrn, der erst anläßlich dieses Krieges in so glänzende Erscheinung getreten ist.
Schon ehe er das Auto des Pressestabes bestieg, wurden Siegfried Silbermann mit einem dunklen Tuch wie einem Parlamentär die Augen verbunden, damit er auf der Fahrt nach der Front ja nichts zu sehen bekäme, was sich im geringsten als militärisches Geheimnis darstellen und von ihm vielleicht als Anlaß zu einer seiner hinlänglich bekannten Plaudereien benützt werden könne. Es gehört zur seelischen und beruflichen Eigenschaft des Kriegsberichterstatters, daß er nichts, aber auch rein gar nichts vom Kriege sieht: hin und wieder nur wird ihm die Binde abgenommen, und er fühlt sich erstaunt vor einem toten Pferd oder einem niedergebrannten Haus. Darüber darf er dann als „Augenzeuge“ berichten. Wendet er seinen Blick von dem toten Pferd oder dem niedergebrannten Haus ein wenig empor und in die Weite, so sieht er nichts als ein graues, ödes, endloses Feld, das sich viele Meilen bis an den Horizont erstreckt. Das nennt er dann die „Leere des modernen Schlachtfeldes“.
Siegfried Silbermann schlug die Augen auf und fand sich einem ältern, stattlichen Herrn gegenüber, dessen Brust mit Orden und Ehrenzeichen übersät war. Breite rote Feldmarschallsbiesen funkelten herrisch an seinen gestrafften Beinen. Er zwirbelte nachdenklich an seinem braunmelierten, altertümlichen Bart. Silbermann zog seinen Notizblock und notierte: martialisch.
Exzellenz Eydtkuhnen, der große Feldherr – denn er war es in eigener Person – legte seine große, knochige Hand schwer auf Siegfried Silbermanns schwankende Schulter. Silbermann zitterte. Er feuchtere den Tintenstift leise an der Zunge an und notierte: leutselig.
Silbermann wagte endlich, die nähere Umgebung prüfend zu betrachten. Um ein riesiges rauchiges Lagerfeuer hockte malerisch gekrümmt eine Anzahl höherer und niederer Offiziere. Es war der Stab des Feldherrn. Sie rauchten eine Pfeife, die reihum ging: die sogenannte Friedenspfeife. Über dem Feuer wurde ein Ochse von mehreren Ordonnanzen am Spieß gedreht. Man traf Vorbereitungen zum Mittagsmahl.
„Wollen Sie mit uns speisen?“, sagte Exzellenz Eydtkuhnen. Des Feldherrn Stimme rollte in gutturalen Kehllauten. Silbermann notierte: nicht nur die Tatze, nein, auch die Stimme des Löwen…
„Ich habe mit dem feindlichen Heerführer ausgemacht, daß die Schlacht erst nach dem Mittagessen, sobald der Kaffee abserviert ist, beginnt.“ Silbermann notierte: humane Kriegführung.
Es war nur ein Feldstuhl vorhanden. Silbermann notierte: spartanische Lebensweise…
„Wollen Sie sich nicht setzen?“, lächelte Exzellenz Eydtkuhnen. „Das Schreiben und Denken im Stehen ermüdet.“ „Bitte, nach Ihnen, Exzellenz“, verbog sich Silbermann devot. „Oh“, wehrte die Exzellenz ab, „ich stehe schon so lange im Felde, daß ich ruhig noch ein wenig länger stehen kann.“ Silbermann notierte: Beharrlichkeit… Ausdauer… germanische Zähigkeit…
Oben in den Lüften begann es zu pfeifen und zu surren, zu schnauben und zu knallen. Exzellenz Eydtkuhnen murmelte erheitert: „Feindliche Aeroplane… sie haben es auf mein Hauptquartier abgesehen… aber beruhigen Sie sich, lieber Silbermann: sie treffen nie etwas. Höchstens, wenn man sich etwa auf neutralem Boden befände, könnten sie einem gefährlich werden.“ Krrrrrrrtz… knautz… rum… eine Fliegerbombe platzte in fünfzig Schritt vor Silbermann. Silbermann konnte gerade noch: Kaltblütigkeit notieren, dann fiel er in Ohnmacht.
Exzellenz Eydtkuhnen winkte, und Silbermann wurde von den Ordonnanzen, die eben noch den Ochsen gebraten hatten, ins Auto des Pressestabes geschafft.
Auf der Redaktion der „Neuen Freien Trompete“ war es, wo er wieder zur Besinnung kam. Noch die Abendausgabe der „Neuen Freien Trompete“ brachte auf ihrer ersten Seite Silbermanns nachgerade so berühmt gewordenes Interview des Oberbefehlshabers Nordost Exzellenz Eydtkuhnen.
Vier Wochen später erschien bei der Verlagsbuchhandlung Brösel & Co. „Die eiserne Mauer“, Eindrücke und Expressionen, Erlebtes und Erschautes von der Nordostfront, von Siegfried Silbermann – ein stattlicher Band in Lexikonformat.
Klabund, eigentlich Alfred Henschke 1890 – 1928.
Schlagwörter: Erster Weltkrieg, Klabund, Kriegsberichterstatter