von Gerd Kaiser
Unter dieser Schlagzeile erschien am Vorabend des ersten Weltkrieges auch ein Extrablatt der Thüringer Waldpost in der Waffenschmiede Suhl.
Drei Generationen von Chefs des preußisch-deutschen Generalstabes hatten für den Ernstfall gewirkt. Als Quintessenz seiner preußisch-deutschen Kriegsphilosophie hielt Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke (d. Ä.) gegen Ende seines Lebens fest: „Der ewige Frieden ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.“ Sein Nachfolger im Amt des Generalstabschefs Alfred Graf von Schlieffen war der ebenfalls irrigen Ansicht, mit seinem seit 1905 vorliegendem strategisch-operativen Aufmarsch- und Feldzugsplan die Grundlagen für einen Siegfrieden gelegt zu haben. Ausgelegt war der nach ihm benannte Plan sowohl für einen Krieg im Westen gegen den „Erbfeind“ Frankreich als auch für einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich im Westen und Russland im Osten.
Unter dem nunmehrigen Generalstabschef Helmuth von Moltke (d. J.) begann das Deutsche Reich am 1. August 1914 die Kriegsplanungen zu verwirklichen. Ganz im Ungeist seines Onkels (Moltke d. Ä.) befangen, notierte er in seinem Tagebuch: „Dieser Krieg, den wir jetzt führen, war eine Naturnotwendigkeit.“ Deutschland sei „das einzige Volk das zur Zeit die Führung der Menschheit zu höheren Zielen übernehmen kann.“ Bereits anderthalb Monate nach Beginn des Weltkriegs Nr. 1 waren seine und seiner Vorgänger Generalstabsplanungen gescheitert. Moltke (d. J.) trat zurück.
Der Weltkrieg, von keinem der militärischen Fachidioten, Generalstäbler wie Troupiers bedacht, nahm seinen Lauf, allerdings völlig anders als geplant. Paul von Hindenburg und seinesgleichen bekam er, eigenem Eingeständnis zufolge „wie eine Badekur“.
Jahrzehnte bevor der minutiöse Kriegsplan als „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz) in die Tat umgesetzt wurde, hatte der Artillerist und „rote General“ Friedrich Engels, Zeitgenosse Moltkes (d. Ä.), in einer antithetischen Darstellung ein deutliches Bild vom Zukunftskrieg gezeichnet: „Deutschland wird Verbündete haben, aber Deutschland wird seine Verbündeten und diese werden Deutschland bei erster Gelegenheit im Stich lassen. Und endlich ist kein anderer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unseres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankrott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusagen, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird.“
Dieser Weltkrieg griff tief in das Leben auch des kleinsten und entlegensten Dörfchens ein. Von der Reichshauptstadt bis ins kleinste Dorf wurde es ernst. So auch in Dietzhausen, einem Industriearbeiterdorf bei Suhl, inzwischen längst eingemeindet. Richard Materne, stockschwingender Schulmeister und Kirchenmann über die Stimmung zu Kriegsbeginn: „Der Anfang August brachte durch den Weltkrieg einen nationalen und religiösen Aufschwung. Der Bettag war reich besucht […] und die ausrückenden Männer und Jünglinge traten […] vor den Altar, um Gottes Segen zu erflehen.“
Im Herbst 1914 waren die namhaften Rüstungsbetriebe Suhls, Simson & Co, Sauer & Sohn, Haenel und andere Unternehmen, in denen die meisten Arbeiter ihr Brot verdienten, voll auf Kriegsproduktion umgestellt. Als Rüstungsarbeiter lieferten sie Karabiner und Zünder für Granaten der Haubitzen und Kanonen – eingezogen, wurden sie zu Kanonenfutter. „Rheinmetall“, Mitbegründer war der aus Zella-Mehlis stammende Erfinder-Unternehmer Heinrich Ehrhardt, dieser war unter anderem Erfinder des rückstoßfreien Geschützes, und Krupp (Essen) hatten ihre Zünderpatente weltweit verkauft. Deutscher Erfindungsgeist und Geschäftssinn sorgten auch im Artilleriefeuer japanischer, russischer, britischer oder französischer Truppen für Tod oder Verstümmelung der „ausrückenden Männer und Jünglinge“.
Die ersten Toten aus Dietzhausen waren bereits kurz nach Kriegsbeginn zu beweinen: Der Musketier Otto Schmidt starb 25jährig „den Heldentod fürs Vaterland“ vor dem polnischen Lodz. Auf dem „westlichen Kriegsschauplatz“ starb am 1. Dezember der Maschinenbautechniker Willi Vollrath, freiwillig eingerückt war er gerade 18 Jahre alt. 19jährig fiel Willi Geisenhöner und 24jährig der Jäger Hermann Schön, mit dem ein alteingesessener Familienzweig abbrach.
Insgesamt zum Kriegsdienst gezogen wurden im Laufe der vier Kriegsjahre 172 Männer und Jugendliche aus Dietzhausen. 22 von ihnen fielen für die erklärten Kriegsziele, die nichts mit ihren eigenen ursprünglichen Lebensentwürfen zu tun hatten. Zwei weitere blieben für immer verschollen, zerfetzt, vermisst. Zehn Männer kehrten verwundet in ihr Heimatdorf zurück, zwölf weitere waren zum Teil bis 1920 in Gefangenschaft, Hugo Schmidt in japanischer. Seine Brüder Alfred, Hermann und Otto verbluteten auf Europas Schlachtfeldern. Martin, der jüngste Sohn der Familie, arbeitete im Zünderbau von Simson & Co. Das Unternehmen beschäftigte 5.500 Rüstungsarbeiter, 1.500 von ihnen Frauen. Martin Schmidt und seine Kollegen fertigten täglich mehr als 1.500 Zünder für Feldhaubitzen und Kanonen sowie 2.500 Wurfgranatenschäfte, andere Abteilungen Richtmittel, Karabiner, blanke Waffen und Kriegsfahrzeuge.
Für die Schwerstarbeit in jeweils 12stündigen Tag- beziehungsweise Nachtschichten an den Glüh- und Härteöfen, in Schmiede und Gießerei, standen den Schwerstarbeitern wöchentlich 1,5 Kilogramm Brot und 20 Gramm Fett täglich zu. Das Frühstück ihrer Kinder bestand nicht selten aus einer mitgebrachten Pellkartoffel, die winters am Ofen der Schule angewärmt wurde. Schwerstarbeitern in der Rüstungsindustrie wurde am 7. Dezember 1916 eine „Sonderzuteilung“ von 125 Gramm (!) Sirup zugebilligt.
Anders sah die „Speisenfolge des Haupt-Quartiers Ost vom 27. August 1916“ aus. Gereicht wurden: „Kraftbrühe mit Einlage; Alter Cherry; 1911er Weinheimer Riesling, 1907er Haut Brion; Eierspeise mit feinem Champignonragout; 1904er Niersteiner Auslese; Rehrücken mit jungem Gemüse umlegt; Birnen nach Regentenart; Warme Käseschnitte; Ungar uralt; Kaffee.“ Wer den Hals noch nicht voll genug hatte, für den listete die Speisefolge dieses Tages weiterhin auf: „Hecht gebraten; Kalbsrücken; Obst und div. Weine“.
Aus diesen schreienden Widersprüchen leitete sich der bei Landsern wie Rüstungsarbeitern verbreitete Spruch her: „Gleicher Lohn und gleiches Fressen, wär’ der Krieg schon längst vergessen“.
Diese Sicht verdrängte die hurrapatriotischen Hassgesänge zu Kriegsbeginn: „Serbien muss sterbien“; „Jeder Stoß, ein Franzos! Jeder Tritt ein Brit! Jeder Schuss – ein Russ“. Deutsche und französische, deutsche und russische Soldaten verbrüderten sich miteinander, verließen ihre Schützengräben nicht um einander umzubringen sondern miteinander zu reden, zu singen, Sport zu treiben. Andere Lieder kamen auf: „Wir kämpfen nicht fürs Vaterland, / Wir kämpfen nicht für Gott; / Wir kämpfen für die reichen Leut’, die Armen schießt man tot.“
Entschiedene Kriegsgegner kamen wegen ihres Widerstandes vor Militärgerichte. Postkarten mit dem Foto von Karl Liebknecht im Kreise seiner Kameraden an der Front und mit dem Verlangen nach Frieden erreichten auch Familien Dietzhäuser Kriegsgegner. Sowohl Soldaten als auch zwangsverpflichtete Rüstungsarbeiter nahmen am Aufstand in der Flotte und an der Novemberrevolution in Kiel und in Hamburg teil. Der Glaser Emil Debertshäuser kehrte erst 1921, drei Jahre nach Kriegsende und nachdem er durch einen Hungerstreik seine Entlassung erzwungen hatte, in sein Heimatdorf zurück.
Gezahlt wurde nicht nur mit dem Leben. Eine der ersten Kriegsanleihen erbrachte 4.700 Mark, bei der 7. Kriegsanleihe kamen lediglich noch 100 Mark zusammen.
Der Lebensbaum des Dorfes verkümmerte in den Kriegsjahren: 1914 registrierte der Standesbeamte 59 Geburten, 1918 waren es nur noch 29. Der Index für Löhne sank von 1914 bis 1917 durch niedrigere Stundenlöhne, längere Arbeitszeiten, höhere Abgaben und anderes um knapp 30 Punkte. Die Lebenshaltungskosten stiegen drastisch, sie verdreifachten sich zwischen 1914 und 1917.
Es reichte.
Während die Kriegsgewinne bei den Unternehmen und Unternehmern zu Buche schlugen, lagen die Kriegslasten (von den Toten und Verwundeten bis zu erzwungenem Konsumverzicht und dem Herzeleid in zahlreichen Familien) beim „Stimmvieh“ und dem „Kanonenfutter“, eine Entwicklung, die sich in den Kriegsfolgen nochmals potenzierte.
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