von Frank Burkhard
So ein Glück! Endlich habe ich morgens nicht mehr die Qual der Wahl, ob ich zur halben Stunde die neuesten Lokalnachrichten auf Radio Berlin oder Antenne Brandenburg oder lieber die Kulturnachrichten auf Deutschlandradio Kultur (DKultur) höre. DKultur-Intendant Willi Steul und sein Programmdirektor Andreas-Peter Weber haben mir die Entscheidung abgenommen. Ich höre RBB. Die beiden Herren haben sich nämlich eine Programmreform ausgedacht, deren Ziel es sein soll, DKultur als das wichtige deutsche Kulturprogramm im Radio zu etablieren. Darum wurden die stündlichen Kulturnachrichten abgeschafft und durch die üblichen politischen Nachrichten, wie man sie auf fast allen Sendern mehrmals pro Stunde hört, ersetzt. Oder durch Musik. Die ist ja auch pure Kultur!
Mit Kultur hat der deutsche Rundfunk bei vielen Sendern nicht mehr viel zu tun. „Kürzlich sagte meine Frau, sie habe den Eindruck, die Radio-Sender würden mehr und mehr von Fast-food-Ketten bewirtschaftet: überall ähnlich dürftige Zutaten, überall dieselbe Hast, um nur ja nicht die Geduld des letzten Trottels überzustrapazieren. Es stimmt, die Institution Radio verwahrlost“, stellte Jurek Becker schon vor zwanzig Jahren im Interview mit einer Radiozeitschrift fest. Weil DRadio (auch wegen der Werbefreiheit) eine löbliche Ausnahme bildet, hatte ich den Sender mehrmals täglich eingeschaltet. Doch nun?
Deutschlandradio ging ja vor 20 Jahren aus dem Westberliner RIAS, dem Kölner Deutschlandfunk und dem Deutschlandsender (DS Kultur) hervor. Letzterer stammte nicht nur aus der DDR, sondern war seit 1926 der langlebigste deutsche Rundfunksender überhaupt. Nicht selten stehen auch heute noch Hörspiele aus der DDR im Programm. DKultur hatte in den letzten Jahren die Sendereihe „Aus den Archiven“ entwickelt, in der am Sonntagmorgen eine Stunde lang unterhaltende Sendungen – Quiz, Feuilletons, Porträts, Gespräche – aus vergangenen Jahrzehnten neu vorgestellt wurden und oft zu überraschenden Einsichten führten. Wenngleich auch das RIAS-Archiv die erste Geige spielte, so wurden doch interessante Sendungen aus der DDR vorgestellt. Diese Sendereihe wanderte nun von Sonntag um acht auf Sonnabend um 5 Uhr früh. Ich werde sie vermutlich nie wieder hören.
Das abgeschaffte „Radiofeuilleton“ wurde werktags durch eine halbwegs gelungene Mischung aus Politik und Kultur und sonntags durch ein „Rätselmagazin“ ersetzt. Warum dieses so heißt, ist das eigentliche Rätsel. Die zweite Sendestunde dominiert der Klassiker „Sonntagsrätsel“ (früher „Klingendes Sonntagsrätsel“, später geschwätziges „Sonntagsrätsel“ und seit einem guten Jahr dank neuem Moderator ganz passabel). In der ersten Stunde jedoch gibt es neben viel Musik und ein paar Informationen dazu eine circa dreiminütige Hörcollage, bei der ein Begriff oder eine Person zu erraten ist. Das Kulturradio des RBB sendet ein ähnliches Rätsel zweimal täglich, ohne dass die ganze Sendung deshalb umbenannt werden würde. Mir scheint das bei DKultur eine Verlegenheitslösung zu sein.
Gefreut hatte ich mich schon auf die erhoffte Abschaffung einer Rubrik, die ich stets beleidigt weggeschaltet habe. So manche Kulturnachricht oder Buchrezension habe ich versäumt, weil ich bei der „Wurfsendung“ schnell zu anderen Sendern wechselte. Die rund 50-sekündigen Hörstücke waren entweder unverständlich oder albern und hatten selten richtige Pointen. Ich hatte das Gefühl, meine Aufmerksamkeit würde für sehr überflüssige Dinge in Anspruch genommen. Diese Tummelplätze für Ausprobierer, zu denen beispielsweise Max Goldt gehört, der hier auch nicht sein Niveau erreichte, sind aber leider nach der Programmreform beibehalten worden und unterbrechen jetzt schon das Frühprogramm.
Die einstündigen Gespräche zwischen neun und zehn Uhr, in denen ein Gast ausführlich zu Wort kommt, waren vor der letzten Programmreform ein Markenzeichen von DKultur und sind nun glücklicherweise wieder aufgenommen worden. Hier nimmt man sich noch Zeit, einen Gesprächspartner, wie den designierten Rostocker Intendanten Sewan Latchinian, über Kunst und Kultur ohne Hektik zu Wort kommen zu lassen. Auch gegen die anschließenden Literatur- und Musikmagazine ist nichts zu sagen, wenngleich man in einem Literaturmagazin nicht unbedingt die gehobene Popmusik erwartet, die auch sonst das Programm überschwemmt. Die Global Player des Musikmarkts lassen grüßen!
Die Dualität zweier terrestrisch zu empfangender Programme des Deutschlandradios hätte man besser nutzen können. Nach wie vor gibt es im Frühprogramm der Schwesterprogramme politische Berichte, Kommentare und Interviews, oft genug die gleichen, und in der 12 Uhr-Achse ist es werktags genauso. Überhaupt hat der Deutschlandfunk in Köln sein Programm nicht modifiziert. Hätte es da nicht Platz für einige „abgeschaffte“ Sendungen gegeben?
Politik und Kultur sollen bei DRadio stärker verzahnt werden, wird gesagt. Das waren sie allerdings auch im bisherigen Programm von DKultur. Aber schließlich gehört eine demokratische Kultur in die Politik. Auch in die Medien! Viele Zuschauer haben es als undemokratisch empfunden, dass sie nicht gefragt wurden, was sie gern hören wollen. Zu Zeiten des Gründungsintendanten Ernst Elitz stellten er und seine Programmdirektoren Gerda Hollunder und Günter Müchler sich mindestens einmal jährlich live den Hörerfragen. Zwar war hier besonders Lob gefragt, aber hartnäckiges Insistieren führte mitunter doch zu Änderungen. Beispielsweise mussten die Anhänger der Schellack-Zeit jahrelang kämpfen, bis vor einigen Jahren für sie wenigstens sonntags die 25-minütige Sendung „Fundstücke“ ins Leben gerufen wurde. Gerade die Redakteure Claus Fischer und Uwe Golz stellten die (teilweise aus dem reichen Rundfunkarchiv geholten) historischen Unterhaltungs-Aufnahmen immer in ihre Entstehungszeit, versäumten nicht, darauf hinzuweisen, welche Künstler von den Nazis verfolgt waren oder aber ihre Parteigänger wurden. Diese Sendung wurde ersatzlos abgeschafft – ein neues Zeichen für mangelndes historisches Bewusstsein, nachdem die einschlägige Hörerschaft schon 2012 die Einstellung des jahrzehntelang erfolgreichen Programms „Schellack-Schätzchen“ auf WDR 4 hinnehmen musste.
Programmdirektor Weber begründete die Änderungen mit dem Satz „Wir machen uns fit für die Zukunft.“ Kann man die Zukunft ohne Kenntnis der Vergangenheit gestalten? Dafür will der Sender nun „mit Musik wuchern“ … Die Sendeleiste „Tonart“ wurde auf täglich fünfeinhalb Stunden erweitert.
Die Herren Steul und Weber hört man höchstselten auf dem Sender. Hätten sie nicht die Hörer nach der Meinung fragen können? Auf dem Sender oder im Netz, wo der Dialog oft erstaunlich gut funktioniert. Die Programmreform wurde lieber anderthalb Jahre lang von „Gremien“ hinter verschlossenen Türen diskutiert. Ein nun endlich für den 21. Juni vorgesehenes Hörergespräch wurde wegen ominöser „Termingründe“ abgesagt. Hat man so viel Angst vor den Hörern? Inzwischen konnte man im Netz erfahren, dass Weber letztlich am 12. Juli Stellung beziehen will.
Besonders empört ist die Hörerschaft der Nachtsendung „2254“. Hier konnte seit rund 20 Jahren in sechs Nächten der Woche eine Stunde lang ein mehr oder minder aktuelles Thema per Telefon unter den Hörern diskutiert werden. In den Leitungsetagen war man der Meinung, dass sich hier nur ein kleiner, eingeschworener Kreis einschalten würde. Seit durchsickerte, dass das Format eingestellt werden würde, haben sich immer mehr Hörer zu Worte gemeldet, die bisher nicht anriefen: Kraftfahrer und andere Nachtarbeiter, schlaflose Senioren, Studenten, die nach ihren Abendvergnügungen DRadio einschalteten. Steul und Weber mieden, sich den Hörern zu stellen und schickten Hans Dieter Heimendahl, den Hauptabteilungsleiter Kultur, ins Studio. Er zeigte sich höchst verwundert von der Resonanz – das habe man ja nicht wissen können! Viele Hörer argumentierten, diese Plattform der öffentlichen Diskussion sei ein Stück gelebte Demokratie. Die Sendeleitung warf ins Feld, der Hörer könne ja seine Meinung auch bei Facebook oder Twitter kundtun. Ein Hohn auf die vielen Hörerinnen und Hörer im Seniorenalter, für die das Internet wie für unsere Kanzlerin „Neuland“ bedeutet! Offenbar wollen Steul und Weber das Radio als solches überhaupt ins Netz verlagern. Dort gibt es jetzt eine Online-Petition „Rettet 2254!“, aber wie dem auch sei – seit dem 21. Juni ist die Sendung erst mal weg.
Der Sendeplatz der Konzertübertragungen in der 20 Uhr-Achse wurde nicht angetastet, obwohl zur gleichen Zeit viele Kulturprogramme in den Landesrundfunkanstalten Ähnliches senden. Noch einmal Jurek Becker im Jahre 1994: „Nichts fördert die allgemeine geistige Bedürfnislosigkeit so gründlich wie ein Programm, dessen oberster Grundsatz es ist, sich nach den durchschnittlichen geistigen Bedürfnissen zu richten.“ Steul und Weber wollen mehr Erfolg – das heißt bei Ihnen mehr Quote. Dass sie dabei viele Stammhörer auf der Strecke lassen und das Programm beliebiger wird, scheint ihnen nicht aufzugehen. Dennoch ist das Angebot bei DRadio überdurchschnittlich. Noch.
Schlagwörter: Deutschlandradio Kultur, Frank Burkhard, Jurek Becker, Programmreform