von Bernhard Romeike
Als im Februar auf der alljährlichen Verunsicherungstagung zu München der bundespräsidiale Oberprediger Gauck das deutsche Volk ermahnte, in guter Wehr und Waffen „Verantwortung“ zu tragen, und ihm der SPD-Außenminister Steinmeier wie die nun für das Militär zuständige CDU-Ministerin Ursula von der Leyen voller Eifer assistierten, bekräftigte dies den allgemeinen Eindruck, mit dieser Großen Koalition werde es zügig vorangehen auf dem Wege zu neuen Großen Taten, auf dass die deutschen Waffen Respekt genießen in der Welt.
Von der Leyen hat das kürzlich noch einmal präzisiert: Deutschland solle sich künftig früher an auswärtigen Militäreinsätzen beteiligen. In der Vergangenheit sei Deutschland meist erst spät dabei gewesen und habe deshalb oft nicht die Möglichkeit gehabt, über Ziel und Zweck des Einsatzes mitzuentscheiden. Das meint: Wer früher schießt, entscheidet eher, wo hingeschossen wird, durch wen, mit welchen Waffen – und vielleicht auch zu welchem Zweck. Damit wird die Kriegsführung noch mehr zum Selbstzweck, zum Medium der Konkurrenz der kriegsführenden Mächte. Angesichts der „Ukraine-Krise“ sei die NATO „in Ostmitteleuropa schon jetzt sehr präsent“ und „hervorragend aufgestellt“, so Die Welt am 17. Mai.
Die Befragung der Bevölkerung, wieviel Krieg sie denn gern hätte, zeigt jedoch weniger Eifer. Die Körber-Stiftung hat bei der Meinungsforschungsfirma TNS Infratest eine Umfrage zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse erhielten die sinnige Überschrift: „Einmischen oder zurückhalten?“ Hintergrund der Befragung ist ausdrücklich der oben erwähnte „Appell“ von Gauck, Steinmeier und von der Leyen, „die gestiegene politische und wirtschaftliche Bedeutung Deutschlands in der Welt anzuerkennen und sich entsprechend stärker außenpolitisch zu engagieren“. Wenn man jetzt das Wort „Bedeutung“ mit Macht und hegemonialer Dominanz übersetzt, lautet der Auftrag, das Volk solle sich mit der Macht dieses Staates in Europa und in der Welt identifizieren, diese für gut befinden und folgerichtig unterstützen. So ist es aufschlussreich zu schauen, ob dieses das denn auch so verinnerlicht und tut.
Das Interesse im Lande an außenpolitischen Themen ist groß. So gaben 68 Prozent der Befragten an, sich sehr stark (12 Prozent) oder stark (56 Prozent) für Außenpolitik zu interessieren. Aber nur 37 Prozent sind „für ein stärkeres Engagement“ im Sinne der Gauckschen Aufforderung, während 60 Prozent dafür sind, Deutschland solle sich „eher zurückhalten“. Im Jahre 1994 war es genau umgekehrt: 62 Prozent sprachen sich für ein stärkeres Engagement aus, während 37 Prozent eher für Zurückhaltung waren. Dazwischen liegen der völkerrechtswidrige Jugoslawienkrieg, der unselige Krieg in Afghanistan und die verschiedenen Auslandseinsätze der Bundeswehr, bei denen niemand so recht weiß, ob sie etwas gebracht haben, und wenn ja, was. Wahrscheinlich denkt die Mehrheit der Deutschen in Bezug auf Ukraine, Russland und die Bundeswehr auch nicht daran, ob die NATO in Osteuropa „hervorragend aufgestellt“ ist. Die Wehrmacht schien am 22. Juni 1941 im Osten auch „hervorragend aufgestellt“. Und dann kamen Stalingrad und die bedingungslose Kapitulation am 8. Mai 1945.
Das wichtigste Ziel deutscher Außenpolitik ist für 51 Prozent der Befragten die Sicherung des Friedens. Dann folgen „Sicherheit“ mit 23 Prozent, „Freiheit“ mit 15 Prozent und „Wohlstand“ mit 8 Prozent. Wenn es mehrere Antwortmöglichkeiten gegeben hätte, hätten sicherlich noch mehr Menschen den Frieden oben auf die Prioritätenliste gesetzt. Dass es „Wichtigeres“ gäbe, als den Frieden – was das außenpolitische Credo der reaktionären Reagan-Regierung der USA vor dreißig Jahren war – ist der deutschen Bevölkerung auch heute nicht zu vermitteln. Das gilt nach Aussage der Befrager übrigens unabhängig von Alter, Bildungsgrad und Parteipräferenzen – was heißt, auch in der Christdemokratie und unter den Sozialdemokraten hat eine Kriegspolitik der „Verantwortung“ keine Mehrheit. Wenn es um die Mittel der Außenpolitik geht, spricht sich übrigens die Mehrheit für humanitäre Hilfe, Diplomatie sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle aus. Für Militäreinsätze der Bundeswehr und Waffenexporte – sogar nur an Verbündete – sprechen sich jeweils nur 13 Prozent aus, während 82 Prozent dagegen sind. Auch dies bedeutet, dass die Mehrheit der Wähler von CDU/CSU und SPD ebenfalls zu diesem gesamtdeutschen Friedenslager dazugehört.
Gefragt wurde übrigens auch nach den Ländern, mit denen Deutschland stärker zusammenarbeiten sollte. Da liegen die Nachbarn Frankreich (mit 79 Prozent) und Polen (mit 71 Prozent) ganz weit vorn, gefolgt von Großbritannien (63 Prozent). Auf Platz 4 folgt bereits China mit 61 Prozent, während die angeblich so befreundungswürdigen USA erst danach kommen, mit 56 Prozent, während es bei Russland – Ukraine oder Krim hin oder her – immer noch auf 53 Prozent sind.
Am Ende gibt es „Handlungsempfehlungen“. Die Körber-Stiftung will ja die operative Politik befördern. Da heißt es zunächst, die „Frage nach dem verstärkten Engagement Deutschlands“ werde in der Öffentlichkeit „zu stark mit militärischem Eingreifen assoziiert“. Es soll folgerichtig schön zivil-diplomatischer Zucker über die Militäreinsätze gestreut werden. Als sei das Volk zu blöd zu verstehen, welches militärische Spiel da seit über zwanzig Jahren gespielt wird. So heißt es denn auch in der zweiten Empfehlung: „Es sollte eindrücklicher vermittelt werden, dass Deutschlands Wohlstand und Sicherheit… von internationalen Entwicklungen abhängen und die Verfolgung deutscher Interessen unserem Land nützt.“ Der Kampfauftrag also lautet: Umerziehung der Bevölkerung; zu einer hegemonialen Position in der imperial strukturierten Welt gehört auch ein imperialistisches Bewusstsein. Deshalb, so Empfehlung Nummer drei: „Es sollte deutlicher gesagt werden, worum es geht. Hierzu gehört auch das Aussprechen unbequemer Wahrheiten.“ Was meint, Frieden sei „nicht umsonst zu haben“. Orwells Neusprech lässt grüßen: Wer Frieden will, muss Krieg führen! Das sei nicht „durch Zurückhaltung in der Außenpolitik“ zu erreichen.
Was hier vorgeschlagen wird, ist ein großangelegtes Programm zur Schaffung eines anderen Volkes. Die Gauckler sind nicht durchgedrungen. Aber vielleicht ist in diesem Lande – allen sonstigen Widrigkeiten zum Trotz – in der Frage Krieg-Frieden die Bevölkerung einfach klüger als die selbsternannten Eliten. Zumindest lässt sich das nach der Lektüre dieser Umfrage hoffen.
Schlagwörter: Bernhard Romeike, Körber-Stiftung, Meinungsforschung, Militäreinsätze