17. Jahrgang | Nummer 8 | 14. April 2014

Harts 5 in Sicht

von Heerke Hummel

Wer von Hartz 4 die Nase voll hat, der sollte Harts 5 im Auge haben. Doch keine Bange, denn die Rede ist hier nicht von einer neuen Erfindung des unseligen „Arbeitsmarktreformers“ Peter Hartz! Schöpfer von Harts 5 ist der Filmemacher Julian Tyrasa. Mit seiner Komödie lässt er uns lachen – nicht auf Kosten der durch Herrn Hartz verelendeten „kleinen Leute“, sondern zu Lasten eines Immobilienhais, der sie im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg nun auch noch um ihr soziales Betätigungsfeld in der „Räuberbande“, wie sich eine dort gelegene Kita nennt, bringen will. Dennoch kann einem sogar auch dieser Mann manchmal irgendwie leidtun, weil er in einem System und in dessen Ideologie gefesselt ist, das nicht er, sondern das ihn geschaffen hat.
Der Kneipier Tobias Hart (Fabian Böckhoff) und seine Freunde setzen sich mit allen Mitteln gegen den schwäbischen Investor Dr. Ernst Siebold (Oliver Stadel) zur Wehr, der, wo der Kindergarten steht, ein Luxus-Townhouse errichten will. Ungewollt kommt es bei diesem Kampf zu einer Kindesentführung, die der kleine Junge in diesem Fall sogar als einen Glücksfall wahrnimmt, weil er die Menschlichkeit seiner Entführer spürt und sich bei ihnen wohl fühlt. Und seine Mutter Katarina Siebold (Karoline Hugler) gesteht dem etwas schüchternen und genügsamen Hartz IV-Lebenskünstler Josef (Uli Engelmann) zu, von dem Geld eines Mannes zu leben, den sie nicht liebt; um die Frage folgen zu lassen: „Ist das etwa besser als Hartz IV?” Die Antwort, die sie erhält: „Weniger Papierkram.“
Julian Tyrasa, 41, und in Bielefeld geboren, siedelte 2001 nach Berlin-Prenzlauer Berg über, nachdem er ein Medizinstudium abgebrochen und in Köln an der Kunsthochschule für Medien studiert hatte. Da war, so sieht er das heute, dem Kiez schon die Spannung der Wendezeit im Berliner Osten weitgehend abhandengekommen. Statt abgetragener Jeans und Gitarre, so Tyrasa, waren nun Laptop und Markenkleidung Kennzeichen der kreativen Typen. Wachstumswahn hatte sich ausgebreitet und ursprüngliches Lebensgefühl dem Schnäppchen-Jagdfieber Platz machen lassen. Als J. T. mit einem Jugendfreund, der ihn gerade besuchte, seinerzeit durch die Knaackstraße schlenderte, meinte dieser: „Keiner braucht diese heruntergekommenen Häuser.“ Da läutete bei ihm eine Alarmglocke. „Doch“, antwortete er vehement, „die da wohnen!“
Schon als Vierzehnjähriger hatte er, zuerst mit der Videokamera eines Schulfreundes, Filme gedreht. Bei größeren Vorhaben plante er mit einem Drehbuch den Spannungsaufbau, gestaltete Höhen und Tiefen des Projekts. Loriot mit seinem „Ödipussi“ war ihm ein Vorbild. Tyrasa versteht sich als Praktiker. An der Kunsthochschule lehrte man ihn zwar die theoretischen Regeln des Filmaufbaus und der Drehbuchgestaltung, aber oftmals mag er sich an daraus abgeleitete starre Raster nicht halten und geriet darüber schon verschiedentlich mit Auftraggebern in Auseinandersetzungen. Was wundert‘s da, dass in ihm der Wunsch reifte, frei arbeiten zu können, ohne Rücksicht auf Wünsche, Vorschriften und Ansichten von Geldgebern, sei es aus dem privaten Kapitalmarkt, aus Stiftungen oder öffentlichen Fördereinrichtungen.
Am Berliner Prenzlauer Berg meinte Tyrasa den geeigneten Stoff für den Sprung in eine neue Freiheit – vielleicht dank jener Bemerkung seines Jugendfreundesgefunden zu haben. Mit seinem Drehbuch fand er Unterstützer: Schauspieler, die bereit waren, einfach so aus Spaß an der Freude zu arbeiten, weil es Traumrollen waren, wenn auch nur im Kleinen. Der sonstige Aufwand wurde auf das Notwendigste beschränkt. Und der Produzent selbst opferte seine Lebensversicherung, um die rund fünftausend Euro aufzubringen, die an Kosten nun mal nicht zu vermeiden waren. Man mag es kaum glauben, dass ein Zweistunden-Kinofilm mit so geringem Aufwand zu produzieren ist.
Julian Tyrasa orientiert sich gern an französischen Filmen, für die er eine besondere Vorliebe hat. Denn sie würden sich, sagt er, eher mit Andeutungen von Problemen und Sachverhalten begnügen als mit langatmigen Ausführungen dem Zuschauer alle eventuellen Fragen vorweg zu beantworten und ihm dadurch die Spannung und die Vielfalt des Möglichen in der eigenen Phantasie zu nehmen. Der Kinobesucher werde durch solch‘ filmerische Gestaltung angeregt, noch eine Weile über den Stoff nachzudenken.
Eben dieses Ziel verfolgt auch Tyrasa – mit seinem Film – neben der amüsanten Unterhaltung des Publikums. Und er erreicht es mit Dialogen wie beispielsweise dem oben zitierten. Auch mit dem Untertitel „Geld ist nicht alles“ stützt er sein und das Anliegen seiner Protagonisten, die ja im wirklichen Leben immer wieder gern mal verdächtigt werden, sich in die soziale Hängematte legen zu wollen. Dabei sind sie doch nur Menschen, denen das Geld ein Mittel des Lebensunterhalts und nicht der Zweck des Lebens ist. Uns diesen schönen, weil humanen Denkansatz auf so unterhaltsame Weise statt mit Gejammer oder schreiender Anklage nähergebracht zu haben, ist ein Verdienst dieses Films. Und dass seine Schöpfer mit ihrer künstlerischen Arbeit nicht „Wasser gepredigt, aber Wein getrunken“, sondern auf ein Honorar verzichtet und ihre Rollen aus Herzenslust gespielt haben, macht sie noch auf ganz besondere Weise sympathisch.

„HARTs 5“ – Regie: Julian Tyrasa. Die Premiere des Films fand im Herbst 2013 in Berlin statt. Ende April kommt er als DVD auf den Markt.