von Andreas Dahms
Ernst Vollbehr (1876–1960) ist ein Phänomen in seiner Zeit; rastlos unterwegs mit Skizzenblock oder Staffelei, zu Lande, zu Wasser und oftmals auch in der Luft. Und er kann was – als Fotograf, Reiseschriftsteller, Illustrator und Maler; letztere Profession beherrscht er, beherrscht ihn besonders. Im Selbstzeugnis: „Dinge wissenschaftlich, militärisch oder andere Zweige zu beleuchten, erfolgt meistens durch niedergeschriebene Worte. Ein Bild mit einer wunderbaren Farbensymphonie ergänzt das Wort. Ähnlich wie bei der Musik, die Emotionen noch zusätzlich verstärken kann.“
Als hätte er in seinem Malkasten auch eine Zeitmaschine versteckt, ist er in vier Epochen präsent:
– in der Kaiserzeit noch vor der Jahrhundertwende und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs,
– in der Weimarer Republik,
– im Dritten Reich und
– in der jungen Bundesrepublik, mit einem überraschenden „Finale“ in der DDR.
In Kiel geboren, verbringt Vollbehr Kindheit und Jugend an der Ostseeküste. Erste Stationen sind Schwerin, Wismar, Bad Doberan und Rostock. Hier erwirbt er das Rüstzeug für ein Leben voller Abenteuer – in einer Anstreicher-Firma, bei einem Hoftheatermaler und bei Kirchenrestauratoren. Es folgen Studienaufenthalte in Berlin, Dresden und Paris. Anfang des „neuen Jahrhunderts“ entwirft er mehr als ein Dutzend kunstvolle Jugendstil-Gobelins. Drei preisgekrönte Vollbehr-Bildteppiche sind heute im „Germanischen Nationalmuseum“ in Nürnberg zu sehen.
Ab 1904 geht es dann hinaus in die Welt: Albanien, Nordafrika, Griechenland und die Türkei. Erste Übersee-Aufträge lassen ihn 1907 die brasilianischen Tropen bereisen. Vollbehr produziert Bilder über Bilder und sorgt dafür, dass sie schnell bekannt werden. Rasch kommt er zu hohen Ehren. Mit 28 Jahren ist er Träger der bayerischen „König-Ludwigs-“ und der französischen „Richelieu-Medaille“.
1909/10 reist er erstmals durch die deutschen Kolonien in Afrika. Für seine stimmungsvollen, in leuchtenden Temperafarben gehaltenen Landschaftsbilder bevorzugt er weiches Morgen- und Abendlicht. Er ist ein wirklicher und nie nachlassender Frühaufsteher. „Um die Farbtöne der Natur zu erfassen, reicht eine armselige Farbpalette nicht aus.“, so der Maler, der, was er tut, mit Leidenschaft und Besessenheit tut.
Doch nicht nur die fremdartigen Landschaften, auch die dortigen, für Europäer exotischen Menschen wecken sein Interesse. „Schwarze Frauen sind anmutige Schönheiten mit graziösen, tiefbraunen Gazellenkörpern.“ O-Ton Vollbehr. Er fühlt sich zu ihnen hingezogen, kennt aber seine Grenzen. Das ist oft lebenserhaltend, bewegt er sich doch nicht selten als einziger Weißer unter Hunderten von Farbigen.
Vollbehr ist Nationalist und Monarchist, aber kein Rassist.
Seine Tätigkeit beschränkt sich nicht nur aufs Malen. Akribisch dokumentiert er seine Reisen in Tagebuchaufzeichnungen. Schon 1910 kann er die künstlerischen Ergebnisse seiner ersten Afrika-Expedition deutschlandweit ausstellen. Er beginnt seine Wanderausstellung am Berliner Reichstag.
Im Alter von 38 Jahren gerät Vollbehr erstmals in den Krieg. Mit der ihm eigenen Perfektion stellt er sich auf dieses Thema ein. Es gibt keinen vergleichbaren deutschen „Kriegsmaler“, der über so lange Zeit in vorderster Frontlinie tätig war. Statt Tropenlandschaften skizziert Vollbehr nun Kriegslandschaften, dazu Hunderte von Porträts von Offizieren und Mannschaften. Dabei scheut er kein Risiko für Leib und Leben. Idealisiert oder romantisiert Vollbehr mit seinen künstlerischen Arbeiten den Krieg? Er kennt dessen Fratze. Seine Impressionen jedoch blenden Tod und Grauen weitgehend aus.
Auch unter den außerordentlichen Bedingungen des Krieges ist Ernst Vollbehr äußerst einfallsreich. So lässt er sich 1915 in den Vogesen einen stählernen Künstlerhut schmieden, der als Vorläufer des deutschen Stahlhelms gilt. Auf diese Weise ist es ihm möglich, angesichts umherschwirrender Geschosse und Gesteinssplitter in vorderster Linie zu malen. Auch wenn der 1916 serienmäßig im Heer eingesetzte Stahlhelm dann eine separate Entwicklung ist: Vollbehr hat dazu „Pionierarbeit“ geleistet.
1916 werden Flugzeuge seine Leidenschaft. Er ist Wegbereiter der Luftmalerei und skizziert vom Fesselballon und vom Flugzeug aus. Sein Spitzname lautet „Malflugfranz“. In den Weltkriegs-Erinnerungen des Kampfpiloten Leo Leonardy „Mit der deutschen Luftfahrt durch dick und dünn“ ist Vollbehr ein ganzes Kapitel gewidmet. Es beschreibt die tollkühne und lebensgefährliche Arbeit des mehrfach unter Beschuss gekommenen Luftmalers. Mit seinen vor fast 100 Jahren entstandenen Luft- und Panoramabildern kann Vollbehr als eine Art Vater von „Google Earth“ angesehen werden.
Mehrere deutsche Fürsten verleihen ihm weitere Auszeichnungen. Von Kaiser Wilhelm II. bekommt er den hochkarätigen Hohenzollern-Hausorden. (Die Beziehungen zu dem Monarchen reißen selbst in den 1930er Jahren nicht ab, als Wilhelm längst im holländischen Exil war.)
1918, mit dem Zusammenbruch von Militär und Monarchie, kommen Vollbehr die Abnehmer für seine Weltkriegsbilder abhanden. Trotzdem arbeitet er seine Skizzen in den 1920er Jahren weiter aus. Und als „nationaler Patriot“ lehnt er attraktive Kaufangebote aus den USA dafür ab. Doch nur mühsam kann er zur Zeit der Weimarer Republik von seiner Kunst leben. So geht er wieder hinaus in die Welt – nach Java, Borneo, auf die Molukken, nach Ceylon, Indien, Burma, China, Hawaii und in die USA.
Immer häufiger widmet sich der Künstler der Industriemalerei. Sein thematisches Spektrum ist groß. 1918 zunächst Stahlindustrie; später ist er für den Wasserflugzeug-Konstrukteur Dornier und die Firma Zeppelin tätig. So begleitet er in den 1920er Jahren Bau und Erprobung eines in Friedrichshafen für die USA konstruierten Reparationsluftschiffes. Später sind auch Binnenhäfen und Binnenschifffahrt ein Arbeitsthema. Es ist faszinierend, mit welcher flexiblen Sicherheit im Stil er sich künstlerisch durch die eigentlich so widersprüchlichen Welten von Natur und Technik bewegt.
Zeitlebens ist Ernst Vollbehr ein „Fuchs der Vermarktung“ und betreibt so die Mehrfachauswertung seiner Bilder: Sie werden auf Wanderausstellungen gezeigt und als Buch- und Zeitschriftenillustrationen, Sammelmappen und Kriegspostkarten reproduziert. 1932 erscheint Vollbehrs prachtvoll ausgestattetes Buch „Das Gesicht der Westfront“. Es zeigt etliche Weltkriegsskizzen, lebt aber vor allem von den farbig reproduzierten Vogelschau-Panoramen der gesamten Westfront. Der Maler hat eine Reihe hochkarätiger Generäle als Autoren gewonnen, die kriegsgeschichtlich interessante Erinnerungen von ihren jeweiligen Frontabschnitten beisteuern. Das Vorwort von Reichspräsident Paul Hindenburg krönt die Kontakte Vollbehrs zu diesen Krteisen.
Am 30. Januar 1933 marschiert die SA durch das Brandenburger Tor. Die braunen Machthaber und ihre Ideologie sind dem Maler nicht fremd. Aus den USA zurück, macht er 1933 persönliche Bekanntschaft mit Hitler, der die Vollbehr-Kriegsbilder als historisch wertvoll ankaufen lässt. Bei den ersten Reichsparteitagen nach der Machtergreifung ist Vollbehr als Dokumentarist zugegen. Fritz Todt, der Baumeister der Reichsautobahnen, wird ein guter Freund des Malers. Rastlos ist Vollbehr Mitte der 1930er Jahre unterwegs, um das Werden des Autobahnnetzes in allen Phasen künstlerisch festzuhalten.
Durch die Dokumentation vieler prestigeträchtiger Projekte der Nazis wird er so zum Propagandisten des Systems. Auf Grund seiner nun blendenden finanziellen Situation und seiner vom Regime als positiv eingestuften politischen Haltung werden ihm bei neuen Übersee-Reisen keine Steine in den Weg gelegt. Als regimetreuer Maler kann er so Weltenbummler bleiben, nicht achtend, dass seine Förderer ebenfalls in die Welt hinaus wollen, wenn auch mit wenig friedlichen Absichten. Vollbehr reist 1935 erneut in sein geliebtes Afrika, 1936 nach Mittel- und Südamerika sowie 1937 nach Australien.
Ende der 1930er Jahre malt er als einziger Künstler die Bauarbeiten am Westwall. Seine Bilder reisen als im Berliner Zeughaus eröffnete Wanderausstellung durch deutsche Städte.
Vollbehr ist 1939 bereits 63 Jahre alt. Trotzdem treibt es ihn an die Brennpunkte des erneuten Kriegsgeschehens. Im „Polenfeldzug“ dokumentiert er 1939 das brennende Warschau. Beim Angriff auf Frankreich malt er 1940 die Flucht des englischen Expeditionskorps aus Dünkirchen und den Einmarsch in Paris. Spätere Frontreisen führen ihn nach Griechenland, Russland und Rumänien. 1942 geht es an die Eismeer-front, nach Narvik, zu den Lofoten und zum Nordkap.
1943 flieht Vollbehr aus dem von Bomben gepeinigten Berlin. Das Kriegsende erlebt er in Schleswig-Holstein. Eine neue Epoche beginnt; auch für ihn, und wiederum erfolgreich.
Schon im Sommer 1945 hat er nützliche Kontakte zur britischen Besatzungsmacht aufgebaut und kann seine erste Nachkriegsausstellung ausrichten. Wieder ist es ihm gelungen, sich mit den Mächtigen zu arrangieren. Im September 1947 wird er entnazifiziert. Es folgen erneut Ausstellungen, so in Kiel und Oldenburg. 1950 zieht der Künstler nach Marburg.
In seinen letzten zehn Lebensjahren arbeitet er im Atelier und am Schreibtisch und kümmert sich mit wechselndem Erfolg um sein Lebenswerk. Westdeutsche Museen sehen sich allerdings nicht in der Lage, die verbliebene Sammlung seiner „Weltbilder“ zu übernehmen. Da, welch‘ Überraschung: 1956 beschafft Professor Lehmann, dwer damalige Direktor des Länderkundemuseums Leipzig, 56.000 DM als Sonderposten aus dem Staatshaushalt der DDR und kauft das verbliebene Vollbehr-Gesamtwerk an. Ausgerechnet hier interessiert man sich für diese Bilder, trotz chronischer Devisenknappheit und betontem Antimilitarismus, Antifaschismus, Antikolonialismus! Alles eine Frage der Interpretation oder irgendein Kalkül? Wie und was auch immer: Heute gibt es am Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde etwa 800 Vollbehr-Originale – 100 Jahre nach dem Weltkrieg I und unter verschiedensten Aspekten der Betrachtung wert. Auch ein deutsches Künstler-Leben!
Andreas Dahms hat die Filmhochschule Potsdam-Babelsberg absolviert und arbeitet als freier Aufnahme- und Produktionsleiter im Bereich TV und Film; er lebt in Berlin.
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