von Miklós Radnóti
Verrückt, wer niederstürzt dann aufsteht, weitergeht,
als wandelnder Schmerz Füße und Knie bewegt
und trotzdem geht, als ob ihn Flügel tragen,
und vergebens ruft der Graben, zu bleiben wagt er nicht,
und wenn du fragst: warum? erzählt er noch vielleicht,
daß ihn seine Frau erwartet und ein weisrer, schöner Tod.
Verrückt! du Herzensguter, weil dort anstatt des Heims
seit langem schon versengter Wind sich spielt,
die Mauern eingestürzt, der Zwetschkenbaum zerbrochen
und angsterfüllt, geschwollen die heimatliche Nacht.
Oh, wenn ich glauben könnt’, daß nicht bloß in meinem Herz’
all das, was zählt, geborgen und eine Statt, wohin
zurück ich kehren kann ‘s noch gibt; wo, wie dereinst vorm Haus,
des Friedens Bienen summen, während Marmelade kühlt,
und des späten Sommers Stille sich sonnt in den verträumten Gärten,
die Früchte in den Kronen schaukeln nackt im Wind,
und Fanni vor der roten Hecke mit ihrem blonden Schopf
und Schatten malt bedächtig der träge Vormittag, –
vielleicht ist’s doch kein Traum! so voll lacht heut der Mond!
Mein Freund, bleib’ stehn schreie mich an! und ich werd’ weitergehn!
Bor, 15. September 1944.
(Aus dem Ungarischen von Clemens Prinz)
1944 wurde der ungarisch-jüdische Dichter Miklós Radnóti in einem Zwangsarbeitslager in Bor/Serbien interniert. Das Lager wurde im Herbst 1944 auf den Todesmarsch geschickt. Radnóti wurde am 9. November mit 21 seiner Leidensgefährten, die den Strapazen nicht mehr gewachsen waren, in der Nähe von Györ erschossen und verscharrt. Nach dem Krieg fand man in seinen Taschen die letzten Gedichte. Das an der Stelle der Mordtat befindliche Denkmal wurde am 17. November 2013 zerstört. Wenige Tage zuvor waren nach Angaben von APA bei einer von Faschisten inszenierten öffentlichen Bücherverbrennung in Miskolc auch Werke von Miklós Radnóti Opfer der Flammen geworden.
Wir danken Clemens Prinz für die freundliche Wiedergabegenehmigung.
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