von Bernhard Romeike
Etliche Sozis, kaum dass die Kanzlerin samt ihrer Entourage sie zu Sondierungsgesprächen geladen hatte, scheinen sich bereits zwei Wochen nach der Bundestagswahl kaum verhohlen auf die Ministersessel zu drängeln. Und das, obwohl in der SPD zunächst der Eindruck zu erwecken versucht wurde, die Trauben seien ihnen zu sauer. Das Damokles-Schwert des Mitgliederentscheids über die Koalition ist zwar noch nicht aus der Welt. Aber das wird Angela Merkel ihnen schon noch wegverhandeln; schließlich hatte der Sozialdemokrat Papandreou das angekündigte griechische Referendum zur Schuldenfrage auch abgesagt – nach einer entsprechenden Merkel-Intervention. Weshalb sollten die deutschen Sozialdemokraten standhafter sein? Außerdem, nur zur Beruhigung: Schlimmer, als 1914 für die Kriegskredite gestimmt zu haben, wäre das auch nicht.
Die Wahlkampagnen zur Bundestagswahl 2013 haben wieder einmal bestätigt: Eine Oppositionspartei, die die Regierungsmacht erobern will, braucht den Angriff, um das Ziel zu erreichen. Wenn sie zur Verteidigung übergehen muss, hat sie bereits verloren; dann verteidigt sie nur ihre Oppositionsposition. Das hing schon mit der Ausgangslage zusammen. Eine Partei, die die „Agenda 2010“ gemacht hat, kann nicht Wahlkampf führen und so tun, als würde sie die Folgen dieser Politik bekämpfen wollen. Und das noch mit dem Personal von damals: Steinbrück und Steinmeier waren aktive Schröder-Leute. Die verkörpern nichts Neues, sondern nur das Alte – überdies wurden auch Gerhard Schröder und Franz Müntefering zu Wahlkampfveranstaltungen reaktiviert.
Schon die Symbolik versprach kein neues Kapitel sozialdemokratischer Politik in Deutschland. Und die Signale aus den Ländern? In Thüringen und in Sachsen-Anhalt hat die SPD lieber mit der CDU regiert, als mit der Linken eine andere Politik zu versuchen. In Hessen hatte sie 2008 eher eine Verständigung mit der Linken platzen lassen, als eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin zu wählen – und damit dem rechten CDU-Mann Roland Koch qua Neuwahl 2009 zur Fortsetzung seiner Regierung verholfen. Die strategische Lage sprach im September 2013 gegen eine neuerliche Kanzlermehrheit für die SPD. Das wird auch nächstes Mal so sein, wenn die Agenda-Männer noch das politische Personal stellen und das Verhältnis zur Linken ungeklärt bleibt.
Diese selbst zu verantwortende strategische Schwäche wurde durch taktische Schwierigkeiten verstärkt, mit denen die Sozialdemokraten wie die Grünen in diesem Wahlkampf plötzlich und unerwartet von dritter Seite konfrontiert wurden und bei denen sie dabei brav stillgehalten haben. Oder hat mal jemand gefragt, warum zu welchem Zeitpunkt welche Zwangslagen entstanden, denen zu begegnen war? Das brachte jeweils die Angriffsoperationen im Wahlkampf durcheinander, zwang zur Verteidigung und hat am Ende zu der Niederlage beigetragen.
Schauen wir noch einmal auf verschiedene, scheinbar unzusammenhängende Ereignisse. Plötzlich kommt in den Medien die Erinnerung an unklare Abgrenzungen zu Pädophilen hoch, die über dreißig Jahre zurück liegen. Ja, das hatte es gegeben. Die „68er“ wollten offen sein für alle, die die verstaubten Regeln der Adenauer-BRD aufbrechen wollten. Das hatten einige Pädophile benutzt, um in politische Beschlüsse ihre Positionen einzuschmuggeln. Am Ende stand das offenbar in keinem der politisch wesentlichen Beschlüsse der Grünen, aber doch in einigen Papieren, die veröffentlicht wurden. Und für die zeichnete damals ein Jürgen Trittin presserechtlich verantwortlich. Der aber war jetzt Spitzenkandidat der Grünen für den Bundestag. Also hatte irgendjemand, rein zufällig, jene alten Dinge aus den hintersten Winkeln irgendwelcher Asservatenkammern hervorgeklaubt, entstaubt und gegen Trittin in Stellung gebracht. Als sich herausstellte, dass die Jugendorganisationen der Liberalen damals vergleichbaren Machenschaften ausgesetzt waren, ebbte die Flut zunächst ab. Dann wurde im Verlauf der Wahlkämpfe jedoch klar, dass Christdemokraten und Freidemokraten getrennt kämpfen, und die Kampagne wurde wieder hochgefahren, fokussiert auf die Grünen im allgemeinen und die Person Trittin im besonderen.
Der SPD-Kandidat Peer Steinbrück war bekanntlich etwas unbeholfen in den Wahlkampf gestartet und hatte sich mit seinen Honorargewohnheiten und deren öffentlicher Behandlung herumzuschlagen. Das war im Zeitverlauf des Wahlkampfes schließlich immer weniger von Bedeutung. Dann, als es in die „heiße Phase“ des Wahlkampfes ging, tauchte plötzlich die Unterstellung auf, er habe irgendwann illegal eine Putzfrau beschäftigt – der Saubermann hat also eine dreckige Weste. Bald wurde nachgeschoben, dies sei eine Falschaussage gewesen, und der Lügner wurde präsentiert. Aber wer um die Psychologie des Vorurteils weiß, weiß auch, dass trotz des raschen Dementis von solch einer Lüge etwas hängenbleibt.
Danach kam die öffentliche Entlarvung angeblich oder tatsächlich falsch berechneter, faktisch doppelter Einkünfte des Matthias Machnig über Jahre hinweg. Der Mann erhielt als früherer Staatssekretär im Bundesumweltministerium ein „Ruhegehalt“ und als Wirtschaftsminister im Land Thüringen ein Ministergehalt. Hier die psychologische Botschaft: Sozialdemokraten können nicht nur nicht mit Geld umgehen, sie sind auch geldgierig, betrügen den Staat und denken nur an sich – sind also völlig ungeeignet, das Land zu regieren. Der Mann ist nicht nur ein einflussreicher Sozialdemokrat, er war auch im „Kompetenzteam“ des Kanzlerkandidaten Steinbrück, einer Art „Schattenkabinett“ für die etwaige Regierungsübernahme. Ein Angriff auf den Mann Machnig richtete sich gegen die Kampagne und damit die Wahlchancen der SPD.
Die Wahlforschung benutzt gern das Wort: Amerikanisierung. Das meint oft die Art und Weise, wie Medien genutzt werden, wie Politik und Medien sich die Bälle zuspielen, dass Wahlkampagnen aufgezogen werden wie Produktwerbung für Stützstrümpfe oder eine neue Biersorte. Amerikanischer Wahlkampf ist aber auch etwas anderes. Im Team des einstigen republikanischen US-Präsidenten Richard Nixon für die Wiederwahl 1972 wurde neben dem offiziellen Wahlkampfteam eine geheime Gruppe für Spezialmaßnahmen zwecks Diskreditierung des politischen Gegners geschaffen. Intern hieß das „Rattenficken“ und ging etwa so: Will ein Kandidat in der Provinz Anhänger für sich begeistern und Geld sammeln, lädt er Honoratioren zu einem großen Essen ein. Da geht es dann sehr offiziell zu, mit schön gedruckten Einladungen und Tischkarten. Wenn man nun fingierte Einladungen an zusätzliche Personen verschickt oder dafür sorgt, dass die Tischkarten durcheinander gebracht werden und dann noch angeblich bestellte Zauberkünstler in der Veranstaltung erscheinen, die lautstark sofort ihr Geld verlangen, wird ein Dinner mit tausend Leuten zum Durcheinander und damit zum Flop. Es wurden gefälschte Presseerklärungen und Wahlwerbungen verschickt. Schließlich aber haben es Nixon und sein Team übertrieben und versucht, die Wahlkampfzentrale der Demokraten zu verwanzen, wobei sie bekanntlich erwischt wurden. Das lief am Ende auf den Watergate-Skandal hinaus, in dessen Folge Nixon als erster und bisher einziger US-Präsident zurücktreten musste.
Im Vergleich dazu sah der Wahlkampf des Jahres 2013 in Deutschland sehr gesittet aus. Aber in der Rückschau wird man dennoch das Gefühl nicht los, es muss ein klandestines Komitee für Spezialmaßnahmen gegen SPD und Grüne gegeben haben. Und wenn nicht, haben bestimmte Zahnräder in Politik, Wirtschaft und Medien so ineinander gegriffen, als hätte es ein solches gegeben.
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