16. Jahrgang | Nummer 19 | 16. September 2013

Interplanetarischer Dialog. Nachrichten aus der Debattiermaschine (XXIV)

von Eckhard Mieder

Der Redaktion des Blättchen wurde ein Dokument zugespielt, das aus dem Umfeld des Whistleblowers E. Snowden stammt. Es hat in den großen Medien der Welt und des Landes keinen Platz gefunden, weil es weder politisch brisant noch militärisch interessant und gleich gar nicht ökonomisch gewinnbringend genug ist, um zum Anlass heftiger Debatten und zum Füllsel von Seiten und Sendungen werden zu können. Das Dokument, das wir hiermit zur Kenntnis geben, gehört in den Bereich der „Wissenschaft“; es handelt sich um das Fragment eines Mitschnitts, der vom Weltraumteleskop „Kepler“ übermittelt wurde und zur Zeit in der NASA ausgewertet wird. Interessierte Leserinnen und Leser werden wissen, dass es sich bei „Kepler“ um ein Raumschiff handelt, das ins dunkle All geschossen wurde, um erdähnliche Planeten aufzuspüren. Oder überhaupt unsere Kenntnis von der Anwesenheit anderer Sterne zu erweitern, auf denen vielleicht, vielleicht, vielleicht ein uns ähnliches Gewürm existiert.
Das Blättchen riskiert die Veröffentlichung dieses Dialogs; mithin riskiert Das Blättchen gar nichts im allgemeinen Rauschen der Debattiermaschine und des Alls:
Erde: „Hallo! Ist da jemand? Hallo! Hier spricht die Erde!“
XYZ: „Die Erde? Hallo Erde! Wer bist du?“
Erde: „Hallo, du! Wer bist du?“
XYZ: „Ich? Wieso ich? Hast du dich gemeldet oder habe ich mich gemeldet?“
Erde: „Ja, entschuldige. Ich … bin die Erde. Die gute alte Erde.“
XYZ: „Die gute alte … Hä? Ich habe von dir noch nie gehört.“
Erde: „Ich von dir auch nicht. Entschuldige bitte. Aber ich rufe schon seit Jahrzehnten ins All rein. Und du bist der erste, der antwortet. Demnach bin ich ein bisschen neugierig. Wer du so bist. Wie du so heißt. Was du so machst. Wie du so aussiehst.“
XYZ: „Das interessiert dich, Erde?“
Erde: „Durchaus.“
XYZ: „Wie bist du denn drauf!“
Erde: „Wie bitte?“
XYZ: „Naja, was liegt daran, wer ich bin, wie ich heiße, was ich mache, wie ich aussehe.“
Erde: „Entschuldige! Wie es scheint, sind wir die beiden einzigen hier draußen. Ich für meinen Teil fühlte mich recht einsam.“
XYZ: „‚IchfürmeinenTeil!’ Was ist das für eine Sprache? IchfürmeinenTeil! Das klingt ja, als wärest du nicht sonderlich überzeugt von dir. Als müsstest du von dir wie von einem Fremden sprechen.“
Erde: „Das … ist gar nicht schlecht von dir gelauscht, mein Freund! Ich bin mir durchaus mitunter fremd.“
XYZ: „Ich würde mich selber nicht ‚mein Freund’ nennen.“
Erde: „Entschul…“
XYZ: „Kannst du das nicht mal sein lassen! Dieses ewige ‚Entschuldige, entschuldige!’…“
Erde: „Ent… ähm. Man hat so Gewohnheiten.“
XYZ:„Gewohnheiten? Was ist das?“
Erde: „Kennst du das nicht? Morgens aufstehen, einen Kaffee machen, sich am Hintern kratzen. Zähne putzen. Oder um es planetarischer zu sagen: Ein Wetter machen für die Menschen, mal Regen, mal ein Erdbeben. Auch Sonnenschein, gewiss, warum nicht.“
XYZ: „Menschen? Um Himmels willen! Sagtest du: Menschen?“ Erde: „Joooah. Menschen. Kennst du die?“
XYZ: „Die habe ich mir vom Halse geschafft! Vor einigen Millionen Jahren schon! Ihr Gezänk war mir über! Das ewige Gequatsche! Dass die sich nie einigen konnten. Immer gab’s einen, der sich übervorteilt fühlte. Immer gab’s einen, der neidisch war. Immer gab’s einen, der gut sein wollte und den größten Käse erzählte von Harmonie und Glauben und Demut. Und immer gab’s einen, der sich das anhörte und anschließend loszog und seinem Nachbarn den Schädel einschlug und dessen Frau vergewaltigte. Ehrlich, die waren mir über!“
Erde: „Richtige Menschen! Joooah! Und jetzt? Gibt’s keine mehr?“
XYZ: „Nö. Wozu?“
Erde: „Ich will dir nicht widersprechen, aber …“
XYZ: „Jetzt komm mir nicht mit der Krone der Schöpfung! Das vernunftbegabte Tier! Diesem ganzen philosophischen Quark! Diese Durchhalteparolen von Leuten, die einen Krieg nach dem anderen anzetteln und dabei erzählen, es sei zum Wohle der Menschheit! Jedenfalls zu Teilen! Jedenfalls zu ihrem Wohl! (lacht bitter) Wobei, das sagen die ja nicht!“
Erde: „Trotzdem. Der Mensch. Ich meine, was hat der aus mir gemacht! Ich bin eine Blume im All!“
XYZ: „Äckz!“
Erde: „Was ist?“
XYZ: „Ich kotze grade. Paar Vulkane. Paar Millionen Tonnen Schwefel und sowas.“
Erde: „Aber es ist grad ein historischer Moment, du, du … Ich und du, wir treffen uns. Wir können miteinander reden. Wir können Erfahrungen austauschen und uns gegenseitig unser Leben erzählen …“
XYZ: „Ööööckz!“
Erde: „Hallo? Geht es dir gut? Ich mache mir Sorgen, hallo?!“
XYZ (sich entfernend) : „Spinnst du? Hast du dich mal angeschaut? Von weitem siehst du blau und chic aus, aber von nahem … Also, ich bin schon hässlich, obwohl ich die Spuren der Menschen fast beseitigt habe, aber du …“
Erde: „Hallo! Haaallooooo! Manno!“