Es gibt Sätze, deren Inhalt sich einem partout nicht erschließen will. Der Satz „Lothar Bisky ist gestorben“, mit dem wir kurz vor unserer letzten Redaktionsberatung konfrontiert wurden, gehört zu solchen semantischen Konstruktionen, die wir als irreale bloße Anhäufung von Zeichen betrachten wollten. Zu unwirklich erschien uns dieser Gedanke… Lothar Bisky gehörte zu der seltenen Art Politiker, die eher in den Hintergrund versuchen auszuweichen, wenn das rote Lämpchen auf der Kamera leuchtet. Der erfahrene Medien- und Kulturwissenschaftler wusste um die Gefahren des Scheinwerferlichtes für die Charakterbildung politischer Menschen. Daraus resultierenden Oberflächlichkeiten und Getöse war er, seit er im Herbst 1989 in den politischen Strudel geriet, den zu verlassen er nie richtig die Kraft und wohl auch nicht den Willen hatte, tagtäglich ausgesetzt. Er war kein schillernder Redner, aber seine Analysen und Vorschläge waren immer hieb- und stichfest. Wir hätten ihn gerne als Autoren gewonnen. Unsere zaghaften Vorstöße wies er freundlich-resignierend mit dem Hinweis auf die Lasten seiner Ämter regelmäßig ab. Die fraßen ihn auf. Aber Lothar Bisky hatte es gemeinsam mit Gregor Gysi geschafft, die Trümmer der einstigen auch an ihrer Selbstüberhebung zugrunde gegangenen Staatspartei SED zu einer modernen und zunehmend an Akzeptanz gewinnenden, im wahrsten Sinne des Wortes „sozialistischen“ Partei zu formen. Dass diese sich mehrheitlich eben nicht in rot getönten Traumnebeln verlor, sondern mit Gewinn für dieses Land aktiv in die Gestaltung der neuen Bundesrepublik einzugreifen suchte – das gehört zu seinen bleibenden historischen Verdiensten. Nicht alle verstanden ihn, immer wieder sah er sich Anfeindungen ausgesetzt. Ihm sah man es an, wie er darunter litt. Die wütenden Attacken hybrisgeschüttelter Radikal-Linker, die sich nach der Jahrtausendwende verschärfenden Flügelauseinandersetzungen in der Linken setzten ihm körperlich ebenso zu wie die im Gürtellinienbereich angesetzten Schläge und Tritte aus den anderen politischen Lagern. Dennoch haben wir immer mit Bewunderung und Hochachtung beobachten können, wie der redliche Intellektuelle Lothar Bisky, dieser scheinbar nicht in unsere Zeit passende Sohn der europäischen Aufklärung, schier nimmermüde auf die Kraft der Vernunft und des argumentativen Ausgleiches setzte. Seine Stimme wird in den zur Unerbittlichkeit neigenden linken Debatten fehlen. Der Ton wird, fürchten wir, schärfer werden.
Wir haben Lothar Bisky gemocht. Wir sind sehr traurig.
Wolfgang Brauer
Margit van Ham
Heinz Jakubowski
Wolfgang Schwarz
Schlagwörter: Lothar Bisky