von Jürgen Scheffran
Der umfassende Atomwaffen-Teststopp-Vertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) gilt als eines der wichtigsten Abkommen zur Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, weil es die Fähigkeit eines Landes zur Entwicklung und Modernisierung von Kernwaffen entscheidend einschränkt. Da die Erprobung eine wesentliche Voraussetzung ist, um die Funktionsfähigkeit und Einsetzbarkeit nuklearer Waffen sicherzustellen, schafft der CTBT eine wesentliche Barriere auf dem Weg zur Bombe. Ziel ist, die Entwicklung und den Erwerb von Kernwaffen durch Nicht-Kernwaffenstaaten zu verhindern, und die Kernwaffenstaaten an der Weiterentwicklung ihrer Arsenale zu hindern. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die atomwaffenfreie Welt.
Seit den fünfziger Jahren war die Forderung nach einem Verbot von Kernwaffentests ein zentraler Punkt der internationalen Bewegung für die nukleare Abrüstung. Eine wichtige Rolle spielten dabei Wissenschaftler wie Linus Pauling, der dafür den Friedensnobelpreis erhielt. Neben dem Abrüstungsargument standen die Folgen von Atomexplosionen für Umwelt und menschliche Gesundheit im Vordergrund der öffentlichen Debatte. Nach dem Verbot von Kernexplosionen in der Atmosphäre im Jahr 1963 blieb das Verbot aller Atomwaffentests auf der Tagesordnung der Rüstungskontrolldebatte, wobei die Überprüfbarkeit des Abkommens zunächst umstritten war. Zunehmend wurden die technischen Mittel zur Entdeckung von Kernexplosionen ausgebaut, und Wissenschaftler konnten zeigen, dass es technisch möglich ist, unterirdische Atomtests nachzuweisen.
Nach Ende des Ost-West-Konflikts verbesserten sich die politischen Rahmenbedingungen für die Abrüstung deutlich. Mit dem INF-Vertrag, den START-Abkommen, der Chemiewaffenkonvention und weiteren atomwaffenfreien Zonen wurden wichtige Bausteine für die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen geschaffen. Der Ruf nach einem CTBT wurde unüberhörbar, und bei der Konferenz zur Überprüfung und Verlängerung des nuklearen Nichtverbreitungs-Vertrages (NVV) im Jahr 1995 galt der CTBT als wichtigster nächster Schritt auf dem Weg in eine atomwaffenfreie Welt. Diesem Ziel hatten sich alle Vertragsstaaten in Artikel VI des NVV verpflichtet, was im Abschluss-Dokument der Konferenz bekräftigt wurde.
Nach mehr als 2000 Atomwaffentests und zuletzt heftigen Protesten gegen weitere Atomversuche Frankreichs unterzeichneten am 24. September 1996 in New York 71 Staaten den CTBT, einschließlich der fünf Kernwaffenstaaten. Der damalige US-Präsident Bill Clinton beschrieb den CTBT als das „am längsten erstrebte und am härtesten umkämpfte“ Abkommen in der Geschichte der Rüstungskontrolle. Bis 2012 haben 183 Staaten den Vertrag unterzeichnet und 159 haben ihn ratifiziert. Trotz der anhaltenden Unterstützung für den Vertrag durch die internationale Gemeinschaft, die in ihm einen wesentlichen Baustein für ein nukleares Nichtverbreitungs- und Abrüstungsregime sieht, ist er aufgrund politischer Differenzen bislang nicht in Kraft getreten. Dies ist erst möglich, wenn die 44 im Annex 2 des Vertrages namentlich aufgeführten Staaten ihn ratifiziert haben. Acht dieser Staaten haben dies bisher nicht getan, darunter die USA, China und Israel. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben den Vertrag ratifiziert. Trotz der fehlenden Ratifizierung wurde die CTBT-Organisation (CTBO) in Wien geschaffen und das globale Überwachungssystem des Vertrages aufgebaut.
Nach Unterzeichnung des CTBT geriet der Abrüstungsprozess ins Stocken und kam unter der Bush-Administration in den USA nahezu ganz zum Erliegen. Die USA und andere Kernwaffenstaaten bauten ihre nuklearen Arsenale auch ohne Atomexplosionen weiter aus, unter Ausnutzung von Computersimulationen und subkritischen Experimenten. Die USA forcierten ihr Raketenabwehrprogramm und die Pläne zur Weltraumdominanz gegen Widerstände Russlands und Chinas. Mit den Atomtests von Indien, Pakistan und Nordkorea traten weitere Staaten dem nuklearen Club bei, Iran baut weiter seine nuklearen Kapazitäten aus. Der CTBT wurde nicht ratifiziert, und die geplanten weiteren Schritte wie das Abkommen über den Produktionsstopp für Kernwaffenmaterialien wurden nicht ernsthaft angegangen. Bei der Genfer Abrüstungskonferenz gab es keine weiteren Fortschritte. Es wurde deutlich, dass das Festhalten der Kernwaffenmächte an der Bombe das gesamte nukleare Kontrollregime gefährdet.
Die Ratifizierung des CTBT gilt als Test für die Ernsthaftigkeit der USA, die in Aussicht gestellte neue Bereitschaft für nukleare Abrüstung auch in die Tat umzusetzen. Obwohl er noch nicht in Kraft getreten ist, leistet der Vertrag einen wesentlichen Beitrag zum Ziel, Kernwaffenversuche weltweit zu beenden. Alle Unterzeichnerstaaten haben entsprechende Verpflichtungen erklärt und eingehalten, insbesondere die Errichtung eines effektiven Verifikationssystems. Sollte angesichts dieser politischen Bedeutung der US-Kongress dieses Abkommen ablehnen, dann verliert der weitere Abrüstungsprozess eine wesentliche Grundlage. Sollte es jedoch gelingen, den US-Kongress zur Ratifizierung des CTBT zu bringen und die noch verbleibenden Vertragsstaaten ebenfalls dazu zu bringen, dann könnte dies weiterreichende Maßnahmen befördern.
Der CTBT schränkt besonders die Waffenentwicklung bei Staaten ein, die bislang gar nicht oder nur wenig getestet haben. Dies kann als Diskriminierung durch die Kernwaffenstaaten angesehen werden, die bereits ein hochentwickeltes Arsenal haben. An der Weigerung Indiens, den Teststoppvertrag ohne die Bindung an Abrüstung zu unterzeichnen, wird deutlich, dass weitere Fortschritte den Forderungen von Entwicklungsländern nach umfassender nuklearer Abrüstung Rechnung tragen müssen. Auch Pakistan weigert sich, Verhandlungen über einen Fissile Cutoff anzugehen, weil das Land sich dadurch benachteiligt fühlt. China und Russland schließlich sehen die anhaltenden Bestrebungen der USA für eine Modernisierung der Kernwaffenarsenale, den Aufbau einer Raketenabwehr und zur Schaffung einer Weltraumdominanz als Versuch, einseitige Überlegenheit zu gewinnen.
Ohne substanzielle Einschnitte bei den großen Kernwaffenstaaten werden aufstrebende Mächte ihre Kernwaffenpotenziale daher auf Dauer nicht einschränken lassen. Dies kann nur im Rahmen umfassender nuklearer Abrüstungsverhandlungen gelingen, mit dem Ziel eines Abkommens zum Verbot und zur Beseitigung aller Kernwaffen. In Ergänzung zur Biologiewaffenkonvention und zur Chemiewaffenkonvention würde eine Nuklearwaffenkonvention (NWK) das Verbot aller Massenvernichtungswaffen vervollständigen. Verhandlungen über eine NWK könnten den Rahmen bilden, um alte und neue Elemente des nuklearen Kontrollregimes zu einem konsistenten Gesamtkonzept zusammenzufügen und einen Gegensatz zwischen schrittweiser und umfassender Abrüstung zu vermeiden.
Von zentraler Bedeutung für die Wirksamkeit eines nuklearen Abrüstungsprozesses ist die Ausarbeitung spezifischer Verifikationsmaßnahmen, die heimliche Aktivitäten im gesamten Entwicklungsprozess von Kernwaffen mit ausreichender Sicherheit entdecken können. Dabei kann auf dem einzigartigen Überprüfungssystem des CTBT aufgebaut werden. Das Internationale Überwachungssystem umfasst ein weltumspannendes Netz von 321 Messstationen, von denen bereits über 60 Prozent in Betrieb sind, und 16 Laboratorien. Hierzu gehören Sensoren für alle Testmedien (Erdkruste, Atmosphäre, Weltmeere) und vier verschiedene Messtechniken (Seismik, Radionuklidmessungen, Infraschall und Hydroakustik). Damit hat die Organisation des CTBT (CTBTO) schon heute die Fähigkeit, selbst kleinere unterirdische Nukleardetonationen weltweit nachzuweisen. Die Informationen aus aller Welt werden im International Data Centre (IDC) im Hauptquartier der CTBTO zusammen geführt und ausgewertet, um daraus geeignete Maßnahmen abzuleiten, insbesondere die Durchführung von Ortsinspektionen. Ein Konsultationsprozess dient zur Klärung strittiger Fragen. Zu den besonderen Eigenschaften des CTBT-Verifikationsregimes gehört, dass es ein globales und multilateral strukturiertes Sensor-Netzwerk umfasst, das sehr zuverlässig und effizient arbeitet. Die Daten, Ergebnisse und Kapazitäten werden jedem Unterzeichnerstaat zugänglich gemacht und sollen auch dem zivilen und wissenschaftlichen Sektor zugute kommen, insbesondere der Katastrophenfrühwarnung. Das Verifikationssystem des CTBT kann als Vorbild für die Verifikation eines nuklearen Abrüstungsabkommens dienen, das die Beseitigung aller Kernwaffen und die Verhinderung neuer Kernwaffenentwicklungen überprüfen soll.
Jürgen Scheffran ist Professor am Institut für Geographie der Universität Hamburg und leitet die Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit am KlimaCampus Hamburg.
Schlagwörter: Abrüstung, Atomwaffen-Teststopp-Vertrag (CTBT), Jürgen Scheffran, Überwachungssystem