von Eckhard Mieder
Mitunter meldet sich der Pensionär Norbert Blüm zu Wort. Etwa veröffentlichte die FAZ am 27. Juni unter „Berufsbedingt überheblich“ seine Meinung über den Berufsstand Richter. Blüm stellte ein paar Fragen, die vom Geplappere und Geklappere der Debattiermaschine übertönt werden – wie so viele redliche Fragen, die das Grundverständnis von Demokratie betreffen.
Warum Kritik an Richtern ein Tabu sei, fragt der Bundesminister a. D.
Warum Richter „Unangreifbarkeit“ beanspruchen, fragt er auch.
Zur „Urausstattung der freiheitlichen Gewaltenteilung“ gehöre die „Unabhängigkeit der dritten Gewalt“; doch „gehören zu dieser Unabhängigkeit auch die Freiheit von Kritik und der Verzicht auf Rechtfertigung“? – ist so eine weitere Frage des Mannes, von dem ich mal in einer Quak-Show hörte, er schreibe auch Kinderbücher für seine Enkel. Richtiger Märchen-Großpapa, dieser Blüm, oder?
Mal zirpen die egozentrischen Grillen eines bayerischen Richters in den Spalten der Presse. Mal urteilt ganz offensichtlich falsch und voreingenommen ein Richter und bringt einen Mann für Jahre in die Psychiatrie. Mal ist es im fernöstlichen Eisenhüttenstadt eine Amtsrichterin, deren Voreingenommenheit gegen Asylbewerber sogar die Staatsanwaltschaft beschäftigt. Dann wieder soll es ein ganzer Sumpf in Sachsen sein, aus dem die Blubberblasen von Kungelei und Kameraderie steigen. Ganz sicher sind all diese Beispiele nur die sichtbar gemachten, weil spektakulären. Man muss nicht paranoid sein, um sich als Bürger eines Rechtsstaates blümerant zu fühlen; was mag sonst so vorgehen hinter den geschlossenen Türen der richterlichen Gewalt.
Denn das häuft sich, wenn man mal drauf achtet. Oder häuft es sich, weil man darauf achtet? Oder fällt es mir auf, weil ich grad über einigen Kilo Akten eines Falls im Baurecht sitze, von dem ich anfänglich arg wenig verstand. Es dauerte, bis ich mich in der Begriffswelt der Justiz halbwegs zurechtfand und nicht mehr ganz orientierungslos durch das Labyrinth der Klagen, der Revisionen, der wechselnden Instanzen, der Unterlassungen, der Forderungen, der Zwangsvollstreckungen wieselte. In diesem für einen Laien kaum durchschaubaren, unbarmherzig geführten Interessenkampf. Zumal, wenn, wie in diesem konkreten Fall, viel Geld eine Rolle spielt. Und Geld sowieso vonnöten ist. Und der eine hat mehr Schotter als der andere. Und wenn es auch Regeln gibt, die niemanden vor Gericht finanziell von vornherein auf die Position des Schwächeren stellen sollen …
Und es sind die Richter, die mehr als man meint, in den Formulierungen ihrer Bescheide oder Urteile plötzlich menschlich aufscheinen. Menschlicher als man meint. Im Guten wie im Groben.
Nun ist möglicherweise neben dem Wetter, den Nachbarn und dem Verfall der Sitten die Justiz das Thema, das zum allgemeinen Parlieren reizt. Der Volksmund schäumt, wenn der so genannte gesunde Menschenverstand ihm signalisiert, dass ein Urteil sowas von daneben ist! Oder mal wieder die Kleinen gehängt werden und die Großen davonkommen! Wenn Deals gemacht und Vergleiche geschlossen werden zwischen Richtern und Anwälten, um sich langwierige Prozesse zu ersparen …
Vor allem sind es die Richter und die Richterinnen, deren Nimbus provoziert. Dass es jemanden geben soll, der bodenständig, lebensklug, paragraphensicher doch empathisch auf den ätherischen Flügeln eines Alles überschauenden Wesens über Verfahren und Konflikten schwebt –, dass es jemanden geben soll, dessen Robe das Gewand nahezu himmlischer Gerechtigkeit sei und dessen Rede der Wohlgeruch des Überparteiisch-unabhängig-Wichtenden entströme – „ey, Alter, bei dir piept’s wohl? Daran glaubt doch keine Sau!“ (O-Ton meines Freundes Johannes Tütenholz, der entrüstet und angetrunken einen Strafbescheid des Ordnungsamtes zur Kenntnis nehmen musste und sogleich von der konkreten Geldstrafe in die Allgemein-Wut sprang.)
Glauben. Nun ja, nun doch. Nicht-Glauben. Muss ja, muss wohl. Muss nicht, sollte aber. Was?
Dass die Unabhängigkeit des Richters ein „hehres Rechtsgut“ sei, wie mir neulich erst ein pensionierter Rechtsanwalt versicherte, gehört gewiss zu den Selbstvergewisserungen all derjenigen, die an den Rechtstaat glauben und ihn vertreten. Schließlich werde er (der Richter) auch angemessen bezahlt, versicherte er mir zudem. Und wahr ist, dass sich so harmoniesüchtige Burschen, wie ich einer bin, ein paar Verlässlichkeiten wünschen. Es ist schließlich irritierend, man gerät ins Zweifeln, wenn sich die Beispiele bizarr auftretender Richter und Richterinnen häufen.
„Kann es sein, dass solche Skurrilitäten mehr sind als nur Marotten? Dass sie symptomatisch sind für die amtgemachte Überheblichkeit, die Richter vergessen lässt, dass sie ihre Urteile im Namen des Volkes fällen?“ Fragt Norbert Blüm.
Leider: Es gehört zu den Eigenschaften der Debattiermaschine, dass ihr lautes Tönen auch ihr Verschweigen ist; dass sie, je lauterer sie dröhnt, umso schneller verhallt; dass nichtsdestotrotz jeder und jede sagen kann: „Aber wir haben es doch gesagt! Wie es sich in einer Demokratie gehört! Niemand kann uns vorwerfen, es sei nicht öffentlich gemacht worden! Ja, habt ihr’s denn nicht vernommen?“
Ganz blümerant wird mir da.
Schlagwörter: Debattiermaschine, Eckhard Mieder, Norbert Blüm, Richter