von Manfred Orlick
Es gibt Berufe, die können recht undankbar sein. Fußballtrainer wäre da an erster Stelle zu nennen. Gewinnt seine Mannschaft den Meisterschaftstitel, wird er auf Händen getragen. Ist der Verein jedoch abgestiegen, dann ist der Trainer der erste, der gefeuert wird. Ja, so ein Trainerleben ist nicht leicht.
Nun mag man es nicht glauben, aber die Tätigkeit eines Rezensenten ist ähnlich undankbar. Ich spreche da aus eigener jahrelanger Erfahrung, wobei ich damit nicht einen Cent verdiene – alles nur aus Liebe zur Literatur und zu den Büchern.
Meist rezensiere ich belletristische Neuerscheinungen und dabei bin ich meist ein sanftmütiger Kritiker. So rezensierte ich vor einiger Zeit einen Roman, der mir tatsächlich gefiel, sehr wohlwollend – lobte seine spannende Handlung und die Charakterzeichnung. Am Ende vergab ich das Prädikat „Sehr gut“ (vier Punkte). Bald darauf erhielt ich jedoch eine äußerst bitterböse E-Mail mit der wütenden Frage: Warum ich keine fünf Punkte („ausgezeichnet“) vergeben hätte? Nun weiß ich nicht: War es ein enttäuschter Leser oder der erboste Autor selbst. Ich antwortete nur lakonisch: fünf Punkte sind bei mir für Shakespeare, Goethe, Schiller & Co. reserviert.
Die Rezension von Lyrik ist ebenfalls ein unwägbares Minenfeld, denn hier gehen die Ansichten noch weiter auseinander. Außerdem werde ich dabei immer an die gehassten Gedichtinterpretationen während der Schulzeit erinnert: Was will uns der Dichter damit sagen?
Also habe ich mich mit der Rezension von Sachbüchern versucht. Bei Nachschlagewerken und Ratgebern beurteilt man Übersichtlichkeit, Aktualität, Schreibstil, Gestaltung, Illustration usw. … so meine Annahme. Da gibt es keine Fettnäpfchen. Bereits bei meiner ersten Sachbuch-Rezension, einem Fahrradführer über unsere Region, wurde ich eines Besseren belehrt. Nach meiner positiven Rezension meldete sich ein grimmiger Biker und machte mich auf ein paar Fehler in dem Radführer aufmerksam: Dort muss man links abbiegen … und da stimmt die Entfernungsangabe nicht. Entrüstet fragte er an: Ob ich die Touren nicht abgefahren wäre? Meinen Hinweis, sich an den Autor zu wenden, ignorierte er – er hatte seinen Prügelknaben gefunden.
Ähnlich erging es mir mit der Rezension eines medizinischen Ratgebers einer bekannten Fernsehmoderatorin, die ein Buch über „sanfte Medizin für Kinder“ herausgegeben hatte. Meine ausführliche Rezension weckte allerdings den Zorn eines anderen Autors, der ebenfalls über diese Thematik publiziert hatte. Meine Bitte, die fachlichen Diskrepanzen mit der Autorin zu klären, schlug jedoch fehl: ich war zum Sündenbock, ja zum Handlanger geworden. Ich hatte aber absolut keine Lust, all die Fieberwickel, Teemischungen und homöopathischen Mittel vorher an meinem Enkelkind auszuprobieren.
Seit geraumer Zeit bin ich mit der Rezension eines Kochbuches beschäftigt. Gestern fragte der Verlag höflich, aber mit Nachdruck an: Wann denn mit meinem Text zu rechnen sei? Ich bat um Verständnis: Ich bin erst auf Seite 37 bei gefüllter Kalbsbrust, morgen gibt es Eisbein mit Sauerkraut und am Wochenende Königsberger Klopse. Bitte noch etwas Geduld, in sechs Wochen habe ich sicherlich alle Rezepte nachgekocht. Na dann Guten Appetit!
Schlagwörter: Manfred Orlick, Rezension