Ein Protest von Oskar Maria Graf
Wie fast alle links gerichteten, entschieden sozialistischen Geistigen in Deutschland, habe auch ich etliche Segnungen des neuen Regimes zu spüren bekommen:
Während meiner zufälligen Abwesenheit aus München erschien die Polizei in meiner dortigen Wohnung, um mich zu verhaften. Sie beschlagnahmte einen großen Teil unwiederbringlicher Manuskripte, mühsam zusammengetragenes Quellenstudien-Material, meine sämtlichen Geschäftspapiere und einen großen Teil meiner Bücher. Das alles harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung. Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und – was am Schlimmsten ist – die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem Konzentrationslager zu entgehen.
Die schönste Überraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut „Berliner Börsencourier“ stehe ich auf der „weißen Autorenliste“ des neuen Deutschlands, und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes „Wir sind Gefangene“, werden empfohlen: Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des „neuen“ deutschen Geistes zu sein!
Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient?
Das „Dritte Reich“ hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht.
Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten und den Begriff „deutsch“ durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden.
Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer „Geistigen“ zu beanspruchen, mich auf ihre so genannte „weiße Liste“ zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann!
Diese Unehre habe ich nicht verdient!
Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen.
Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!
Alle anständigen Zeitungen werden um Abdruck dieses Protestes ersucht.
Oskar Maria Graf
Oskar Maria Graf: Werkausgabe, Band XII „An manchen Tagen“. © 1994 List Verlag in der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Schlagwörter: Bücherverbrennung, Oskar Maria Graf