von Frank Burkhard
Kultur in die Provinz tragen – diesem hehren Ziel haben sich die Enthusiasten verschrieben, die im Grenzland von Polen, Tschechien und Deutschland das Neiße-Filmfestival organisieren. Mit einem minimalen Budget schaffen sie es, ausgehend vom „Kunstbauerkino“ in der 1500-Seelen-Gemeinde Großhennersdorf für fünf Tage (oder auch mehr) kleine und mittlere Städte und Gemeinden im Dreiländereck wie Zittau, Görlitz, Zgorzelec, Ebersbach, Varnsdorf, Hrádek, Bogatynia oder Bad Muskau miteinander in der Begeisterung für Filme (und ein wenig auch für Musik) zu verbinden. Die Festivalleiter Andreas Friedrich und Antje Schadow arbeiten ebenso ehrenamtlich oder gegen geringe Aufwandsentschädigungen für das Festival wie alle anderen Mitarbeiter, die häufig in sozialen Berufen tätig sind und für das Festival ihren Urlaub opfern.
Herzstück des Festivals ist der Spielfilmwettbewerb mit Filmen der drei Grenzländer. In diesem Jahr, da thematische Schwerpunkte bei Balkan und Sinti & Roma lagen, vervollständigte erstmals „Pharmakon“, der diesjährige albanische Bewerber für den Auslands-Oscar, den Wettbewerb. Den „Teddy“ der Berlinale hatte 2013 bereits Małgoska Szumowskas „W imie…“ (Im Namen des Herrn) gewonnen, der die bittere, letztlich optimistische Geschichte eines homosexuellen Priesters und seiner Selbstfindung erzählte. Ihn spielte Andrzej Chyra, der bei der Preisverleihung im tschechischen Varnsdorf als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, während der Film strahlender Wettbewerbssieger war.
Auch der Dokumentarfilmwettbewerb war von unterschiedlichen Handschriften und brisanten Themen gekennzeichnet. Beispielsweise beobachteten Leopold Grün und Dirk Uhlig in „Am Ende der Milchstraße“ Bewohner eines mecklenburgischen Dorfes, einer Region, die in mangelnder Kaufkraft der in Ostsachsen (mit der bundesweit höchsten Arbeitslosigkeit) in nichts nachsteht. Ein nachdenklicher und nachdenkenswerter Film!
Auf ganz andere Weise nachdenklich war „Bahnsteig 1: Rückfahrt nach Flatow“ von Thomas Grimm und Andreas Kossert, die den Dokumentarfilmpreis erhielten. Die Spurensuche der beiden letzten Zeugen der Flatower jüdischen Gemeinde in Westpreußen ist ein bewegendes, von nachdenklicher Reflexion und herzlichem Humor der beiden Männer getragenes Erlebnis.
Zu den für ein noch nicht ausreichendes Zuschauerpotential doch zu vielen Nebenreihen zählten ein Kurzfilmwettbewerb, das Kinderkino, mehrere Werkschauen, Filme der Aufarbeitung der sozialistischen Ära und eine kleine DEFA-Retrospektive. Da konnte man schon freudige Entdeckungen und Wiederentdeckungen machen, beispielsweise einen Einblick in die Arbeitsweise des ungarischen Regie-Altmeisters Miklós Jancsó (91) nehmen oder SPD-Politiker Wolfgang Thierse als Filmemacher begegnen. Er war Autor und Kommentator bei Karlheinz Munds Künstlerfilm „Stadtlandschaften“, und das war nicht Thierses einziger DEFA-Film. Wenn er demnächst aus dem Bundestag ausscheidet, hat er eine Profession, auf die er zurückgreifen kann. Während einige Filme nur Festivalbesuchern begegnen, sind andere im Kinoprogramm zu finden. „Sofias letzte Ambulanz“ ist ein bulgarischer Dokumentarfilm, der ein Rettungsteam bei seiner Arbeit begleitet und viel über den gegenwärtige Zustände erzählt – ein Blick, der oft bitter ausfällt. Der Film von Ilian Metev gewann den Publikumspreis des Festivals und hat einen kleinen deutschen Verleih gefunden. Fragen Sie danach in ihrem Programmkino! Es lohnt sich.
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