16. Jahrgang | Nummer 8 | 15. April 2013

Vom Kampf gegen Windmühlen

von X.Y.*

In diesem Beitrag geht es um den fast aussichtlosen Kampf gegen Behörden, Gerichte sowie um die starrsinnige Geisteshaltung der Politik im Bereich Bildung. Es soll aufzeigt werden, wie Menschen von „höherer“ und „stärkerer“ Seite behandelt und gezwungen werden, in die „Existenzlosigkeit“ zu gehen. Vielleicht ein wenig drastisch ausgedrückt, aber dem Empfinden der Betroffenen kommt dieser Terminus doch recht nahe.
Im Jahr 1999 tagten die Bildungsminister der EU-Staaten in Bologna, der ältesten Universität Europas, und beschlossenen die Bologna-Reform. An sich ein guter Gedanke, die Vergleichbarkeit der europäischen Hochschulabschlüsse zu ermöglichen, wäre da nicht das Problem der Umsetzung. Die erfolgte nach dem Gießkannenprinzip, und schließlich waren Viele Beteiligten und nahezu alle Betroffenen – Hochschulrektoren, vor allem aber die Studenten als in erster Linie Betroffene, die Verwaltung durch den erhöhten Aufwand et cetera – mit Ausnahme der Politiker, fast ist man versucht zu sagen natürlich, die denn sind nicht betroffen von dem, was sie in die Welt gesetzt haben. So ist es immer.
Nach dem Beschluss von Bologna, der übrigens nichts von der Einführung eines Bachelor-Master-Systems beinhaltet, war es Aufgabe der Hochschulen, die Reform zu implementieren; mit gravierenden Folgen. Jede Hochschule stellte um, wie es ihr gefiel, während Studenten noch in ihren alten Studiengängen auf Staatsexamen, Diplom und Magister studierten, wie ich damals in meinem Magisterstudiengang. Als Ersatz für den wurde dann der Bachelor eingeführt, der einen schlechteren, weil niedrigeren Berufsabschluss darstellt; erst der anschließende Master wäre etwa gleichwertig mit einem alten Studienabschluss. Der Master ist allerdings zulassungsbeschränkt ist, so dass dadurch den Studenten eine zusätzliche Hürde zugemutet wird und damit eine an sich unzumutbare Härte. Das jedoch interessiert offenbar keinen der Verantwortlichen.
Das ist aber nur ein Problem von zahlreichen des Bachelor-Master-Systems. Experten nennen weitere – zum Beispiel Professor Bernhard Kempen, der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Er sagte in der Sendung Monitor vom 26.04.2012 zum Bachelor folgendes: „Studiengänge, die überfrachtet sind, Studierende, die überfordert sind, Dozenten, die frustriert sind und am Ende Absolventen, die keinen geeigneten Job am Arbeitsmarkt finden. Das ist die Realität. Bei dem Mobilitätsziel müssen wir konstatieren, dass unsere Studierenden weniger mobil sind denn je zuvor. Heute ist es sehr schwer, einen Studenten im dritten Semester auch nur von Köln nach Bonn zu schaffen. Versuchen Sie den mal von Köln nach London oder nach Lissabon zu bringen. Da werden Sie sehen, welche Erfolge wir mit der Reform hatten. Die Studierenden bewegen sich heute wirklich wie der Hamster im Laufrad, wie auf einer permanenten Hatz nach irgendwelchen Zwischenpunkten, so genannten ECTS-Leistungspunkten, die sie brauchen, um am Ende das Studium zu absolvieren. Das hat mit dem, was wir uns unter wissenschaftlichen Studien vorstellen, herzlich wenig zu tun.“ Und Professor Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, sagte im selben Bericht: „Es ist eines der großen Probleme, dass der europäische Prozess des Zusammenwachsens, für den die Mobilität der Studierenden gedacht war, dass dieser Prozess nicht in Gang gekommen ist durch den Bachelor-Master-Reformprozess.“
Noch einige weitere Stimmen? Kein Problem – Dr. Achim Hofmann, Deutsche Physikalische Gesellschaft: „Das zentrale Ergebnis war, dass eigentlich die meisten Unternehmen lieber einen Master einstellen würden als einen Bachelor.“ Der Bachelor sei nicht richtig akzeptiert.
Professor Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a.D.: „Also ich denke in der Tat, dass es einfach zum Realitätsprinzip gehört, dass man sich die Dinge nicht schönredet. Und wenn Reformen, die gut gemeint sind, gemeint waren, jedenfalls überwiegend, ihre Ziele nicht erreichen, dann muss man das korrigieren. Und nicht lange drumherum reden und schönreden und Statistiken […] fälschen will ich nicht sagen, aber Statistiken […] sehr einseitig interpretieren, wie das jetzt über Jahre hinweg üblich war.“
Mathias Brodkorb, Kultusminister Mecklenburg-Vorpommern: „Es wird ja viel in der Politik über Lobbyarbeit gesprochen. Davon bin ich hier im Landesparlament von Mecklenburg-Vorpommern weitgehend verschont geblieben. Aber als wir über das Diplom wieder diskutiert haben, da sind hier Dinge passiert, von Bundesebene, Bundesvereinigung und sonst was, die versucht haben, […] die Abgeordneten zu gängeln oder ihnen vorzuschreiben, wie sie zu entscheiden haben, das war schon beispielhaft. Wenn man sich mit Kollegen, Wissenschaftsministern unterhält unter vier Augen, sehen es viele, viele sehr kritisch. Aber es gibt kaum solche, die dann auch in der Öffentlichkeit sagen, das schaffen wir wieder ab oder das ist Unfug. Man darf eines nicht vergessen, an diesem Projekt Bologna-Reform sind Tausende Menschen in diesem Land beteiligt, die seit Jahren das befördern und auch allen erklärt haben, das ist besser, als das was wir hatten. Jetzt stellt sich heraus, das ist nicht so. Und diese vielen tausend Menschen müssen bereit sein zu sagen, oh, wir haben uns geirrt, das war ein Fehler. Das müssen wir heute einsehen. Und ich glaube, dieses Eingeständnis zu formulieren, fällt vielen nicht ganz leicht“.
Zudem muss erwähnt werden, dass die Hochschulen durch die alten Magisterstudiengänge zum Beispiel weniger Verwaltungsaufwand hatten, da Anmeldungen für Prüfungen in geringer Zahl notwendig waren. Völlig absurd wird es, wenn betrachtet wird, dass Studenten in neuen und alten Studiengängen zusammen studieren, weswegen sich die Frage aufdrängt, worin eigentlich der Aufwand bestände, beide Studienarten parallel weiterlaufen zu lassen, denn jetzt kommen wir zu dem Kernproblem: Es gibt eine Auslaufordnung für alte Studiengänge, mit der Studenten gezwungen werden sollen, in neue Studiengänge zu wechseln; das Zwangsinstrument ist die Zwangsexmatrikulation, wenn der Student den Wechsel verweigert.
Damit ist ein System etabliert worden, dass eines demokratischen Staatswesens unwürdig ist und inhumane Härtefälle wie am Fließband produziert, denn andererseits stellt es keinen Aufwand dar, Studenten bis zum Abschluss in ihren alten Studiengängen zu belassen, vor allem, wenn sie eine Semesterzahl haben, die im einstelligen Bereich liegt und der Regelstudienzeit entspricht, die Prüfungen nur mit anderem Namen weiterlaufen, kaum inhaltliche Veränderung in den neuen Studiengängen zu verzeichnen sind und ein Großteil der Studienprüfungen bereits erledigt ist. Solchen Studenten aufzuzwingen, in einen schlechteren Studienabschluss mit schlechteren Studienbedingungen zu wechseln oder die Zwangsexmatrikulation und damit Hartz IV in Kauf zu nehmen, halte ich für zynisch. Im gesellschaftlichen Interesse liegt so ein Handeln nicht.
Besonders prekär wird es in Situationen wie meiner, wenn Zulassungsbeschränkungen, Einschränkungen von Fächerkombinationen, Zusammenlegungen von Fächern mit neuen Prüfungsanforderungen und Wegfall von Fächern einen Wechsel der Studienrichtung unmöglich machen und somit die einzige Alternative zu Hartz IV ein erneuter Studienbeginn an einer anderen Fakultät darstellt, obwohl nach Härtefallordnung durchaus eine Fortsetzung des Studiums möglich war. Auch wird staatliche Unterstützung schwieriger, da der Bachelor als Zweitstudium gilt und weniger gefördert wird, womit die soziale Härte einen zusätzlichen Grund zur Weiterführung des Studiums darstellt. In meinem persönlichen Fall traten überdies gesundheitliche Probleme auf, die einen Fortgang des Studiums nur eingeschränkt zuließen.
Alle diese Gründe werden hier an der Universität Köln überhaupt nicht akzeptiert, obwohl sogar die Verordnung zur Sicherung der Aufgaben im Hochschulbereich und zur Umsetzung der Studienstrukturreform besagt, dass jedem Studenten die Regelstudienzeit plus vier Semester gewährt werden muss.
Zum Kampf gegen Windmühlen kommt es letztlich, weil die Bildungspolitik sowie die Universität und vor allem auch das Verwaltungsgericht Köln die Auslaufordnung offenbar als sakrosankten Katechismus ansehen und Einwände oder Klagen nicht akzeptieren. Ich habe gegen meine Zwangsexmatrikulation geklagt, aber allen vernunftgemäßen Argumenten steht die ablehnende und vorurteilsgeladene Meinung der Richter gegenüber. Das VG Köln sieht sich als Abfertigungsmaschinerie und weist Klagen in diesen Angelegenheiten einfach ab. Der Glaube an die Rechtsstaatlichkeit bleibt dabei als erstes auf der Stecke und anschließend der Betroffene.

* – Der Autor ist Student der Universität zu Köln, möchte seinen Namen, der der Redaktion bekannt ist, aber nicht genannt wissen.