von Heerke Hummel
Wieder hat sich mit Thomas Fricke ein Star-Journalist (Deutsch-Französischer Journalistenpreis 1998, von 2002 bis 2012 Chefökonom der Financial Times Deutschland und seit 2009 auch Chefökonom der Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr) mit einem Buch über die Finanzkrise zu Wort gemeldet. Dessen Titel Wie viel Bank braucht der Mensch? Raus aus der verrückten Finanzwelt lässt gründliches Umdenken erwarten.
Leser, die enttäuscht sind, nachdem sie im ersten Teil (Vom Traum globalisierter Märkte zum großen Albtraum?), kaum Neues erfahren haben, sollten das Buch an dieser Stelle auf keinen Fall aus der Hand legen. Denn nun geht es wirklich zur Sache, wird gezeigt, „warum es ohne Bankenwahn besser ginge“. Und es wird „ein Aktionsplan für den Bankenausstieg“ entwickelt. Dieser umfasst:
1. Eine Finanztransaktionssteuer als Grundausstattung, um Wogen und Treiben an den Märkten zu bremsen.
2. Ein neues Weltwährungssystem, das die guten wie schlechten Erfahrungen der Nachkriegszeit berücksichtigt.
3. Einen Stoppmechanismus für Exzesse beim Handel mit Staatsanleihen – nach dem Leitmotiv: Mit Demokratie spielt man nicht.
4. Ein Kapriolenschutz für Rohstoffmärkte – nach dem Grundsatz: Mit Essen spielt man nicht.
5. Und vor allem ein System automatischer Korrekturen als Mittel gegen gefährliche Euphorie- und Panikattacken – und Ersatz für die (nach Meinung seiner, Frickes, Kritiker) fehlende stabilisierende Spekulation.
6. Dazu eine Bonusreform für Geldhändler.
Fricke favorisiert eine „Rückkehr zu einem Weltwährungssystem mit begründbar festeren Kursen“ unter Berücksichtigung von „Tücken und Mängeln des Bretton-Woods-Systems der Nachkriegszeit“, wobei „nicht wie einst eine einzelne Währung wie der Dollar de facto zur Reservewährung wird“, sondern „statt des Dollar sollte als Reserve künftig eine eigene Recheneinheit fungieren“. Derartige Vorschläge gebe es bereits, darunter vom chinesischen Notenbankchef Zhou Xiaochuan aus dem Jahre 2009 sowie von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und dem Pariser Ökonomen Jean-Paul Fitoussi. Ein solches System könnte seiner Ansicht nach dank automatischer Kursanpassungen bei Überschreiten bestimmter ökonomischer Parameter (zum Beispiel Inflationsrate), die das Auseinanderdriften beteiligter Volkswirtschaften anzeigen sollen, „den Vorteil stabiler Kalkulationsgrundlagen mit der nötigen Flexibilität … kombinieren“. Fricke beruft sich dabei auch auf die namhaften deutschen Ökonomen Heiner Flassbeck (früherer Chefökonom der Welthandelskonferenz – UNCTAD) sowie Peter Bofinger (Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung).
Überzeugend geht der Autor auf Argumente von Skeptikern der Einführung eines solchen Weltwährungssystems ein, um schließlich zu der Feststellung zu kommen, „ein neues Währungssystem mit automatisch sich anpassenden Kursen könnte rasch Wunder wirken. … Der Devisenhandel würde auf das Niveau des Austauschs von Dollar, Euro, Pfund, Renminbi und anderen sinken, der nötig ist, um den Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie grenzüberschreitende Investitionen zu finanzieren“. Und immerhin sei der Devisenmarkt „das quantitativ größte unter den Spielfeldern der Geldjongleure“. Damit ist die Frage im Titel seines Buches weitgehend beantwortet.
Auch den Handel mit Staatsanleihen möchte Fricke reformieren und zu jenem Zustand zurückkehren, „der lange als gang und gäbe galt: dass Staatsanleihen in reicheren Ländern als sichere Anlagen einzustufen und konservativen Anlegern zu empfehlen sind.“ Dazu wäre es unter anderem nötig, „einen Staatsanleihemarkt zu schaffen, auf dem Papiere nur unter starken Schutzbedingungen gehandelt werden.“ Wichtig wäre auch, so Fricke, Stabilitätspakte ökonomisch noch effizienter zu machen und anders aufzubauen als bisher. Denn es gehöre zur Manie der EU-Wächter, den Abbau von Staatsschulden an jährliche Vorgaben für Staatsdefizite zu knüpfen, und das Auf und Ab von Staatseinnahmen und –ausgaben hänge heute zu mehr als der Hälfte von der enorm schwankenden Konjunktur ab.
An dieser Stelle wäre (nicht nur vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus) zu fragen, ob es denn überhaupt noch vernünftig ist, Staatswesen mit ihrem relativ fixen Finanzbedarf über mal steigende, mal fallende Steuereinnahmen zu finanzieren. Solche Frage war aber von Fricke nicht zu erwarten. Denn sie setzt ein ganz anderes ökonomisches Denken und Verständnis von Wirtschaft voraus. Ein solches ist aber als Folge mehr als hundertjährigen Einflusses traditioneller bürgerlicher Wirtschaftswissenschaft mit ihrer blinden Anbetung privater Freiheit und privaten Eigentums ohne Grenzen hier und heute nicht tonangebend.
Kritiker aus dem linken Spektrum mögen Thomas Fricke vorwerfen, er bejahe zwar für Europa eine gemeinsame Staatsanleihe (Euro-Bonds), damit Regierungen nicht länger auf absurde Weise gegeneinander auszuspielen sind und „gewählte Volksvertreter nicht mehr zu Trotteln“ gemacht werden, „die vor dem Hüsteln von Fondsmanagern Angst haben und dann dumme Politik machen müssen, weil es ‚der Markt‘ will“, doch er wolle zurück in die Vergangenheit der „goldenen“ fünfziger und sechziger Jahre, er wolle das „kapitalistische System“ erhalten. Nein, Fricke will wohl nicht zurück. Er möchte die Diktatur einer Finanzoligarchie brechen und die Demokratie retten; auch wenn es „nur“ die im bisherigen bürgerlichen Sinne ist. Über „Kapitalismus“ und „Sozialismus“ denkt er nicht nach.
Dennoch! Die Frage stellt sich, was die Vorschläge von Thomas Fricke ihrem Wesen nach bedeuten. Ein Zurück? Oder ein Vorwärts? Fricke weist mit seinem Buch einen realistischen Weg von nationaler Enge und Engstirnigkeit in die weitere Globalisierung menschlichen Denkens und Handelns im 21. Jahrhundert entsprechend dem technischen Wandel, der alle Bereiche unseres Lebens revolutioniert. Es wäre ein geeigneter Weg, um die Gefahr eines ökonomischen, ökologischen und politischen Chaos zu bannen, wenigstens zu mindern. Es wäre ein Weg der weiteren Reformierung der Weltgesellschaft, wie sie in etwa den heutigen unbedingten Erfordernissen, aber auch den gegebenen Möglichkeiten und Kräfteverhältnissen entspricht.
Wie viel Bank braucht der Mensch? ist kein Buch der Wissenschaft, sondern praktischer Schlussfolgerungen aus praktischen Erfahrungen. Doch es bedeutet einen Sieg der praktischen Vernunft über den (bis heute anhaltenden) Irrsinn ökonomischer Praxis und Theorie vergangener Jahrzehnte. Aber es ist eben nur ein Etappensieg, weil die theoretische Analyse der neu im Entstehen begriffenen Gesellschaft hier, auch ansatzweise, noch nicht zu finden ist. Erst wenn die theoretischen Zusammenhänge der praktischen Verhältnisse begriffen sind, wird es möglich sein, letztere mit aller Konsequenz so zu gestalten, dass der Reproduktionsprozess der menschlichen Gesellschaft ökonomisch und ökologisch dauerhaft ins Gleichgewicht kommt. Das setzt nämlich die Erkenntnis – und entsprechendes Handeln – voraus, dass unser Reichtum nicht im Geld besteht und zu messen ist, sondern sich in der Menge, Qualität und Vielfalt unserer sachlichen Lebensbedingungen ausdrückt.(So mancher, der bei zyprischen Banken mehr als 100.000 Euro deponiert hat, muss diese für ihn bittere praktische Erfahrung gerade machen.) Ein neues Verständnis von Wirtschaft und vom Wirtschaften brauchen wir.
Thomas Fricke: Wieviel Bank braucht der Mensch? Raus aus der verrückten Finanzwelt, Westendverlag, 2013, 256 Seiten, 19,99 Euro.
Schlagwörter: Bankensystem, Finanztransaktionssteuer, Heerke Hummel, Thomas Fricke, Weltwährungssystem