16. Jahrgang | Sonderausgabe | 11. Februar 2013

Heimat Weltbühne

von Heinz W. Konrad

Mehr als 2.600 Schriftstellern, Publizisten und Journalisten, sehr viele bereits namhaft oder auf dem Wege dahin, waren für die Weltbühne schreibend tätig und haben das rote Wochenheft zu einer der herausragenden politisch-kulturellen Zeitschriften der Weimarer Republik gemacht.
So reich an Zahl die Autoren der Weltbühne waren, so mannigfaltig auch das, was sie intellektuell repräsentierten. „Linksliberal“ bildet die Gemeinsamkeit der hellsichtig, sprachmächtig, klug Analysierenden wie freilich auch Irrenden wohl am treffendsten ab. Diesem Begriff wohnt eine gewisse Unschärfe inne – wie dem Sammelbegriff des Pazifismus, unter dem sich die meisten Autoren ebenso subsummieren ließen. Wenn letztlich doch vergeblich, so waren sie sich im Kern vor allem in einem einig: die erste deutsche Republik darf nicht in die Hände der politischen Reaktion, namentlich in die Hitlers, fallen. Was das Staats- und Demokratieverständnis außer der Ablehnung des Faschismus betraf, so bot die Weltbühne einem ganzen Spektrum von linkem Denken Raum, zu Aufklärung und Diskurs gleichermaßen, wobei sich gerade in letzterem spiegelte, wie unterschiedlich, bisweilen auch gegensätzlich diese Anschauungen sein konnten. „Die ›Weltbühne‹ ist eine Tribüne, in der die gesamte deutsche Linke in des Wortes weitester Bedeutung zu Worte kommt; wir verlangen von unseren Mitarbeitern Klarheit, persönliche Sauberkeit und guten Stil“, hat Kurt Tucholsky 1929 das bis zum Verbot des Heftes nie gebrochene redaktionelle Selbstverständnis fixiert. „Ob dieser Grundsatz richtig ist oder nicht, ist eine andere Frage; so habe ich das Blatt von meinem verstorbenen Lehrmeister Siegfried Jacobsohn übernommen und so habe ich es an Carl von Ossietzky weitergegeben, der keinen Finger breit von dieser Richtung abgewichen ist. Die ›Weltbühne‹ verzichtet bewußt auf ein starres Dogma; bei uns wird diskutiert.“
Eine interessante Überleitung zu dem hier zu empfehlenden Buch ist der Umstand, dass Tucholsky seinen Aufsatz „Die Rolle der Intellektuellen in der Partei“, aus dem dieses Zitat stammt, als Replik auf Angriffe einer kommunistischen Zeitung auf den Weltbühne-Autoren Kurt Hiller verfasst hatte. Dieser Kurt Hiller nun ist neben Axel Eggebrecht, William S. Schlamm und Peter Alfons Steiniger Protagonist einer Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, wie Alexander Gallus das Anliegen seines Buches bündelt. Sie ist es in der Tat, soweit man die Intellektualität hier auf seine linke Ausformung bezieht und natürlich weiß, dass vier Biografien keine, zumal verästelte, Gesamtschau geben können. Klug ausgewählt sind die vier aber doch – insofern sie über die Zeiten hinweg, also auch nach dem Krieg, verschiedene Strömungen politischen Denkens innerhalb des (links-) intellektuellen Spektrums repräsentierten.
Hiller, der aktivistische und kompromisslose Nonkonformist, verfocht in den Weimarer Jahren die Idee einer „Geistesaristokratie“, in der die dazu berufenen, verantwortungsvollen Geistigen die Geschicke des Volkes zu lenken hätten, was seinerseits keineswegs mit klassischen Vorstellungen von Demokratie übereinstimmte, um es freundlich zu sagen. Als einer der produktivsten und anregendsten, auch provozierenden Autoren der Weltbühne blieb er nach seinem erst Prager und dann Londoner Exil in der Bundesrepublik, wie Gallus wertet, der nach wie vor produktive „Ego-Dogmatiker“ und hielt sich stets selbst die Treue.
Eggebrecht wiederum verstand sich nach seinem Austritt aus der KPD im Jahr 1925 als demokratischer Sozialist mit aufklärerischem Impetus, überlebte die Nazizeit in einer „Art geistiger Scheintod“, um dann in der Bundesrepublik als Publizist tatkräftig an der Demokratisierung des politischen Systems mitzuwirken; nicht ohne dabei die melancholische Feststellung zu machen: „Unsere alte, rote, quirlige, freche, mutige, meinetwegen feuilletonistische WELTBÜHNE! Wie sehr fehlt sie“.
Schlamm, ursprünglich Kommunist und 1929 aus der KPD ausgeschlossen, wandelt sich über seine verschiedenen Lebensstationen gewiss am radikalsten. Zunächst noch Herausgeber der im Prager Exil wirkenden Neuen Weltbühne, wo seine Texte noch das ausdrückliche Lob Tucholskys fanden, ging er 1938 ins amerikanische Exil. Dort wie in seinem folgenden publizistischen Wirken in der Bundesrepublik fand er eine politische Heimat im stockkonservativen Lager, was zum Weltbühnen-Ethos nun keinerlei Bezug mehr hatte. Dem – freilich alles andere als geistlosen – militanten Antikommunisten und Demokratieverächter hatte sein langjähriger Freund Alfred Polgar 1952 hellsichtig attestiert: „Meine Liebe zu Dir ist selbst durch Deine zu McCarthy nicht zu erschüttern. Und wenn auch Dein Herz abnormal sitzt, nämlich ganz rechts – wer kann für seine Anatomie?“
Steinigers Wandel schließlich war ein ganz anderer. Zu Weltbühne-Zeiten war er zunächst so unabhängig links, dass er Distanz zur Parteienlandschaft hielt, für die er eine gänzlich neue Ordnung forderte. Mit der Wunschreihung von Charakteren, die sich mit einer von ihm erstrebten Republik verband, war Steiniger noch Ende 1926 nahe bei einer festen Hand, in der „Lenins Strenge, Mussolinis Temperament, Cäsars Härte, Jesu Güte, Marxens Programm und Platons Geist“ vereint sein müssten. Noch zu Weltbühne-Zeiten näherte sich Steiniger dann der KPD an, fand nach dem Krieg im Gegensatz zu Hiller, Eggebrecht und Schlamm seine politische Heimat in DDR und SED, wo er vor allem als Verfassungsrechtler reüssierte. Auch wenn ihn sein intellektuelles Potential für viele anziehend machte – von linker Autonomie konnte bei einer solchen Entscheidung freilich keine Rede mehr sein.
Alexander Gallus hat für sein flüssig geschriebenes, verdienstvolles und höchst lesenswertes Buch ein nahezu titanisches Quellenstudium geleistet, wovon enorm viele Verweise und Anmerkungen zeugen. Er hat den vier ausführlichen Polit-Biografien seiner Protagonisten eine Vermessung des Themas ebenso vorangestellt wie eine kurze politische Geschichte der Weltbühne und eine Betrachtung der Weltbühnensehnsucht, die, wie man weiß, bis heute anhält und der nicht zuletzt das Blättchen Geburt und Existenz verdankt.

Alexander Gallus: Heimat Weltbühne. Eine Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert, Wallstein Verlag, Göttingen 2012, 421 Seiten, 34,90 Euro