15. Jahrgang | Sonderausgabe | 22. Oktober 2012

Oskar Kokoschka und Alma Mahler

von Bert Kammer

Er werde ein Bild von ihr malen, das sie berühmt machen werde wie die Mona Lisa, versprach der junge Oskar Kokoschka der beeindruckenden Alma Mahler, der Gerade-erst-Witwe des Komponisten Gustav Mahler und späteren Frau von Walter Gropius und Franz Werfel. Seine Liebesbeziehung zu ihr inspirierte ihn zur „Windsbraut“ (1914). Er hat kein anderes Bild von dieser Größe und Intensität gemalt – in seiner dämonischen Wirkung geht es fast an die Grenze der Absurdität. In einem muschelähnlichen Boot, dessen Spanten sich schon aufzulösen scheinen, treiben Kokoschka und seine Geliebte dahin wie Dantes Liebende im Sturm. Sie schweben nicht auf dem Meer, sondern durch die Lüfte in einem Raum zwischen Bergspitzen und Nebelbänken. Kokoschka liegt grübelnd wach, während seine Geliebte an seiner Schulter schläft. Ihr unterschiedlicher Bewusstseinszustand zeigt sich auch daran, wie er die Körper gemalt hat – seinen so zerfurcht, als ob er sich durch die Angst in Streifen und blätterartige Muskelformen von bläulichem Rosa aufgelöst hätte, Alma Mahler dichter und einheitlicher. Die Stimmung des Bildes ergibt sich aus den fahlen, gebrochenen Tönen und den kalten, dichten Farben. El Grecos Silber- und Blautöne werden hier noch durch die rötlichen und grünlichen Tupfer gesteigert. Zwar ist es nicht übertrieben erotisch – man spürt eher ein kaltes Schaudern als erotischen Reiz -, aber es scheint doch das letzte Wort zum Thema expressionistische Liebe zu sein – verschlingend, narzisstisch und zu einem hemmungslosen Fortissimo gesteigert.
Die expressionistische Liebesbeziehung zwischen dem jungen Kokoschka und der 7 Jahre älteren Mahler-Witwe hat Hilde Berger zum Thema ihres biographischen Romans “Ob es Hass ist, solche Liebe?“ gemacht. Es war der Architekt Adolf Loos, der nach dem Tode Mahlers „die berühmteste Witwe der Zeit“ mit seinem jungen Freund Kokoschka zusammenbrachte und damit ein „zeitliches Inferno“ anrichtete. Drei Jahre dauerte die „sehr passionierte“ Beziehung zwischen beiden. Alma bekannte: „Er war wie die Sintflut!“ Sie mischte das Leidenschaftliche mit dem Mütterlichen, sah in dem Mann zugleich das Kind, das man gleichermaßen zu lieben und zu trösten hatte. Und Kokoschka schien gänzlich abhängig von ihr geworden zu sein, auch wenn sie ihn völlig im Unklaren darüber ließ, ob aus der Liaison überhaupt eine Lebensgemeinschaft erwachsen könnte. Bald verweigerte sich Alma dem „Wilden“ und akzeptierte nur noch den Künstler in ihm, den sie zu einigen seiner wichtigsten Gemälde – darunter eben auch zu der berühmten „Windsbraut“ – und zu den Lithographiefolgen „Der gefesselte Kolumbus“ und „O Ewigkeit, du Donnerwort“ inspiriert hatte. Kokoschkas „Hieroglyphen der Zuneigung“ hat Alma bis zu ihrem Lebensende bei sich behalten.
Die Autorin Hilde Berger blendet zurück in die Ehe Almas mit Gustav Mahler wie in die Kindheit und Jugend Kokoschkas. Alma hatte es immer schon als ihre Pflicht als Frau angesehen, sich demjenigen Künstler, der sie brauchte, hinzugeben. Das war ihre Rolle in der Welt. Wie sie schon ihren Ehemann Mahler betrogen hatte, so betrog sie nun auch ihren Liebhaber Kokoschka. Dieser war gefangen „im Spinnennetz seiner Eifersucht“, erwartete aber auch von Alma: „Deine Schönheit und Deine Liebe müssen ein Opfer für meine Kunst sein“. Oskar bestellt bereits übereilig das Aufgebot, aber sie verreist nach Holland und von dort weiter nach Berlin zu Walter Gropius – auf der Suche nach einem sicheren Platz für ihr weiteres Leben. Kokoschka holt sie zurück – „er löschte alle Spuren, die der andere hinterlassen hatte, jetzt war sie wieder die seine“ -, doch bald brechen die Konflikte wieder von neuem auf. Während Mahlers Symphonien in allen europäischen Hauptstädten gespielt werden und Alma dort als Ehrengast gefeiert wird, wird Kokoschkas expressionistisches Stück „Der brennender Dornbusch“ in Wien vom Vorzensor abgelehnt. Er kämpft mit dem toten Mahler um Alma, es ist ein auswegloser Kampf, ihre drei Jahre währende ungestüme Beziehung geht auf ihr Ende zu. Er ist niedergeschmettert – und wird ihr nie vergeben -, als sie ihr Kind in einer Wiener Klinik abtreiben lässt. Alma zieht zu Gropius nach Berlin, Kokoschka in den Ersten Weltkrieg, aus dem er – ein Kopfschuss macht ihn kriegsuntauglich – mit einem traumatischen Schock zurückkehrt. Obwohl sein Tod in den Wiener Zeitungen bereits angezeigt wurde, überlebte Kokoschka und hatte noch eine lange Laufbahn – zunächst als Professor an der Dresdner Kunstakademie – vor sich.
Mit großer Sachkenntnis – so bezieht sie auch die Werke und Briefe Kokoschkas und Alma Mahler-Werfels „Mein Leben“ mit ein –, psychologischem Einfühlungsvermögen und in einer geschichten- und episodenreichen Erzählweise versteht es die Autorin, eine höchst spannungsvolle Geschehnisfolge des „wildesten Liebespaares des 20. Jahrhunderts“ – wie es etwas auftrumpfend im Klappentext heißt – zu komponieren, eine gelungene Mischung von Authentischem und Fiktivem.

Hilde Berger: Ob es Hass ist, solche Liebe? Oskar Kokoschka und Alma Mahler, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2010, 223 Seiten, 11,95 Euro