von Lars Berthold
Zeitz war vom Beginn der Industrialisierung bis ins späte 20. Jahrhundert ein wichtiger mitteldeutscher Industriestandort. Dies änderte sich am Anfang neunziger Jahre drastisch. Die Gründe dafür sind bekannt. Die Stadt an der Weißen Elster hat – wie so viele ostdeutsche Kommunen zwischen Arkona und Zittau nach der deutschen Einheit – einen gravierenden wirtschaftlichen und damit ursächlich verbunden, demographischen Wandel vollzogen.
Welchen Stellenwert die Industrie in Zeitz vor 1989 hatte und heute hat, zeigen jetzt zwei unter dem Titel „Zeitz bewegt sich – Industrie einst und heute“ zusammengefasste Filme, die auf dem 10. Tag der Zeitzer Heimatgeschichte Mitte November 2011 erstmals aufgeführt wurden. Der erste Film stellt in 55 Minuten die historischen Industrien in Zeitz vor. Der zweite Streifen, 15 Minuten lang, informiert über die momentan ansässigen Unternehmen.
Auf der Basis historischer Aufnahmen, die vor allem in den sechziger und siebziger Jahren entstanden, werden in der ersten Dokumentation bedeutende Unternehmen porträtiert, die – meist Gründungen des späten 19. Jahrhunderts – hier einst produzierten oder, zu geringen Teilen, noch heute tätig sind. Die Bilddokumente stammen vor allem von Amateurfilmstudios wie der „Zeitzer Linse“. Ausgewählte Sequenzen wurden durch die MR-Filmproduktion um Aufnahmen von 2011 und Zeitzeugenberichte ergänzt sowie mit faktenreichen Kommentaren versehen. Es wird in dem Film angemerkt, dass nur jene Zeitzer Betriebe und Einrichtungen vorgestellt werden, von denen „bewegte Bilder“ überliefert sind, so dass etwa der Klavier- und Pianoforte-Bau, der noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Zeitz eine wichtige Rolle spielte, nicht berücksichtigt werden konnte, da er nicht zu visualisieren ist.
Was Zeitz an Industrie einst zu bieten hatte, überrascht auch dann, wenn man die Stadt kennt. Im Braunkohlenkombinat Deuben arbeiteten bis 1989 gut 58.000 Menschen. Sie war der mit Abstand größte Arbeitgeber in der Region. Zekiwa Zeitz wiederum war in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur der größte Kinderwagenhersteller Europas, sondern auch einer der erfolgreichsten Exportbetriebe der DDR überhaupt, was den Umsatz in Valuta anbetraf. Die Kinderwagen – allen voran der in Ost und West beliebte „Panoramawagen“ – wurden in die RGW-Länder exportiert, fanden sich aber auch in den Katalogen der Versandhäuser Otto, Quelle und Neckermann. Zemag Zeitz fertigte unter anderem Universalbagger, 5000 an der Zahl, und Raupendrehkräne für Lasten von 25 bis 63 Tonnen. 70 Prozent der Zemag-Produktion wurden exportiert, und das in insgesamt 27 Länder weltweit. Ein ähnlich großer und wichtiger Arbeitgeber war das Hydrierwerk Zeitz, in dem Erdöl verarbeitet wurde. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, denn auch Süß- und Metall- sowie Lederwaren wurden vor 1989 in Zeitz hergestellt. Es ist bedauerlich für die Region, dass von all dem nur ein Bruchteil geblieben ist.
Auch schöne Details zeigt der Film: So etwa die Standseilbahn am Wendischen Berg von 1877, die Ende 1959 ihren Dienst einstellte und 1960 leider demontiert wurde. Auch die überdachte und „Blaues Wunder“ genannte Förderbandbrücke, die von der Zekiwa-Produktion zum Lagerhaus und zur automatisierten Versandabteilung führte, ist zu sehen.
Der zweite Film, 15 Minuten lang, ist ein Zeitz-Werbefilm über die heute ansässigen Firmen und Unternehmen, an dessen Ende eine recht ungelenke Einladung von OB Dr. Volkmar Kunze steht: „Kommen sie nach Zeitz, investieren Sie hier. Sie werden es nicht bereuen.“ Von Bedeutung ist noch heute die Braunkohle, die quasi vor der Zeitzer Haustür gefördert wird. Die Mibrag beschäftigt hier 1500 Mitarbeiter. Im Chemie- und Industriepark, auf dem Gelände des einstigen Hydrierwerks, haben sich 50 Unternehmen angesiedelt. Und immerhin 150 Mitarbeiter stellen in der Zeitzer Zuckerfabrik pro Jahr 200.000 Tonnen des weißen Goldes her. Zekiwa hat seinen Sitz in Döschwitz, wo Kinderwagen entworfen und verkauft, aber nicht mehr hergestellt werden. Die Produktion schon wurde vor Jahren nach China verlagert. Goldeck stellt unter dem Markennamen „Zetti Zeitz“ noch immer Süßwaren her. Und die Zeitzer Guss GmbH, die erst 2007 gegründet wurde, beschäftigt 100 Mitarbeiter und ist ein ferner Nachklang jener Zeit, in der die Stadt ein Ort der Schwerindustrie gewesen ist.
Die DVD ist das Zeugnis eines wichtigen Kapitels mitteldeutscher Industriegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Am Beispiel von Zeitz kann exemplarisch gezeigt werden, welchen Wandel ostdeutsche Industriestädte mittlerer Größe durchlebt haben. Mögen in der Elsterstadt gegenwärtig nur wenige Industriezweige heimisch sein, so sind die aber fit für die Zukunft.
Zeitz bewegt sich – Industrie einst und heute. DVD, 70 Minuten. Zu beziehen über: MR-Filmproduktion, Paul-Scharf-Straße 14, 07952 Pausa
Schlagwörter: Industriestandort, Lars Berthold, MR-Filmproduktion, Zeitz