von Thomas Ostwald
In seiner Ausgabe 6/2012 hatte Das Blättchen den Beitrag „Der vergewaltigte Klassiker“ von Matthias Käther publiziert, der unter anderem eine Kritik an der Arbeit der Braunschweiger Gerstäcker-Gesellschaft enthielt. Den nachfolgenden Beitrag erhielt die Redaktion jetzt vom Vorsitzenden dieser Gesellschaft, dem Literaturwissenschaftler, Autor und Verleger Thomas Ostwald.
Die Redaktion
Als wir 1979 die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. in Braunschweig gründeten, ging es uns in erster Linie darum, das Werk des Autors zu pflegen und der Öffentlichkeit weiter bekannt zu halten. Es war für uns Freunde und Sammler der Abenteuerliteratur wichtig, die Erstausgaben seiner Romane wieder zu publizieren, um den ursprünglichen Gerstäcker aufzuzeigen – nicht den, den viele nur aus zahlreichen Jugendbuchausgaben kannten.
Unsere liebevoll aufgemachte Reihe mit Nachdrucken der ersten Buchausgaben begannen wir 1980 mit den „Amerikanischen Wald- und Strombildern“. Zehn Jahre lang konnten wir die Reihe fortsetzen, bis uns immer mehr der Dauerabnehmer wegbrachen. Eine Werkausgabe dieser Art war bei den hohen Herstellungskosten, die leider auch das Reprintverfahren mit sich brachte, nicht weiter zu finanzieren. In kleinerer Form setzten wir eine Reihe mit den Erstabdrucken in verschiedenen Zeitschriften fort, darunter auch Gerstäckers erste Erzählung überhaupt, „Der Fluch“.
Neben der Vorlage dieser Frühdrucke war es für uns immer selbstverständlich, dass es für den heutigen Zeitgeschmack „Leseausgaben“ geben musste – behutsam bearbeitet, aber nicht gekürzt. Die Umsetzung dieser Idee schien sich plötzlich zu verwirklichen, als der Union-Verlag in Stuttgart bereit war, mit uns zusammen eine 12bändige Gerstäcker-Edition herauszugeben. Möglich wurde das durch die Zusammenarbeit mit dem Verlag Neues Leben in Ost-Berlin. Dort wurden die Ausgaben gedruckt – auf dem typischen, holzhaltigen Papier für die Leser in der DDR und auf „gutem, weißem“ Papier für die Bundesrepublik. Doch schon nach sechs Ausgaben musste die Reihe eingestellt werden – die deutsche Vereinigung beendete das Unternehmen. Von dieser Ausgabe waren Auflagen von mehr als 20.000 Exemplaren pro Titel für die DDR gedruckt worden, für den Westen jeweils nur 10.000.
Wieder einmal zeigte es sich, dass der Buchmarkt mit dem Werk Friedrich Gerstäckers wenig anfangen konnte. Friedrich Gerstäcker wurde nur noch als Jugendbuchautor wahr genommen, eine Einordnung selbst bei großen Buchhandlungen in der Belletristik oder der Reiseliteratur war Wunschdenken und scheiterte an der Realität des Alltages.
Als dann im Jahre 2000 seitens des Thienemann-Verlages mit seiner Edition Erdmann verlautbarte, man wäre zunächst an einem Werk interessiert, möglicherweise aber auch an weiteren, war ich von der Idee begeistert und überarbeitete nach der Ausgabe letzter Hand Gerstäckers „Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten Nordamerikas“. Noch während der Überarbeitung des Manuskriptes gab es eine rigorose Zensur aufgrund des Umfanges – ich musste erhebliche Kürzungen akzeptieren.
Auch andere Neuausgaben, zum Beispiel bei Schneider oder im Karl-May-Verlag, bestätigten nur, dass man Werke eines Schriftstellers aus dem 19. Jahrhundert nicht für die überschaubare Gruppe von Germanisten und Sammlern publizieren kann – ein Markt existiert dafür nicht. Und nach gut 40 Jahren Zugehörigkeit zum Buchhandel und zum Verlagswesen kann ich nur sagen: Eine Werkausgabe hat in der Nachkriegszeit im deutschen Buchhandel nie eine echte Chance gehabt – keine Buchhandlung ist bereit, sich auch nur einen kompletten Satz einer mehrbändigen Edition hinzustellen. Der bescheidene Einzelverkauf über die Barsortimente rechtfertigt kalkulierbare Ausgaben erst recht nicht.
Fazit: Das Bemühen unserer Gesellschaft in weit mehr als 30 Jahren, das Werk Friedrich Gerstäckers in einer ungekürzten, unbearbeiteten Werkausgabe wieder vorzulegen, ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisiert worden. Trotzdem gibt unsere Gesellschaft seit 2004 genau diese Werkausgabe heraus. Ungekürzt, unbearbeitet, nach der Ausgabe letzter Hand, dazu mit einem Anmerkungsapparat, der einige Hundert Fußnoten und Ergänzungen enthält, dazu zahlreiche Illustrationen, Fotografien und Dokumente. Möglich ist diese neu gesetzte Ausgabe im Hardcovereinband nur durch verschiedene Sponsoren.
Zusammen mit der vollkommen neu überarbeiteten Gerstäcker-Biografie liegen bislang acht Bände in dieser Reihe vor, darunter Friedrich Gerstäckers Tagebuch nach den Originalen, die einst die Vorlage für seinen Erstling, die „Streif- und Jagdzüge …“ bildeten. Briefbände ergänzen die Reihe ebenso wie die Mitteilungshefte und die Beiträge zur Gerstäcker-Forschung.
Mir nun den Vorwurf zu machen, ich hätte Chancen nicht genutzt und schlimmer bearbeitet als einst die Herausgeber Theden & Co ist schon ein wenig seltsam, aber auch verständlich aus Unkenntnis und Unwissenheit. Mit den heutigen elektronischen Möglichkeiten gibt es plötzlich eine Reihe von äußerst primitiv gemachten Paperbacks, die vollkommen unreflektiert Texte der ersten Buchausgaben zwischen ein paar Pappdeckel pressen und zu exorbitanten Preisen anbieten. Beispiel gefällig? Die Neuausgabe von Gerstäckers Roman „Nach Amerika“ umfasste bei uns zwei Bände, jeweiliger Preis 20,- Euro. Die erwähnte Neuausgabe hat daraus zahlreiche Einzelbände zum Stückpreis von jeweils um 50 Euro gemacht und bietet sie auf allen möglichen Internetplattformen an. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Ausgaben nennenswerte Käuferzahlen finden.
Aber ich möchte auch gar nicht beurteilen, was andere machen – ich weiß nichts über die Hintergründe und kann nur von mir und meiner Arbeit rund um das Werk Friedrich Gerstäckers sagen: Schön wäre eine vollständige Werkausgabe in neu gesetzter Form, um das Hindernis, das die Frakturschrift heute für die meisten Leser darstellt, zu umgehen. Finanzierbar ist ein solches Projekt leider nicht. Und so trägt jede neue Buchausgabe, und sei sie noch so gekürzt und bearbeitet, mit dazu bei, dass Gerstäckers Werk nicht vollkommen in Vergessenheit gerät. Ob die Bearbeitung gerechtfertigt ist oder nicht, will ich nicht diskutieren. Die entsprechenden Verlage werden wohl ihre (wirtschaftlichen) Gründe haben …
Schlagwörter: Buchhandel, Friedrich Gerstäcker, Thomas Ostwald, Verlagswesen