15. Jahrgang | Nummer 14 | 9. Juli 2012

Südafrikas schwarze Mittelklasse zwischen Aufstieg und Krise

von Armin Osmanovic, Johannesburg

Südafrikas Entwicklungsprobleme, die hohe Arbeitslosigkeit und Armut und die stark gewachsene soziale Ungleichheit seit Ende der Apartheid, werden weithin beklagt. Auf dem kleinen Parteitag des ANC Ende Juni hat denn auch ANC-Präsident Jacob Zuma diesen erneut den Kampf angesagt. Für viele Experten ist neben dem Erbe der Apartheid und dem anhaltend schlechten Bildungssystem, die fehlende Entwicklungsorientierung der Eliten des Landes, ihre Selbstbereicherungsmentalität, Grund für die sozialen Probleme. Häufig übersehen wird jedoch die Rolle der neuen schwarzen Mittelklasse für die Entwicklung des Landes.
Südafrikas Mittelklasse ist seit dem Ende der Apartheid stark gewachsen. Gehörten 1994 nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung zur Mittelklasse, so sind es heute um die 20 Prozent. Neben der alten weißen Mittelklasse hat sich im neuen Südafrika eine schwarze Mittelklasse etabliert. Die Zahl der schwarzen Mittelklassehaushalte hat sich in den letzten 18 Jahren verdoppelt.
Ermöglicht wurde der soziale Aufstieg durch den gleichberechtigten Zugang der schwarzen Südafrikaner nach Ende der Apartheid zu besserer Ausbildung und damit besser bezahlter Erwerbsarbeit. Zudem unterstützt der Staat aktiv die Beschäftigung von ehemals benachteiligten schwarzen Südafrikanern, nicht zuletzt im öffentlichen Sektor, wo zudem die Gehälter seit geraumer Zeit stärker steigen als in den privaten Unternehmen. Und schließlich unterstützte die seit dem Jahr 2003 stark wachsende südafrikanische Volkswirtschaft den sozialen Aufstieg eines Teils der schwarzen Südafrikaner.
Nun bremst die globale Finanz- und Wirtschaftskrise den sozialen Aufstieg der schwarzen Mittelklasse in Südafrika ab. Denn kein anderes Land der G20 mit Ausnahme der USA, wo die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 ihren Ausgang nahm, wurde so hart von der Krise getroffen wie Südafrika. Seit Ende 2008 gingen über eine Million Arbeitsplätze am Kap verloren. Südafrikas offizielle Arbeitslosenquote stieg auf 25 Prozent. Nicht berücksichtigt sind jene Arbeitslosen, die aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen. Denn insgesamt sind knapp acht Millionen Menschen (circa 37 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung) in Südafrika auf der Suche nach Beschäftigung. In den ländlichen Regionen Südafrikas erreicht die Arbeitslosigkeit 60 Prozent und mehr.
Betroffen vom Beschäftigungsabbau in Folge der globalen Krise waren vor allem die schlecht ausgebildeten Südafrikaner. In der Industrie (-147.000), im Baugewerbe (-70.000) und im Bergbau (-38.000) sind vor allem die geringer qualifizierten und bezahlten Arbeitsplätze weggefallen. Und auch in der Landwirtschaft (-187.000), in den Privathaushalten (-67.000), als Haushaltshilfe oder Gärtner, wo die Entlohnung mit 1 bis 2 Euro pro Stunde besonders schlecht ist, und im informellen Sektor (-161.000), wo sich die Menschen als Altpapiersammler oder Tagelöhner verdingen müssen, wurden Stellen abgebaut.
Südafrikas Mittelklasse blieb von der Krise nicht gänzlich verschont, denn auch einige der besser qualifizierten und besser bezahlten Arbeitsplätze in Industrien und vor allem im lange Jahre boomenden Finanzsektor Südafrikas (-17.000) sind zwischen 2008 und 2011 abgebaut worden. Der Staat hingegen schuf in Zeiten der Krise neue Arbeitsplätze (+190.000).
Die Krise hat den sozialen Aufstieg einiger Mittelklassehaushalte unterbrochen. Wer den Arbeitsplatz behalten konnte, kam jedoch relativ unbeschadet an der Krise vorbei, denn trotz der Zunahme an Arbeitslosigkeit konnten die gut organisierten südafrikanischen Gewerkschaften Lohnforderungen durchsetzen, die mit acht bis zehn Prozent Steigerung pro Jahr deutlich oberhalb der Preisentwicklungsraten lagen.
Südafrikas neue schwarze Mittelklasse hat denn auch ganz andere Probleme. Sie sieht sich einer weißen Mittelklasse gegenüber, die aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte als Teil des kolonialen Erbes, im internationalen Vergleich über mehr und größere Autos und Häuser sowie Hausangestellte verfügt. Nirgendwo sonst findet man eine so große Swimmingpooldichte in Mittelklassehaushalten wie in Südafrika. Diese weiße Mittelklasse und die zur Schau gestellte Bling-Bling-Kultur aus Breitling-Uhr, Guess-Jeans und Cabrio, sind die Vorbilder für viele in der neuen schwarzen Mittelklasse.
Im Gegensatz zur alten weißen Mittelklasse steht den schwarzen Mittelklassehaushalten nur selten ein gewachsenes Vermögen zur Verfügung. Auto, Haus, Schmuck und teure Bekleidung werden so über eine hohe Verschuldung unterhalten. Brechen Einkommen durch Arbeitsplatzverlust, Trennung, Krankheit oder Tod weg, drohen die Haushalte mit ihren zahlreichen Verbindlichkeiten in ein tiefes finanzielles Loch zu stürzen. Der frühere Finanzminister Südafrikas Trevor Manuel, der nun als Planungsminister amtiert, hat denn auch unlängst vor dieser ausufernden Verschuldung der privaten Haushalte aufgrund eines teuren Lebensstilmodells gewarnt.
In besonderer Weise belastet ist die neue schwarze Mittelklasse auch deshalb, weil sie im Gegensatz zu den weißen Mittelklassehaushalten eine weitreichende Familie mit zu versorgen hat. Ihre „armen Verwandten“ bedürfen mangels eigenen sozialen Aufstiegs ständiger Unterstützung. Da Einkommen und Dispokredite nicht immer ausreichen und im Bewusstsein so mancher, dass der eigene Aufstieg weniger auf den eigenen Stärken als Beziehungen beruht, greifen einige in der neuen schwarzen Mittelklasse mehr als erlaubt auf öffentliche und private Kassen zu, wenn sich die Gelegenheit bietet.
Die Mittelklasse dreht nicht am „großen Korruptionsrad“ – sie greift nicht in die Pensionskasse von Gewerkschaften oder verlangt einen Millionenanteil an einem Waffendeal. In der Mittelklasse geht es bei illegalen Praktiken beispielsweise um den Gemeinderat, der Aufträge bevorzugt an Familienmitglieder oder Freunde vergibt, oder diese anstellt und sie mit besonderen Boni für die Benutzung des eigenen Autos versorgt, oder Betriebsräte, die nebenher auch ein Catering-Geschäft führen, und so bei jedem Betriebstreffen etwas für sich und seine Familie hinzuverdienen.
Diese alltägliche Korruption bezeichnet man in Südafrika als „streetwise“. Man habe gelernt, sich durchzuschlagen und nicht wenige schwarze Südafrikaner sehen sich im Recht, sich „so“ durchzuschlagen, denn all zu lange war ihnen während der Apartheid der Zugang zu Geld und gutem Leben verwehrt. Einige schreien denn auch Rassismus, wenn man sie auf ihre Taten hinweist, klagt Joel Netshitenze, ehemaliger Berater von Staatspräsident Thabo Mbeki.
Was für den einzelnen als taugliche Überlebensstrategie erscheint, höhlt aber die finanziellen Grundlagen für einen gesamtgesellschaftlichen Aufstieg aus und behindert eine auf eigene Leistungen gegründete Arbeitsethik. Der von ANC-Präsident Jacob Zuma, dem selbst Verstrickungen in Korruptionsfälle nachgesagt werden, ausgerufene Kampf gegen die Kultur der Selbstbereicherung in ANC und Regierung darf denn auch nicht nur den Eliten gelten. Der ANC muss in Partei und Regierung von oben und in der Mitte einen Anlauf für eine Kultur der Verantwortung wagen, will er seinem Auftrag „ a better life for all“ gerecht werden.